klassiquer: Chronist der Goldenen Zwanziger

(Foto: Victoria Benstead-Hume)

Francis Scott Fitzgerald war ein literarisches Wunderkind mit ausgeprägtem Gespür für den amerikanischen Zeitgeist. Trotzdem galten seine Werke – darunter The Great Gatsby – lange Zeit als streitbar.

von Anna

Auf dem Papier war die Zeit der Prohibition „trocken“. Doch nicht umsonst nennt man den Beginn der Zwischenkriegszeit die roaring twenties: eine Zeit der Extravaganzen und ausschweifenden Lebensstile, die die Fantasie nachhaltig beflügelte. Unzählige inspirierende Bücher und Filme entstanden in und zu der Ära der Goldenen Zwanziger. Ihr bekanntestes Gesicht war Jay Gatsby, den Francis Scott Fitzgerald 1925 der Welt präsentierte und immer wieder den Weg auf die große Leinwand fand, jüngst 2013 mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle.
Gatsbys Schöpfer, Fitzgerald, sagte über seinen Helden einmal, dieser habe sich zunächst entwickelt als ein Mann, den er kannte, um sich dann in Fitzgerald selbst zu verwandeln. Auch im kollektiven Gedächtnis sind die Personen Fitzgerald und Gatsby untrennbar miteinander verwoben: Ebenso wie sein Autor lebt Gatsby ein höchst luxuriöses Leben in New York und prägt dabei maßgeblich die Wahrnehmung Amerikas nach dem Ersten Weltkrieg bei seinen Zeitzeugen wie auch posthum. Die 20er Jahre waren eine Zeit der kulturellen Veränderung Amerikas, flankiert von großen Schriftstellern, deren Namen bis heute bekannt sind – Hemingway, Dos Passos, Faulkner, und eben Fitzgerald. Die Zwischenkriegszeit war literarisch von einer Ambivalenz geprägt: Desillusionierung einerseits und ein Gefühl optimistischer Freiheit auf der anderen Seite: “It seemed only a question of a few years before […] the world [would] be run by those who saw things as they were – and it all seemed rosy and romantic to us who were young then…”, sagte Gatsbys Schöpfer über seine Ära.
Hineingeboren in einfache Verhältnisse, reiste Fitzgerald in seiner Kindheit viel, bedingt durch die Anstellung seines Vaters als Handelsvertreter. Schon früh hatte er das Schreiben für sich entdeckt und veröffentlichte im Alter von 13 Jahren eine erste Detektivgeschichte in der Schülerzeitung. Trotz des wirtschaftlichen Misserfolges seines Vaters erlaubte das ererbte Vermögen der Mutter Fitzgerald eine fundierte Ausbildung. An der University of Princeton war Fitzgerald einige Semester eingeschrieben, bevor er die Hochschule verlassen musste, da er durch das Schreiben seine Kurse vernachlässigte.

