Oder: Warum man Bölls Klassiker nur immer wieder viele Leser wünschen kann. Eine Buchrezension aus ganz aktuellem Anlass.
von Kalilan
Klassiker sind Bücher, von denen man zumindest behaupten sollte, sie gelesen zu haben, um in gehobener Gesellschaft Anerkennung zu finden. Einige Klassiker sollte man jedoch auch wirklich gelesen haben – zumindest wenn man sich in menschlicher Gesellschaft angemessen verhalten möchte. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Heinrich Böll gehört zu diesen Büchern. Worum geht es?
Katharina Blum, ein einfaches Dienstmädchen, verliebt sich Hals über Kopf in einen jungen Mann, von dem sie später erfährt, dass er von der Polizei gesucht wird, und noch später, dass er des Mordes verdächtigt wird. Katharina gerät so ins Visier der Polizei und – weitaus schlimmer – in das der ZEITUNG. Diese macht sich sogleich daran, „den Charakter der Blum und ihre undurchsichtige Vergangenheit zu durchleuchten“ und stilisiert Katharina zur „Mörderbraut“. Als Grundlagen dienen das völlig fehlinterpretierte Schweigen Katharinas zu einem unangenehmen Verehrer, verdreht wiedergegebene Interviews mit „Freunden der Blum“ und die Aussagen von Bekannten, welche die Gelegenheit nutzen, um zu sagen, was sie angeblich „immer schon gewusst“ hatten.
Die ZEITUNG fördert zutage, was eigentlich schon allen klar ist: Katharina ist eine „Nazibraut“, und jeder, der sich auf ihre Seite stellt (ein paar Freunde hat Katharina noch), ist wohl auch „einer von denen“. Es ist nur recht, dass sich da der Volkszorn entlädt und man ihr anonyme Schmähpostkarten schreibt. Auch Telefonanrufe und Einträge auf ihrem Weblog, die vor Schamlosigkeit und Schadenfreude nur so strotzen, lassen der „braunen Wühlmaus“ und „Kreml-Tante“ keine Ruhe. Doch dank einiger angezapfter Telefonverbindungen vonseiten der Polizei und einem illegal gehackten E-Mail-Account vonseiten der ZEITUNG (man tauscht sich natürlich gegenseitig aus) wird schließlich Katharinas Liebhaber gefasst – doch weigert er sich, sie zu belasten. Hat der STURA da etwa überreagiert? Nein, denn dass die Wahrheit noch nicht ans Tageslicht gekommen ist, liegt nach Meinung der ZEITUNG nur daran, dass die polizeilichen Verhörmethoden zu milde sind. So fragt sie ihre Leser: „Muss man gegenüber Unmenschen menschlich bleiben?“
Das alles spielt vor 25 Jahren. Heute würde man vielleicht einen Preis aussetzen, um die rhetorische Frage der ZEITUNG zu beantworten. Fest steht jedenfalls, dass dieses „als Erzählung verkleidete Pamphlet“ (Böll) nichts an Aktualität verloren hat. Der Roman ist nicht nur Zeugnis einer historischen Abrechnung mit der Bild-Zeitung, in der ein sozial engagierter Schriftsteller unserer tief empfundenen Abscheu gegenüber diesem Revolverblatt Ausdruck verleiht, sondern er ist v.a. ein Pamphlet gegen ein kollektives Verhalten, dass es auch heute noch zu hinterfragen gilt, und das mit dem Wort der „Hexenjagd“ vielleicht ganz treffend beschrieben ist.
Anmerkung: Aufgrund bekannter Umstände muss die neue Ausgabe der UNIQUE unter enormen (Zeit-)Druck entstehen. Wenn ich in all der Hektik Werk und Realität ein wenig durcheinandergewirbelt haben sollte, möchte ich hierfür um Entschuldigung bitten sowie in Anlehnung an das Motto, das Heinrich Böll der „Katharina Blum“ vorangestellt hatte und welches zu den unkorrektesten, großartigsten und wahrhaftigsten Mottos der Literaturgeschichte zählt, erklären: Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der ANTIFA ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.
Heinrich Böll – Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann, dtv, 5,90 €
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