Lokal global denken: Plastikfreies Jena?

Insbesondere in der Lebensmittelindustrie steht die Umweltfreundlichkeit der Verpackung immer stärker im Fokus. Wie wird das Plastikproblem in Jena gehandhabt?

von Lea & Jacky

Im Pazifischen Ozean schwimmt eine Plastik-Insel von der Größe Frankreichs. Ein offizielles Land sind die sogenannten „Trash Isles“ noch nicht, doch 2017 starteten Umweltschützer das Projekt, sie als unabhängiges Land von der UN anerkennen zu lassen. Als offizielles Mitglied würden sie von der UN-Umweltsatzung beschützt werden – andere Länder wären also verpflichtet, dort aufzuräumen. Um den öffentlichen Druck zu verstärken, unterzeichnen Menschen in aller Welt, dass sie offiziell Bürger dieses Landes werden wollen. Und tatsächlich ist dieses Projekt gar nicht so unrealistisch. Denn die „Trash Isles“ erfüllen bereits die meisten Bedingungen für eine Staatsgründung: die Insel hat ein definiertes Staatsgebiet, eine Regierung und die Möglichkeit, mit anderen Staaten zu kommunizieren. An der permanenten Bevölkerung wird noch gearbeitet. Forschern ist dieser Müllberg bereits seit 20 Jahren bekannt und nun beginnen langsam ernstzunehmende Aktionen – längst überfällig, denn Experten glauben, dass es bis 2050 mehr Plastik in unseren Ozeanen geben wird als Fische.
Gerade Deutschland steht laut Studien des Naturschutzbund Deutschland ganz oben, was die Konsum- und Müllflut betrifft. In kaum einem anderen EU-Staat werfen die Bürger so viel weg wie hierzulande: Über 37 Kilogramm Verpackungsmüll je Bundesbürger landeten 2015 in der Tonne, sechs Kilo mehr als im EU-Durchschnitt. Dabei werden hierzulande knapp 60 Prozent des produzierten Plastiks für Verpackungen verwendet (Stand 2015); seit 1995 hat sich damit der Anteil der Verpackungsabfälle aus Kunststoff mehr als verdoppelt. Die Gründe hierfür sind die erhöhte Produktion von Plastikflaschen, der Verkauf von vorverpackten Frischwaren im Supermarkt, der neue „To-Go“-Trend und die aufwändigere Gestaltung von Verpackungen. Kunststoff hat Papier und Karton zum Großteil ersetzt. Warum? Weil er billiger zu produzieren ist.

Umdenken per App und Einkauf
Dass die Themen Nachhaltigkeit und Verpackungsreduktion zu wenig präsent sind, finden auch Maxim Hazilov und Kati Fröhlich aus Jena. Während Maxim der Gründer der Sushi Ninjas ist, hat Kati im Sommer 2017 den Laden „Jeninchen – Fröhlich Unverpackt Einkaufen“ im Damenviertel eröffnet – einer von etwa 70 neu eröffneten Unverpacktläden in ganz Deutschland. Maxim und Kati möchten nun ebenfalls einen eigenen Beitrag zur Minimierung des Plastikkonsums leisten. Als Lebensmittelhändlerin hält Kati die Kunden dazu an, im Jeninchen einfach ihre eigene Verpackung zu befüllen. Bei Maxims Imbissstand ist das rechtlich nicht möglich – so ersetzt dieser die Plastikverpackung nun durch Pappkartons. Verpackungslos versus Pappersatz – trotz unterschiedlicher Herangehensweisen eint beide Jenaer Geschäftseigentümer ein identisches Ziel: den Kunden ökologische Alternativen zur Plastikverpackung zu bieten und für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.
Damit sind Kati und Maxim Teil eines verbreiteten Umdenkens, denn insgesamt scheint sich der enorme Plastik-Trend der letzten Jahrzehnte nun zu wandeln. Die Aufmerksamkeit für mehr Nachhaltigkeit und Unverpackt-Konzepte rückt in den Fokus vieler Konsumenten. Damit einhergehend finden Nachhaltigkeits-Apps langsam Einzug in die App-Stores. Die App „CodeCheck“ zeigt beispielsweise an, ob sich in einem Produkt Mikroplastik befindet, „Peta Zwei“ ist ein veganer Einkaufsguide und mit der App „too-good-to-go“ kann noch gutes Essen von Restaurants abgeholt und vor dem Müll gerettet werden. Letztere gibt es jetzt übrigens auch für Jena. All diese Bewegungen – Müllvermeidung, Recycling, Second-Hand, veganes Essen  – greifen Hand in Hand, wenn es um eine ökologisch nachhaltigere Gestaltung der Umwelt geht.
Diese Trends gehen im studentischen Jena stark mit dem kritischen Hinterfragen der Plastikverpackung in der akademischen Kultur einher. Studien belegen, dass der Bildungsgrad positiv mit der Bekanntheit des Nachhaltigkeitsbegriffs korreliert, dasselbe gilt laut taz für die stärkere Ausrichtung des eigenen Lebensstils und Konsumverhaltens an Umweltbewusstsein und Ökologie. Ob aus diesem Grund oder doch durch die hohe Akademikerquote in Jena: Studenten machen einen Großteil des Klientels von Jeninchen und Sushi Ninjas aus. Bis auf ihre Internetpräsenz und wenige auf Altpapier gestempelte Flyer macht Kati kaum Werbung für Jeninchen. Muss sie auch nicht. „Mundpropaganda ist hier in Jena die beste Werbung und sorgt für reichlich Kundschaft“, erklärt uns die 43-Jährige. Mittlerweile hat der Loseladen bereits eine solide Basis an Stammkunden, die ihren Wocheneinkauf gerne verpackungsfrei erledigen.
Auch Maxim hat bislang nur positive Rückmeldungen bekommen. „Das Feedback der Kunden zu den neuen Verpackungen war extrem positiv. Niemand scheute die Mehrkosten von 10 Cent für eine umweltfreundlichere Verpackung und es gab viel Lob für die Maßnahme“, bemerkt er erleichtert und erfreut. Nahezu zeitgleich mit Sushi Ninjas hat der bekannte Imbiss Fritz Mitte der Plastikverpackung den Kampf angesagt und ebenfalls auf recyclebare Pappverpackungen umgestellt.