Die dunkle Seite des amerikanischen Traums
Der Erfolg sollte dem Studienabbrecher Recht geben: 1920 veröffentlichte der 24-Jährige seinen ersten Roman, This Side of Paradise, der ihm zugleich Ruhm und Erfolg einbrachte. Bereits in der ersten Woche nach Erscheinen wurden mehr als 20.000 Exemplare des Erstlingswerks verkauft – für damalige Zeiten eigentlich unvorstellbar. Bis zum Ende seiner eher kurzen Karriere von 20 Jahren veröffentlichte er nebst mehreren Romanen etwa 160 Kurzgeschichten in diversen Magazinen. Sein zweiter Roman The Beautiful and the Damned (1922) avancierte ebenso zum Publikumserfolg. The Great Gatsby (1925) knüpfte daran an und gilt heute als das magnum opus des Verfassers. Der Roman wird oftmals als eine dunkle Seite des Amerikanischen Traums gelesen; seine Botschaft: Die großen Jugendträume enden meistens in Scheitern und Enttäuschungen.
Eher unfreiwillig wurde Fitzgerald als Held der roaring twenties gefeiert; seine Leserschaft nahm ihn gleichzeitig als Chronist und Vertreter der oberen Mittelschicht Amerikas wahr. Begründet liegt dieser Ruhm wohl vor allem darin, dass die Beschreibung seines extravaganten Lebensstils einen Großteil seiner Romane einnahm. So wurde er zu einer Ikone seiner Ära, was auch an dem großen Erfolg seines Erstlingswerks This Side of Paradise liegt, der ihn für immer mit dem hedonistischen Jazz Age verschmelzen lassen würde.
Das Leben des Autors lief fast spiegelbildlich zu dem seines bekanntesten Helden: An die ersten Erfolge schloss sich eine Phase des kommerziellen Misserfolgs an. Tender is the Night (1934), Fitzgeralds letzter vollendeter – und in seinen eigenen Augen großartigster – Roman, fiktionalisiert insbesondere die psychischen Erkrankungen seiner Frau Zelda und seinen Alkoholismus. Das Buch fiel in die Zeit der Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit, sodass die Leserschaft zu dieser Zeit klein blieb: Lediglich 13.000 Exemplare wurden in den ersten beiden Jahren verkauft. Wenngleich Fitzgerald immer davon träumte, von dem Erlös seiner Romane leben zu können, waren es während dieser Zeit die Kurzgeschichten, die für ein regelmäßiges Einkommen sorgten.

Harsche Kritik, späte Würdigung
Nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch war Fitzgerald stark abhängig vom Erfolg seiner Werke. Grundlage seiner Romane waren Erfahrungen und Gefühle, die er akribisch in einem Tagebuch notierte. Er schrieb stets über sich selbst oder über Menschen und Dinge, die ihm wohlbekannt waren. Genau diese Verwobenheit aber war es, die ihn von anderen Schriftstellern seiner Zeit mit Vorliebe für soziologisch präzise Milieuzeichnungen unterschied. Es war diese Eigenschaft seiner Romane, die entsprechend negative Urteile von zeitgenössischen Autoren und Kritikern nach sich zogen. Der bekannte Journalist und Kolumnist Westbrook Pegler beschrieb Fitzgerald bissig als einen „kindischen, heulenden Betrunkenen“. Sein Erfolg als Schriftsteller von Kurzgeschichten, die in diversen Hochglanzmagazinen erschienen, tat sein Übriges: Kritiker waren unsicher, ob er ein ernsthafter Romancier war, der manchmal für die breiten Massen schrieb, oder umgekehrt.
Auch Fitzgeralds Auseinandersetzung mit seinen eigenen Werken war eher von Zweifeln geprägt als von hoffnungsvollen Zukunftserwartungen, gepaart mit einem immensen Anspruch an sich selbst. Seinem Kollegen Edmund Wilson sagte er einmal: „Ich möchte einer der größten Schriftsteller sein, die jemals gelebt haben – du nicht?“ Über The Great Gatsby schrieb er an seinen Verleger, das Werk sei „gestorben, komplett und unfair“, nachdem er viel investiert habe. Gegen Ende von Fitzgeralds Leben wurde sein Gatsby aufgrund zu geringer Verkaufszahlen aus dem Verlagsprogramm genommen. Die Reputation von Werk und Autor wandelte sich erst nach seinem Tod 1940 zum Positiven, beeinflusst durch Initiativen von Freunden und Kollegen.
Als dann 1945 eine Neuauflage von The Great Gatsby veröffentlicht wurde, wurde diese begleitet von einem Vorwort Lionel Trillings (einer der bedeutendsten Literaturkritiker seiner Zeit), der konstatierte, Fitzgerald “is now beginning to take his place in our literary tradition.” Seit den 1950er Jahren nahm Fitzgeralds Ansehen bei Kritikern und Lesern immer weiter zu: Sein Biograf Arthur Mizener sagte über die 1920er Jahre und insbesondere über die Person Fitzgeralds: “The twenties were a time of greatness in American literature and a time of radical transformation in American society. For both these reasons it is well worth acquiring [an] understanding of their most representative writer.” Und es scheint, als hätten wir dieses Verständnis mittlerweile erlangt.


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