„Presse muss geschützt werden, weil sie besonders unter Druck steht“ (Langfassung)

Pressefreiheit-Karte von Reporter ohne Grenzen (Klick zur Großansicht)
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Zwischen Lügepressevorwürfen und Drohungen: Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, spricht mit unique über Einschränkungen der Pressefreiheit, Gegenmaßnahmen und das sich wandelnde Selbstverständnis der Branche.

unique: Herr Überall, wenn wir auf die Weltkarte von Reporter ohne Grenzen für 2017 blicken, ist es gerechtfertigt, dass Deutschland noch die Bestnote erhält?
Frank Überall: Auch wenn wir Einschränkungen in der Pressefreiheit haben: Unsere professionell erstellte Medienlandschaft ist immer noch relativ vielfältig und Journalisten und Journalistinnen können hier immer noch recht frei arbeiten. Das ist in anderen Ländern anders. Insofern leben wir ein Stück weit auf der Insel der Glückseligen. Aber auch wir haben Probleme.

Jammern wir also auf hohem Niveau?
Bei einem Menschenrecht wie der Pressefreiheit ist jegliche Einschränkung beklagenswert. Insofern fällt es mir schwer, von einem hohen Niveau zu sprechen. Wir haben Probleme in Deutschland, zum Beispiel Übergriffe auf Journalisten und Journalistinnen bis hin zu Menschen, die mit dem Auto ins Verlagsgebäude fahren, weil sie sich geärgert haben, in diesem Fall beispielsweise über den Abdruck von Mohamed-Karikaturen. Das hat eine neue Qualität gewonnen. In den vergangen 20 Jahren habe ich als Journalist selbst viel über rechtsextreme Demonstrationen berichtet. Früher war es so, dass man mal beschimpft wurde. Da haben sich die Nazis, damals noch ganz klassisch mit Glatze und Springerstiefeln, zu den Journalisten umgedreht und gerufen: „Wir kriegen euch alle!“ Das war nicht schön, aber es tat nicht wirklich weh. Anders ist es allerdings, wenn es einen ganz persönlich betrifft. Wenn man den Feuerwerkskörper vor die Füße geworfen bekommt; wenn Bierflaschen fliegen, an Polizeiautos zerschellen und sich die Scherben in alle Richtungen verteilen. Das ist wirklich gefährlich. Wenn man persönlich angegangen und körperlich bedroht wird, die Hassbotschaften im Internet. Dann die Gesetzeslage in Deutschland, wo viele Dinge die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen einschränken, etwa die Vorratsdatenspeicherung: Wir können Informanten und das Redaktionsgeheimnis kaum noch schützen. All das schränkt die Pressefeiheit in Deutschland auch ein. Da werden wir nicht müde, weiterzukämpfen.

Sie haben Ihr Amt Ende 2015 angetreten, also in einer aufgeheizten Situation. Wie würden Sie im Rückblick Ihre ersten Erfahrungen in diesem Amt beschreiben?
Zum einen habe ich die Situation im Bundesvorstand vorher schon ein bisschen mitbekommen – als Medien- und Politikwissenschaftler sowieso. Ich habe mich auch häufiger öffentlich dazu geäußert. Ich habe diese Bedrohung der Kollegen und Kolleginnen, etwa bei Demonstrationen, sofort zur Chefsache gemacht. Wir haben zum Beispiel einen Watch-Blog gestartet: augenzeugen.info. Das ist sehr gut angekommen und hat unter anderem dazu geführt, dass wir zwei Mal im Kultur- und Medienausschuss des Bundestages vortragen durften; dass wir in den Landesverbänden mit verschiedenen Landespolitikern gesprochen haben, die zum Teil erst dadurch auf die Situation aufmerksam wurden – was einzelne Polizisten oder Behördenleiter vor Ort erleben, wird nicht unbedingt ins Innenministerium gemeldet. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Presse besonders geschützt werden muss, weil sie auch besonders unter Druck steht. Es kann nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen mit Bodyguards auf Demonstrationen gehen, um berichten zu können. Insofern war das eine Herausforderung, die auch im Gespräch mit Polizeigewerkschaften, mit Politikern, mit verschiedenen Experten und über augenzeugen.info mit Augenzeugen gut angegangen werden konnte. Wir haben dabei das getan, was wir am besten können, nämlich die Situation zu beschreiben. Das geschah in Interviews oder eigenen Texten von Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus gab und gibt es natürlich eine ganze Reihe von Herausforderungen, die mit dem Amt zusammenhängen, zum Beispiel Gesetzesvorhaben, zu denen wir auch gehört werden. Als Ehrenamtler ist das wirklich eine Herausforderung, weil man sich ständig neu in Gesetzesvorhaben einarbeiten muss, um den politischen Kern herauszuschälen. Natürlich habe ich dabei Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber letzten Endes muss ich es nach außen vertreten. Die Arbeit macht Spaß, sie ist aber auch anstrengend. Und es gehört natürlich nicht nur die Repräsentation im Bereich der Politik, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit dazu.

