„Man ist überall zuhause und nirgends“

(Foto: © SZ)
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Wolfgang Koydl, Auslandskorrespondent in der Schweiz, berichtet im Interview über sein Leben und den beruflichen Alltag in einem Land, das journalistisch eigentlich keine Konjunktur hat.

unique: Als Korrespondent in der Schweiz hatten Sie ja vermutlich – u.a. dank Uli Hoeneß – kürzlich mehr zu tun als sonst. Wie geht man als Auslandskorrespondent mit solchen „konjunkturellen Schwankungen“ des deutschen Medieninteresses um?
Koydl: Diese Schwankungen gibt es ja bei jedem Land – mal kommen Themen plötzlich hoch und dann sterben sie wieder weg. Ignorieren kann man solche großen Themen natürlich nicht. Es gibt Länder wie die USA, die eigentlich immer Konjunktur haben, und dann gibt es Länder wie etwa die Schweiz, die haben oft keine Konjunktur und in dieser Zeit macht man die Geschichten, die im Grunde genommen auch mehr Spaß machen, weil man sie sich selbst sucht, und die außerhalb des Mainstreams liegen. Dann kommt eben mal so etwas hoch wie der Steuerstreit. Ich finde das dann etwas langweilig, denn wenn ein Thema so durchgehechelt wird, gibt es nicht mehr viel Neues, was man dazu beitragen kann. Aber das ist eben Teil des Jobs.

Was würden Sie als größte Herausforderung oder größte Schwierigkeit in der Tätigkeit als Auslandskorrespondent bezeichnen?
Sich immer wieder auf das Neue einzustellen, in das jeweils Neue so einzudringen, dass man das Land verstehen kann. Es ist gleichzeitig das Wichtigste und das Schwierigste: meine Augen, meinen Geist und mein Herz für das Neue zu öffnen – ohne dass ich mich davon beeinflussen lasse, was ich vorher gehört habe oder was vorher war.

Sie waren auch als Korrespondent in der Sowjetunion. In einem autoritären Land bieten sich sicher besondere Schwierigkeiten…
Es gibt natürlich die alltäglichen Herausforderungen: dass man nicht ohne Weiteres an Leute herankommt, dass Behörden Probleme machen und Genehmigungen schwer oder gar nicht zu bekommen sind und dass man vorsichtig sein muss, seine Quellen nicht zu gefährden. Das ist eine Herausforderung, die auch einen besonderen Reiz ausmachen kann – aber im Großen und Ganzen ist es nicht reizvoll, sondern eher nervend. Aber dafür gibt es dann Erfolgserlebnisse, die schöner sind, als wenn man alles auf dem Silbertablett präsentiert bekommt.

Hatten Sie in den jeweiligen Ländern auch Austausch mit den einheimischen Journalisten?
Mit einheimischen Journalisten hat man weniger Kontakt. Man sieht sich bei Pressekonferenzen und ähnlichen Gelegenheiten. Aber der Unterschied ist: Ich blicke eben nach außen, sie blicken nach innen; man hat also andere Prioritäten. Darum gibt es erstaunlich wenig Berührungspunkte. Sie berichten intensiver, auch verengter, über ihr eigenes Land und haben einen anderen Bezug etwa zu ihren Politikern als jemand, der von außen kommt. Auch die Strukturen und Abläufe sind anders als für uns Auslandskorrespondenten. Man hat eher Kontakt zu den Kollegen, die für andere ausländische Medien berichten.

Aber versucht man nicht, gegenseitig vom Wissen des anderen um „sein“ Land zu profitieren?
Es gibt schon punktuelle Kontakte, etwa wenn ich Quellen oder Erklärungen brauche. Aber daraus entwickelt sich keine große Gemeinsamkeit. Es passiert mir und vielen Auslandskorrespondenten aber immer wieder: Wenn im Gastland ein großes deutsches Thema hochkocht, dann ruft ein amerikanischer Sender oder eine Schweizer Zeitung an und fragt mich nach einem Interview dazu! Dann muss ich denen leider sagen: Ich kann Ihnen gern etwas für die USA oder die Schweiz erzählen, aber ich habe keine Ahnung von Deutschland. Woher soll ich die innenpolitischen Verstrickungen in Berlin kennen? Der Trugschluss ist: „Der deutsche Journalist muss doch alles über Deutschland wissen!“

Sie waren bereits in so vielen verschiedenen Ländern als Korrespondent tätig – fühlen Sie sich mit einem davon besonders verbunden?
Jedes Land war auf seine Weise wunderschön, als ich dort war; man kann es aber nicht vergleichen, weil die private Lebenssituation jeweils eine ganz andere war: Mal war ich ledig und noch sehr jung, mal war ich frisch verheiratet, mal war unsere Tochter noch klein, dann größer… Insofern kann man nicht direkt vergleichen. Aber ich möchte keines missen und jedes war auf seine Weise schön.

Ein solcher Beruf ist sicher eine große Herausforderung für das Familienleben…
Ich hatte großes Glück, dass meine Frau dieses häufige Neu-Einstellen mitgemacht und auf eine eigene Karriere verzichtet hat. Wenn der Ehepartner eine eigene Berufslaufbahn verfolgt, dann ist es schwierig bis unmöglich, weil eine solche eigene Karriere ja nicht in allen Ländern parallel mitlaufen kann. Unsere Tochter hat nur ihr erstes Lebensjahr in Deutschland gelebt und ansonsten in allen möglichen Ländern. Zu Deutschland hat sie keinen richtigen Bezug – ob sie irgendwann entscheidet, zurück nach Deutschland zu gehen, wird sich zeigen.

Im Rückblick gesehen: Wie haben Sie sich durch die Erfahrungen als Auslandskorrespondent persönlich oder beruflich weiterentwickelt?
Der Horizont ist sehr viel weiter geworden. Man nimmt vieles nicht mehr so ernst, wie man es vorher genommen hat und betrachtet das eigene Land mit größerer Distanz – und ein bisschen entspannter, als wenn man ständig dort leben würde. Man findet manches auch komisch im eigenen Land. Parallel dazu geht es auch beruflich: Was man alles an Kulturen, Eigenheiten und Menschen kennenlernen kann, habe ich immer als ein ungeheures Privileg empfunden. Der Nachteil ist: Ich kenne ein bisschen was von vielen Ländern, aber bin eben kein Experte von einem. Und ein weiterer Nachteil: Am Ende des Berufslebens, vor dem ich jetzt bald stehe, weiß man nicht so richtig, wo man eigentlich zuhause ist. Man ist überall zuhause und nirgends. Es ist ein bisschen ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Aber man muss es positiv sehen: Jetzt werden meine Frau und ich uns eben eine Heimat suchen – und das ist auch ein Privileg.

Herr Koydl, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Frank.

Wolfgang Koydl, Jahrgang 1952, studierte an der Deutschen Journalistenschule in München und war danach als Korrespondent u.a. in London, Kairo, Moskau, Instanbul und Washington tätig. Seit 2011 berichtet er für die Süddeutsche Zeitung aus der Schweiz.

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