Vermeiden statt verbessern
Doch Alternativen zu Kunststoffverpackungen sind genauso sorgsam abzuwägen. Pappkartons sind zwar ökologisch vorteilhaft, doch aus dem gedruckten Altpapier können gesundheitsgefährdende Mineralöle in die Lebensmittel übergehen. Frischer Zellstoff dagegen ist ökologisch problematisch, zudem haben Chemiker auch hier in verpackten Lebensmitteln Mineralöle nachgewiesen. Auch Biokunststoff stellt noch keine Lösung dar, da der dazu nötige Maisanbau sehr energieintensiv ist und die Umwelt durch hohe Düngermengen belastet. Supermärkte wie Aldi oder Lidl testen jedoch schon neue Verpackungsalternativen wie Graspapier, Zuckerrohrschalen und Lasercodes direkt auf dem Obst und Gemüse. Dennoch empfiehlt die Verbraucherzentrale, so weit wie möglich unverpackte Lebensmittel zu kaufen.
Auf Bundesebene wird trotzdem eher auf Verpackungsverbesserung statt -vermeidung geachtet. Gemäß der „Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie“ von Anfang 2017 soll sich die Plastikproduktion zukünftig weg von fossilen Rohstoffen wie Erdöl entwickeln und stattdessen stärker mit nachwachsenden Rohstoffen oder Kohlendioxid gearbeitet werden. Zudem soll Kunststoff möglichst langlebig gestaltet und recyclebar sein. Inzwischen werden in Deutschland bereits 99 Prozent der Verpackungsabfälle aus Kunststoffenergetisch oder stofflich wiederverwertet, eine weltweite Vorzeigequote. Die Ziele zur Plastikvermeidung sind dagegen wenig konkret: Unter den Punkten „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ und „Maßnahmen zum Klimaschutz“ will die Bundesregierung vor allem die Informationsangebote für Verbraucher, Unternehmen und Verbände ausbauen – auch im Onlinehandel. Das Bildungsprogramm an Schulen soll mit Wissen zur Nachhaltigkeit ergänzt und das Umweltsiegel „Blauer Engel“ durch weitere Produkte im Portfolio ausgebaut werden.
Konkreter sind hingegen die Bestimmungen in Frankreich. 2016 wurden bereits kostenlose Plastiktüten aus den Geschäften verbannt – und mit dem Energiewende-Gesetz „Energy Transition for Green Growth“ soll nun auch Plastikgeschirr bis 2020 verboten oder durch biologisch abbaubare Alternativen ersetzt werden. Europa sieht dem mit zwei Gesichtern entgegen: Einerseits folgen Länder wie Deutschland dem vorbildhaften Beispiel, andererseits hagelt es harsche Kritik – gerade bei europaweiten Verpackungsverbänden wie „Pack2go“.

Verpackungsfrei auf lokaler Ebene
Auch die Stadt Jena hat längst Ziele im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie definiert. Die von der UN verabschiedete 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung mit 17 allgemein gültigen Zielen wurde von Jena unterzeichnet. Ein Praxisbeispiel liefert bereits heute die darin verankerte Förderung nachhaltiger Landwirtschaft: Seit 2014 unterstützt die Stadtverwaltung das Projekt „Essbare Stadt“, bei dem auf kommunalen Flächen Lebensmittel angebaut werden, die von jedermann geerntet werden dürfen. Die Urban-Gardening-Initiative findet seither starken Zuspruch unter den Anwohnern und betreibt heute mehrere öffentliche Beete in Jena. Seit Winter 2017 hat außerdem das Studierendenwerk Thüringen eine Initiative zur Verpackungsreduktion gestartet und bietet nun für 5 Euro wiederverwendbare Becher aus Bambus – sogenannte „TreeCups“ – als Alternative zu Einwegkaffeebechern an.
Einem nachhaltigen Getränkekonsum soll auch durch das Umweltprojekt „Refill Deutschland“ der Weg geebnet werden. Hierbei deklarieren sich Geschäfte durch einen Aufkleber an der Tür als Nachfüllstation für leere Wasserflaschen und motivieren so Menschen zur Wiederbefüllung statt zum Kauf von Plastikflaschen. Ein solcher Refill-Türsticker ist unter anderem beim Unicafé, dem Copyshop Unikate und Jeninchen zu finden.
Diese Möglichkeiten, den Plastikgebrauch im Rahmen des alltäglichen Konsums gezielt zu umgehen oder zu vermindern, hängen aber vom Konsumverhalten des Kunden ab. Wie in Jena reagieren Geschäftsinhaber durchaus auf die Anregungen und Wünsche ihrer Kunden. Der einzelne Beitrag kann schon viel leisten.


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