So hatten Sie beispielsweise anlässlich des AfD-Parteitags ein Thesenpapier veröffentlicht. Allerdings haben Sie in den letzten Monaten selbst immer betont, Journalisten sollten nicht „über jedes Stöckchen springen, das die AfD ihnen hinhält“. Verschafft so ein Thesenpapier der Partei aber nicht ebendiese Aufmerksamkeit?

Zum einen ist völlig klar, dass zu einem Bundesparteitag, gerade einer solchen populistischen Partei, sehr viel berichtet wird. Letzten Endes muss man sich damit auseinandersetzen, was die AfD tut – ob man das dann nur auf der Ebene „Petri streitet sich mit irgendwem“ macht oder eben auch auf den inhaltlichen Kern zu sprechen kommt. Und für uns als Journalistengewerkschaft ist dieser inhaltliche Kern die Pressefreiheit! Dieses Thema hätte sonst nirgendwo eine Rolle gespielt. Es hätten sich wieder einzelne Kollegen beklagt, dass sie nicht über den Konvent berichten dürfen, weil sie nicht zugelassen wurden. Wir haben im Tagungshotel das Café angemietet und dort ein alternatives Pressezentrum eröffnet, um Journalistinnen und Journalisten, die nicht hereingelassen werden, die Möglichkeit zu geben sich mit uns auszutauschen und so Öffentlichkeit herzustellen. Ich finde es wichtig, deutlich zu machen, was die AfD im Medienbereich eigentlich will. So wie sie mit den Medien umgeht, ist sie aus meiner Sicht pressefeindlich. Da die Pressefreiheit Verfassungsrang hat, muss man die Partei fragen: Wie hält sie es denn mit der Verfassungstreue? So wie sie im Moment damit umgeht, ist meine Einschätzung: Sie ist tendenziell verfassungsfeindlich.
Mit dem Stöckchenspringen meine ich, dass man nicht auf die gezielten Provokationen der AfD eingehen sollte – dafür gibt es ja regelrechte Regiebücher – und dann über absurde Äußerungen von Frauke Petri oder Frau Storch eine ernsthafte Debatte führt. Wir haben es mit dem politischen Konzept des Populismus zu tun; es geht um Aufmerksamkeit. Da müssen wir an der einen oder anderen Stelle nachdenklicher werden. Aber die Grundsatzfragen müssen wir als Gesellschaft diskutieren – und da sind wir, der DJV, als Nichtregierungsorganisation auch Teil der Gesellschaft.

Vorwürfe gegen die „Lügenpresse“ häufen sich. Sehen Sie in dieser Situation vielleicht auch eine Chance? Oder hat diese Debatte nur negative Auswirkungen?
Lügen bedeutet – wenn man in den Duden schaut – die Wahrheit zu kennen und das Gegenteil zu sagen beziehungsweise zu berichten. Die meisten Leute wissen, dass das vollkommener Unsinn ist. Selbst die Funktionäre der AfD gehen mittlerweile dazu über, eher von „Lückenpresse“ zu sprechen – sie meinen, dass wir Relevantes weglassen würden. Das sehe ich nicht so. Aber das ist ein gesellschaftlicher Diskurs, den wir führen müssen. Damit sind wir in einer Situation, die wir früher nicht kannten. Früher sind wir sozusagen als Prophet auf den Berg gestiegen und haben gesendet, aber nicht empfangen. Es gab vereinzelte Zuschriften von Lesern oder Hörern. Auf einmal sind wir heute – auch durch die sozialen Netzwerke – in der Situation, unseren Beruf erklären zu müssen. Für uns ist das noch eine neue Herausforderung. Aber der Diskussion müssen wir uns stellen, und das tun wir auch zunehmend. Wir haben dadurch in der Tat eine Chance, nämlich die, unseren Beruf noch einmal zu erklären und den Leuten auch zu sagen, warum sie eigentlich für Journalismus bezahlen sollen. Das ist heute auch nicht mehr selbstverständlich; man meint, dass man alles gratis bekommen kann. Aber wenn es Hochqualifizierte erstellen, kann das auf Dauer nicht funktionieren. Man kann sich nicht nur von irgendwelchen Anzeigeneinnahmen finanzieren. Besonders im Netz kann das nicht funktionieren. Journalismus kostet Geld! Das deutlich zu machen, ist unsere Aufgabe. Gleichzeitig geht es darum, unser Handwerk zu erklären: Wie machen wir eigentlich Nachrichten, wie machen wir Berichte und wie machen wir ein Feature oder Einordnungen? Und was ist der Unterschied? Ein Kommentar ist etwas ganz Persönliches, eine Kommentierung des Geschehens, bei der subjektive Haltungen gefragt sind. Man muss in der Öffentlichkeit über journalistische Genres aufklären. Neutralität wird als Maßstab auch nicht immer am einzelnen Artikel angelegt, sondern insgesamt an die Berichterstattung in dem Medium und in der Pressevielfalt.

