Red Harvest, der erste Roman des US-Schriftstellers Dashiell Hammett um den gewalttätigen Säuberungsfeldzug eines namenlosen Detektivs, begründete 1929 das einflussreiche hard-boiled Genre.
von David
Was haben Toshiro Mifune, Clint Eastwood, Bruce Willis und Jean-Claude Van Damme gemeinsam? Sie alle spielten einmal einen Fremden, der in eine korrupte Gangster-Kleinstadt kommt, um sie mit Feuer und Schwert zu ‚säubern‘. Ob Sanjuro Kuwabatake, Joe, John Smith oder Eddie Lomax – die Figuren basieren alle auf dem Continental Op, der sein Unwesen in US-amerikanischen Groschenmagazinen der 1920er Jahre trieb. Mit Hilfe dieser namenlosen Detektivfigur schuf Dashiell Hammett eine völlig neue Sorte von Kriminalgeschichte, die 1929 im Roman Red Harvest (deutsch: Rote Ernte) einen ersten Höhepunkt fand.
Der Continental Op, ein Vertreter der Privatdetektei Continental, kommt in die Kleinstadt Personville, die wegen der grassierenden Bandenkriminalität und Korruption „Poisonville“ genannt wird. Der Sohn des lokalen Industriemagnaten hat den Op zur Unterstützung einer Antikorruptionskampagne in die Stadt gerufen, wird jedoch schon vor der ersten Unterredung mit dem Detektiv ermordet. Der Industrielle bittet nun den Op, den Mörder seines Sohnes zu finden und ihm dabei möglichst die Gangster von „Poisonville“ vom Hals zu halten: Er hatte sie einst selbst angeheuert, um die örtliche Arbeiterbewegung gewaltsam niederzuschlagen. Nur verschwanden sie danach nicht, sondern machten sich in der Stadt breit. Auf der Suche nach dem Mörder lernt der Op die Verbrecher kennen, die „Poisonville“ beherrschen: den Alkoholschmuggler Pete der Finne, den Kredithai Lew Yard, den Boss des Glückspiels Flüster-Max und den korrupten Polizeichef Noonan. Der Detektiv findet den Mörder rasch, aber nachdem er selbst nur knapp einem Attentat entkommt, schwört er Rache gegen „Poisonville“. Er drängt den Industriemagnaten dazu, einen Vertreter der Continental Detective Agency anzuheuern, um die Stadt zu ‚säubern‘ – und zwar ihn. Mit falschen Gerüchten, Erpressungen und Manipulationen provoziert der Op einen Bandenkrieg.
Whiskeyflaschen statt Beweise
Red Harvest, heute ein Klassiker der US-amerikanischen Krimiliteratur, gilt als Wegmarke in der Entwicklung vom klassischen zum modernen Detektivroman. Im klassischen Krimi schwächte das Verbrechen eine sozial intakte Gesellschaft nur temporär: Ein kluger Detektiv löste den Fall, fand den Mörder, ließ ihn verhaften und stellte den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder her. Dieses Krimiformat, das sich noch heute großer Beliebtheit erfreut, gibt es in Red Harvest nicht mehr: Die Gesellschaft, die Hammett hier entwirft, ist korrupt und unübersichtlich. Die vormals als Gesellschaftsstütze auftretende Polizei ist selbst kriminell; ihre Vertreter sind faul, ineffizient, bestechlich, kooperieren mit Gangstern, verprügeln im Keller des Präsidiums Häftlinge und richten bei Alkoholrazzien wahllos Menschen hin. Die Honoratioren der Stadt sind kaum respektabler – hat doch der lokale Industrieboss die Kriminellen selbst angeheuert. Es gibt auch keinen integren Detektiv, der Ordnung schaffen könnte: Der Op ist vulgär, versoffen, zynisch und amoralisch. Er sichert keine Beweise, sondern höchstens Whiskeyflaschen. Er streut Gerüchte, erhebt falsche Mordanschuldigungen, um Leute zu diskreditieren und zum ‚Abschuss‘ freizugeben, und stiehlt Beweismaterial von Tatorten, um es später für Erpressungen zu nutzen.
Das gewalttätige Chaos in „Poisonville“, das der Op zusätzlich schürt, spiegelt sich in der komplizierten Erzählstruktur wider, die bewusst auf die Überforderung des Lesers setzt: Über 80 Figuren tauchen auf, verschwinden wieder oder werden ermordet, wechseln mehrmals die Fronten in unübersichtlichen Machtspielen. Im Zentrum von Red Harvest steht nicht wie im klassischen Krimi die Suche nach dem Verbrecher, denn kriminell sind praktisch alle Charaktere, sondern die Auswirkungen der Korruption und permanenten Gewalt, der im Laufe des Romans weit über 30 Figuren zum Opfer fallen: Panik, Paranoia und pure Mordlust machen sich breit. Die ‚reinigende’ Kraft der Gewalt hält sich letztlich in Grenzen: Am Ende liegen Teile von „Poisonville“ in Trümmern und die Stadt wird von der Nationalgarde besetzt – bis eben der nächste Gangster sie erbeutet.
