Die Universität Jena lud zur Verleihung des Preises für Internationale Verständigung und Menschenrechte der Ulrich-Zwiener-Stiftung. Aus diesem Anlass gab es eine Pressekonferenz sowie eine anschließende Laudatio und Podiumsdiskussion mit der ersten muslimischen Friedensnobelpreisträgerin, der Iranerin Shirin Ebadi.
von Babs
Um zwei Uhr nachmittags des 8. Mai betritt eine kleine Frau mit resolutem Schritt den Senatssaal im Universitätshauptgebäude. Sie wird begleitet von Frau Zwiener, der Frau des verstorbenen Stiftungsgründers, deren Sohn Hendrik und einem Dolmetscher, um einigen Reportern lokaler Medien Fragen zu beantworten.
In der Mitte sitzend wirkt die Trägerin des Friedensnobelpreises 2003 sehr klein, doch dieser Eindruck verfliegt jäh, als sie zu sprechen beginnt. Sie hat eine sichere, laute Stimme, redet langsam und deutlich. Schon in den ersten Minuten gelingt es ihr, durch ihre Präsenz das Gespräch zu steuern. Seit 1994 setzt sich Frau Ebadi unermüdlich für die Rechte von Frauen, Kindern und anderen Menschen ein, denen sonst niemand mehr rechtlichen Beistand leisten möchte.
Wechselseitiger Respekt ist unerlässlich
Sie fühle sich in Deutschland sehr wohl, sagt sie, und werde hier sehr herzlich aufgenommen. So gehe es nicht nur ihr. Vielen Iranern würde, ihrer Erfahrung nach, hier sehr aufgeschlossen begegnet. Sie geht auf die vielbeachtete Rede des Ex-Bundespräsidenten Wulff ein, der sagte, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Sie weist auf die muslimischen Einwanderer hin, die schon seit Jahren in Deutschland leben und ermahnt, dass für eine ruhige und friedliche Gesellschaft gegenseitiger Respekt unerlässlich sei.
Seit Shirin Ebadi im Juni 2009 zu einem Vortrag nach Spanien aufgebrochen war, von dem sie drei Tage später zurück nach Iran hatte fliegen wollen, ist sie nicht mehr in ihr Heimatland zurückgekehrt. In dieser Zeit fanden die Präsidentschaftswahlen im Iran statt. Da sie schon zuvor Opfer staatlicher Übergriffe geworden war, rieten ihr Freunde, nicht zurückzukehren.
Ein kultureller Genozid
Seitdem lebt sie im Exil in London. Dies ermögliche ihr politische Partizipation – auch wenn es sie persönlich sehr schmerze. Ihr Mann musste sich im Fernsehen von ihr distanzieren, ihre Konten wurden eingefroren, sie berichtet sogar von der Beschlagnahmung ihres Nobelpreises.
Die Menschenrechtsaktivistin zieht Parallelen zum Leben in der DDR, berichtet von ihrem ersten Besuch in Berlin, noch vor dem Mauerfall. Westberlin erlebte sie als Stadt voller Freude, Licht und Leben. Ostberlin hingegen erschien ihr viel dunkler. Auch sieht sie Ähnlichkeiten in der Form der Repressalien gegen Oppositionelle. Obwohl die Diktaturen in der DDR und in Iran auf unterschiedlichen Ideologien aufbauten, sei doch die Form der Unterdrückung dieselbe: Nur regimetreuen Staatsbürgern wird der Zugang zu Bildung gewährt – und somit eine Art kulturellen Genozids verübt. Noch heute hält Frau Ebadi Kontakt zu ihren Mitarbeitern im „Zentrum für Menschenrechte“ in Teheran, das sie 2002 mitbegründete. Sie hat ihre Wege, die Abhörung der Telefonanschlüsse Oppositioneller zu umgehen.
Auch die Frage nach ihrer Einschätzung der Situation zwischen Iran und Israel darf nicht fehlen. Sie antwortet ausführlich, beschreibt, wie viele Israelis in ihren Heimatort gepilgert sind, da dort die Grabstätte der jüdischen Königin Ester liegt, und es trotzdem nie Probleme gab. Erst mit der Revolution 1979 sei das Feindbild Israel installiert worden, jedoch glaube sie nicht, dass es um die Solidarität mit den in Palästina lebenden Muslimen ging. Sie vermutet vielmehr, der Iran versuche, junge, verzweifelte Muslime zu instrumentalisieren. Dies könne aber nicht die Meinung der Bevölkerungsmehrheit dieser beiden Länder sein, betont sie, und verweist auf die Facebook-Kampagne: „Iranians, we love you“. Sie appelliert an alle, die Situation nicht nur unter dem Aspekt aktueller Entwicklungen zu betrachten, sondern sich vielmehr auch an 5.000 Jahre friedlichen Zusammenlebens zu erinnern.
Stell dir vor, eine Nobelpreisträgerin ist in Jena, und niemand geht hin
Danach bricht sie die Pressekonferenz resolut ab, da ihr Dolmetscher müde sei, und macht darauf aufmerksam, dass wir alle nur einmal denken und reden müssten, er jedoch doppelt.
Dafür, dass die erste muslimische Friedensnobelpreisträgerin hier über die Vereinbarkeit der Menschenrechte mit dem Islam diskutieren möchte, ist die Aula des UHG erschreckend leer. Frau Ebadi freut sich sichtlich über die Auszeichnung, dotiert mit 2.500 Euro, sieht sie als Ermutigung für sich und all die, die sich für die Errichtung einer Gesellschaft der Ruhe und des Friedens in Iran einsetzen. Sie wolle ihr Preisgeld nutzen, um weiterhin Familien inhaftierter Oppositioneller zu unterstützen.
Jenas erster Bürgermeister, Frank Schenker, gratuliert Frau Ebadi und erzählt, wie er in der DDR Handzettel gegen eine vermeintlich freie Wahl verteilte, und wie unglaublich das Gefühl gewesen ist, zum ersten Mal eine Wahl nach demokratischen Grundsätzen zu erleben. Er wünscht Shirin Ebadi, dass auch sie eines Tages in den Iran zurückkehren kann, und in ihrem Land freie Wahlen und Freiheit erleben darf.
Die Preisträgerin betont in der folgenden Diskussion, die von ihr realpolitisch, von den übrigen Diskussionsteilnehmern jedoch sehr akademisch geführt wird, dass der Islam den Menschenrechten nicht widerspreche. Dies würden auch die aktuellen Demokratiebewegungen zeigen. Sie berichtet erneut von den vielen Studierenden, die in Iran unter starken Repressalien zu leiden haben.
Kehrt zurück, um Iran zu verändern
Deren Einsatz für Freiheit und Demokratie führt die jungen Menschen häufig ins Gefängnis. Daher suche sie gerade zu Studierenden den Kontakt, um sie für den Kampf für Freiheit zu mobilisieren – schade nur, dass von ihnen so wenige in Jena erreichbar waren.
Der wohl bezeichnendste Satz des Abends blieb jedoch die Antwort auf die Frage eines jungen iranischen Journalisten. Er wollte wissen, welche Möglichkeiten der Partizipation junge Leute hätten, die im Ausland leben. Ebadis energische Antwort: „Saugt all eure Erfahrung auf – und kehrt zurück, um Iran zu verändern.“
Die Facebook-Kampagne „Iranians, we love you“ findet ihr unter: facebook.com/LoveAndPeaceCampaign
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