Stichwort Lückenpresse: In der Debatte um Ziffer 12 des Pressekodex, zur Nennung der Nationalitätszugehörigkeit bei Straftaten, hat sich der DJV für die Beibehaltung des Passus ausgeprochen. Wie sehen Sie die Rolle des DJV in solchen Diskussionen?
Es geht darum, die Interessen der Journalistinnen und Journalisten nachhaltig zu vertreten. Es hat eine Präzisierung, aber keine Abkehr von diesem Prinzip gegeben. Wir brauchen in diesem Bereich handhabbare Regeln. Unsere Rolle erfordert es aus der Praxis heraus, nachzufragen, ob das noch handhabbar und aktuell ist oder ob es infrage gestellt werden sollte. Auch wir haben natürlich intern Diskussionen darüber. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir keine Angabe von Religion und Staatsangehörigkeit benötigen. Sonst müsste sie grundsätzlich erfolgen, auch wenn der evangelische Westfale oder der katholische Bayer etwas anstellt. In den Fällen, in denen es einen konkreten Zusammenhang mit der Tat gibt, nennen wir es ja, zum Beispiel bei der italienischen Mafia. Die Diskussion ist teilweise auch etwas aufgeheizt worden. Von rechtsextremer Seite wurde etwa versucht darzulegen, dass Ausländer deutlich überproportional kriminell seien. Das ist Unsinn und in Statistiken nicht zu finden. Solch populistischer Mittel wird sich bedient, um Politik zu machen. Es ist ja eine Einstellung, die in Teilen der Bevölkerung tatsächlich vorhanden ist. Sie muss sich in einem demokratischen System mit Meinungsfreiheit auch irgendwo im Diskurs wiederfinden. Die Frage ist nur, was wir daraus machen.

Wenn es um Themen mit Migrationsbezug geht, wird immer wieder beklagt, dass es eine Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergund in den Medien gibt. Ist problematisch, dass es zu wenige solcher Kollegen gibt? Werden sie andererseits für Nischenthemen herangezogen. Berichtet der türkisch-stämmiger Journalist am Ende immer über Migrationsthemen?

Das war sicherlich lange Zeit so. Aber es gibt viele Projekte mittlerweile. Es gab eine Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage im Bundestag. Darin war aufgelistet wieviele Sender und Medienunternehmen darauf achten, dass Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise in Volontariate kommen. Da tut sich was. Das brauchen wir auch dringend in der Medienwelt.

Sei es über soziale Netzwerke oder das Compact-Magazin – im Prinzip kann mittlerweile jeder „journalistisch“ arbeiten. Braucht es ein Prädikat, um Mediennutzer und Journalisten zu schützen und Fake News einen Riegel vorzuschieben?
Eine Lizensierung spielt darauf an, dass sie staatlich sein könnte. Das halte ich für absolut falsch. Ich hatte vor ein paar Jahren schon mal als Wissenschaftler in die Diskussion geworfen, dass man diejenigen positiv hervorhebt, die sich den Regeln des Pressekodexes anschließen. Aber man könnte sich überlegen, ein Referat oder Organ zu eröffnen; für die Einhaltung des Pressekodexes könnte dann ein Qualitätssiegel geführt werden. Das könnte für einzelne Autorinnen und Autoren oder Blogs gelten und könnte dann, ähnlich wie beim deutschen Spendensiegel, auch wieder aberkannt werden. Darüber könnte man nachdenken. Teilweise wird darüber in Podiumsdiskussionen und bei Fachveranstaltungen auch schon diskutiert. Als ersten Schritt müssen wir aber Medienkompetenz wieder in die Schulen und auch als Thema in die Gesellschaft bringen. Denn viele können nicht mehr unterscheiden, was die FAZ ist, was die Junge Freiheit ist, die taz, das Neue Deutschland… Manchen ist das wirklich nicht bewusst und das erschreckt mich immer wieder.

Können Sie uns Nachwuchsjournalisten abschließend drei Ratschläge mit auf den Weg geben?
Der erste Ratschlag: Wenn Sie nicht für diesen Beruf brennen, lassen Sie es sein. Dafür ist er zu anstrengend. Zweitens: Wenn Sie für diesen Beruf brennen, lassen Sie sich nicht davon abbringen. Dafür ist er zu schön. Und drittens: Fangen Sie nicht an, sich zu verbiegen. Dann suchen Sie sich lieber einen anderen Beruf. Dieser Job ist toll, aber nur dann, wenn man auch so berichten kann, wie es das Handwerk gebietet: unabhängig. Nur dann ist der Job auch so, wie er in dieser Gesellschaft sein muss.

Herr Überall, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führten Annegret & Frank.

Frank Überall ist Politik- und Medienwissenschaftler, Autor und Journalist mit Schwerpunkt Hörfunk. Seit 2015 ist er Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, der größten Journalistengewerkschaft Deutschlands.


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