Demoralisierte Detektive
Dashiell Hammett, geboren 1894, ließ sich für seine literarische Tätigkeit von seinen eigenen Erfahrungen inspirieren. Von 1915 bis 1922 arbeitete er bei der Pinkerton National Detective Agency, der größten US-amerikanischen Detektei. Die Agentur war für ihre Gewalttätigkeit berüchtigt, besonders bei der Niederschlagung von Streiks – wofür die Pinkertons oft von Industriebossen angeheuert wurden. Hammett selbst war bei solchen Arbeitskämpfen als Detektiv tätig gewesen. Von seinen Erfahrungen demoralisiert und von Tuberkulose geschwächt, gab Hammett den Detektivberuf auf und widmete sich dem Schreiben, unter anderem als Autor von Krimikurzgeschichten für Groschenhefte wie das Black Mask Magazine. Ein ehemaliger Pinkerton-Kollege diente ihm als Vorbild für den kleinen, dicklichen und grobschlächtigen Continental Op, der 1923 erstmals in einer Kurzgeschichte auftauchte und den Hammett immer wieder in seinen Stories nutzte.
Nach einem schweren Blutsturz bekam der Autor eine Schwerbehindertenrente zugesprochen, die ihm nun unabhängiges Schreiben ermöglichte. 1927/28 erschien Red Harvest als Vierteiler in Black Mask, 1929 erstmals in Buchform – in beiden Versionen floppte es. The Maltese Falcon, der noch im gleichen Jahr erschien, kam mit seiner sympathischeren Detektivfigur Sam Spade und seiner klassischeren Mystery-Geschichte besser an. Zwei Jahre später griff Hammett im Roman The Glass Key die zentralen Themen von Red Harvest, politisch-wirtschaftliche Korruption und Gangsterkriminalität, wieder auf – diesmal bei den Lesern erfolgreicher. 1934 beendete der Autor seine literarische Karriere und engagierte sich fortan in linken und antifaschistischen Organisationen.
In Schriftstellerkreisen erfreuten sich Hammetts Stories und Romane rasch großer Beliebtheit: Der Franzose André Gide sprach ebenso seine Bewunderung aus wie der Brite Somerset Maugham. In den USA fand der Autor von Red Harvest in Raymond Chandler einen glühenden Verehrer: „He gave murder back to the kind of people that commit it for reasons, not just to provide a corpse.“ Chandlers eigene Stories und Romane (u.a. The Big Sleep) sowie seine Figur Philip Marlowe traten wenig später in die Fußstapfen Hammetts, seines Ops und seines Sam Spades.
Hammett und Chandler begründeten das hard-boiled Genre, in dem desillusionierte Detektive durch eine pessimistisch gezeichnete Welt gehen, um Verbrechen aufzuklären, aber an den Grundübeln der Gesellschaft nichts ändern können: die Blaupause nicht nur für ähnliche Revisionen des Krimiromans etwa in Frankreich oder Großbritannien, sondern auch für den US-amerikanischen film noir der 1940er Jahre.
Der Op schwingt das Schwert
Auch Red Harvest hinterließ seine Spuren im Kino – zunächst in Japan. Für den Samurai-Actionfilm Yojimbo ließ sich Akira Kurosawa 1961 maßgeblich vom Op-Roman und in Teilen auch von The Glass Key inspirieren: Ein herrenloser Samurai provoziert in einem Dorf einen tödlichen Kampf zwischen zwei rivalisierenden Banden. Der Erfolg des Films brachte nicht nur das Sequel Sanjuro (1962) hervor, sondern auch ein italienisches Remake mit dem Titel Für eine Handvoll Dollar, das der damals unbekannte Sergio Leone mit einem TV-Darsteller namens Clint Eastwood in Spanien drehte – und das den Startschuss für das Genre des Italowesterns gab. In den 1990er Jahren kehrte Red Harvest in die USA zurück, als Bruce Willis im Depressionsära-Actionfilm Last Man Standing und Jean-Claude Van Damme im mystisch angehauchten Inferno Provinz-Käffer von Gangsterbanden ‚säuberten’.
Red Harvest öffnete die Kriminalgeschichte und machte sie sogar für Samurai-Action und Westerns adaptionsfähig. Wenngleich ungeschliffener als The Maltese Falcon und als politisches Panorama weniger brillant als The Glass Key, zeigte Hammetts erster Roman das rohe, anarchische Potential auf, das dem Krimigenre innewohnt.
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