Was manche erst studieren, müssen andere bereits im Kindesalter praktizieren: Junge Dolmetscher vermitteln zwischen ihren Eltern und dem deutschen Alltag.
von Frank
„Als ich das erste Mal gedolmetscht habe, war ich etwa vier oder fünf Jahre alt.“ Wer diesen Satz am Nebentisch hört, wird vermutlich verdutzt aufhorchen. Für Katharina ist es einfach eine Kindheitserinnerung: Sie ist eines von zahlreichen Kindern aus Einwandererfamilien, die als sprachliche Brücke zwischen ihren Eltern und der Aufnahmegesellschaft fungierten.
Als sie etwa zwei Jahre alt war, kam Katharina mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland. Im Kindergarten lernte sie ohne große Probleme Deutsch. Ihre Eltern allerdings kaum. „Ich weiß nicht, wie meine Eltern das mit Briefen und Formularen gemacht haben, bevor ich richtig lesen konnte“, wundert sich Katharina heute. „Manchmal haben ihnen polnische Freunde bei der Übersetzung geholfen. Ein bisschen Deutsch konnten meine Eltern schon, aber sie haben wohl viel durch mich gelernt, wie sie später erzählten.“
Untersuchungen zu Deutschkenntnissen von Migranten zeigen, dass Kinder die deutsche Sprache meist deutlich besser beherrschen als die Elterngeneration. Bereits im Grundschulalter zeigen sich bei manchen zweisprachigen Kindern erstaunliche translatorische Fähigkeiten. „Die Kinder und Jugendlichen verfügen über Kompetenzen in beiden Sprachen, wobei die mündlichen Kenntnisse in der Erstsprache – aufgrund der mangelnden Förderung derselben – meist besser sind als die schriftlichen“, erklärt Dr. Vera Ahamer, die für ihre Dissertation an der Universität Wien das Phänomen jugendlicher Laien-Dolmetscher untersucht hat. „Sie haben aber natürlich nicht den gleichen Erfahrungshorizont wie Erwachsene – da unterscheiden sie sich nicht von Gleichaltrigen mit deutscher Erstsprache.“ In bestimmten Bereichen führe darum die Terminologie zur Überforderung der jungen Dolmetscher, etwa im Finanzamt oder bei Arztbesuchen. „Dadurch haben die Kinder oft den Eindruck, sie könnten gar nicht richtig Deutsch, obwohl sie mit Gleichaltrigen problemlos kommunizieren können“, beschreibt die Translationswissenschaftlerin. Gerade im medizinischen Kontext sind aber oft einzelne Worte entscheidend; Falsch-übersetzungen können hier verheerende Folgen haben. Das ist ein Grund für die enorme psychische Belastung, unter der die jungen Dolmetscher oft stehen. Angst oder Scham können dabei eine Rolle spielen, aber auch profanere Situationen bilden eine Herausforderung – etwa, wenn Gespräche zwischen Eltern und Lehrern gedolmetscht werden. „Wenn man selbst übersetzen muss, dass man die Hausaufgaben zu oft nicht gemacht hat, ist das kein gutes Gefühl“, erinnert sich Katharina.
In derartigen Situationen habe das Phänomen des dolmetschenden Kindes eindeutig mehr Nachteile als Vorteile für alle Beteiligten, so Vera Ahamer. Das Übersetzen sei nicht per se schlecht, aber es mache einen wesentlichen Unterschied, wo gedolmetscht wird: „In einem geschützten Bereich, etwa im Unterricht, kann man so die Mehrsprachigkeit spielerisch fördern. Aber in einem ungeschützten Bereich, etwa einer Behörde, erlebt es das Kind als Belastung.“ Der Kontext sei somit ausschlaggebend dafür, wie die Heranwachsenden das Dolmetschen erleben. In Gesprächen mit ehemaligen Laiendolmetschern hat die Wissenschaftlerin durchaus auch positive Rückschauen gehört: „Viele sagen retrospektiv schon, dass es manchmal auch Spaß gemacht hat und dass sie gelernt haben, selbstständig zu sein. Aber fast immer ist die Quintessenz: ‚Es war eigentlich eine Belastung, denn ich musste etwas tun, was in anderen Familien die Eltern für ihre Kinder tun.’“ Dieser Rollentausch, bei dem das Kind zum Repräsentanten der Familie nach außen wird, eventuell sogar manche Angelegenheiten schon im Alleingang regelt, könne in der Familie zu Spannungen führen. So auch bei Katharina: Als sie etwa 14 Jahre alt war, geriet sie in einen heftigen Streit mit ihrem Vater. „Er meinte, ich würde falsch übersetzen und arrogant werden. Danach habe ich es nicht mehr gemacht.“
Heute wird Katharinas Übersetzungshilfe nur noch erbeten, wenn es etwas wirklich Schwieriges gibt; ihre Eltern kämen mittlerweile alleine besser zurecht. „Wenn ich das so erzähle, denkt man doch für einen Moment: So reden Eltern eigentlich über ihre Kinder!“, sagt sie nachdenklich, und fügt dann hinzu: „Ich glaube, das war das Verrückte an dieser Situation: Dass ich irgendwie die Erwachsene war.“
Die Studie von Vera Ahamer ist unter dem Titel „Unsichtbare Spracharbeit“ im transcript-Verlag erschienen.
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