„Musik muss und will gespielt werden“

Sven Regener, Frontmann der Band Element Of Crime und Autor von Herr Lehmann und Neue Vahr Süd, kam im Rahmen der Herbstlese nach Erfurt. Beim Treffen mit der unique sprach er über sein neues Buch und erklärte, warum er nicht zweimal im Jahr Weihnachten feiert.

unique: Sven, du machst Musik, du schreibst Bücher, Filme hast du auch gemacht. Was bist du eigentlich? Literat oder Musiker?
Ich bin alles, wie Mephisto. Gut, ich male keine Bilder. Ich dachte auch erst, das ist ein bisschen suspekt, so Hans-Dampf-in-allen-Gassen-mäßig, aber letztendlich muss ich sagen, es geht. Ich meine, ich bin ja jetzt auch nicht so superfleißig, das ist jetzt der erste richtige Roman nach vier, fünf Jahren. Ich bin natürlich Musiker, damit ging’s los. Ich bin sicher, dass ich den Vertrag für den ersten Roman damals, also für Herr Lehmann, bekommen habe, weil ich eben als Musiker auch schon bekannt war. Es ist leichter dann. Klar, Verlage müssen auch rechnen und hatten schon mal ein Grundinteresse. Und ich habe mir damals ja extra einen Vertrag geben lassen, bevor ich das Buch geschrieben habe, nur mit dem ersten Kapitel, weil ich mir sonst selber nicht zugetraut hätte, das durchzuhalten – anderthalb Jahre an so einem Roman zu arbeiten ohne irgendwann zu sagen „Ach scheiß drauf. Das ist für die Schublade, was soll’s; da mache ich doch lieber ein paar neue Songs.“

Welchen Stellenwert hat eigentlich Literatur für dich? Sagst du „Das mache ich hier jetzt zum Hobby“?
Nein! Man gibt nicht anderthalb Jahre seines Lebens, um einen Roman zu schreiben, der einen nicht interessiert. Das kann man nicht und man würde es dem Roman sofort anmerken. Man muss ja nicht mögen, was ich mache, aber niemand wird bestreiten können, dass es an und für sich ein gültiges Werk ist. Aber das steht ja auch in keinem Widerspruch. Ich habe doch kein Problem damit, dass ich Trompete spielen kann und gleichzeitig einen Roman schreibe. Wo soll das Problem sein? Warum soll mich das eine am anderen hindern? Was ich nicht kann: Ich kann nicht gleichzeitig an einem Roman schreiben und an Songtexten arbeiten. Songtexte trägt man auch wochenlang mit sich rum, genauso wie das nächste Kapitel des Romans. Ich bin nicht einer, der jeden Tag schreibt, sondern jemand, der mal eine Woche lang nachdenken muss über das nächste Kapitel. Und das ist die ganze Zeit im Kopf und liegt da so rum. Man jongliert mit den Ideen dafür wie mit Bällen, und man denkt dauernd darüber nach. So ähnlich ist das bei Songtexten auch und das kann ich nicht gleichzeitig.

Das heißt, du musst dir dann schon eine Pause nehmen vom Musizieren, wenn du am Roman arbeitest?
Konzerte spielen geht. Aber in der Regel: ja, muss ich. Wir haben 2012 nichts gemacht mit der Band. Nicht, weil ich eine Pause nehmen wollte, sondern weil wir das ohnehin ab und zu mal machen. 1997 war auch so ein Jahr, und 2000. Deshalb habe ich damals mit dem Roman angefangen. Im Frühjahr 2013 haben wir zum Beispiel diese Tournee gemacht, wo wir in Clubs gespielt haben, zum Beispiel vier Mal hintereinander in der Fabrik in Hamburg. In dieser Zeit habe ich auch noch am Roman geschrieben.

Und Magical Mystery hast du 2012 geschrieben?
Ich habe im Herbst 2011 damit angefangen. Dann kam noch dieser Film dazwischen. Da habe ich dann eine Zeit lang tatsächlich auch mit dem Schreiben aufhören müssen. Das Drehbuch war aber relativ schnell fertig.

Du meinst Hai-Alarm am Müggelsee?
Genau. In den sechs Wochen, in denen wir den Film gedreht haben, habe ich zum Beispiel nicht am Roman geschrieben. Allerdings davor und danach schon. Aber dann musste ich mir auch die Zeit gewaltsam dafür freischaufeln. Dass man versucht, diesen ganzen anderen Kram, wie Marketing und Promo – wir waren ja auch Produzenten des Films – so weit wie möglich von sich fern zu halten. Gleichzeitig war es auch sehr gut und erfrischend, an dem Roman zu schreiben. 2012 ist das wesentliche Jahr gewesen. Dann habe ich 2013 bis Mitte Mai noch an dem Buch gearbeitet. Insgesamt etwa anderthalb Jahre.

Du sprichst von „gewaltsamen Freischaufeln“: Muss deine Band auch manchmal wegen des Buchs kürzertreten?
Nein, das mache ich nicht. Ich stehe dann morgens noch eine Stunde früher auf und schreibe eben eine Stunde ganz früh schon und habe etwas für den Roman getan. Das ist eher Gewalt gegen sich selbst. Nein, bei der Band war klar, dass wir 2012 nichts machen. Wir haben diese Band seit 27 Jahren und unter anderem geht es deshalb so gut, weil wir ab und zu auch mal nichts machen. Nicht immer müssen wir noch eine Sau durch’s Dorf jagen und dauernd präsent sein. Zumal wir ja seit Anfang der 1990er definitiv nur noch im deutschsprachigen Raum unterwegs sind, und das ist auch überschaubar. Du kannst nur so und so viele Tourneen machen, bevor du anfängst zu nerven. Wenn man nicht alle zwei oder drei Jahre eine neue Platte aufnimmt, muss man auch mal ein Jahr Ruhe geben. Das tut so einer Band auch sehr gut, so eine Art freies Jahr. 1997 haben wir das auch gemacht und da habe ich keinen Roman geschrieben. 2000 als das wieder so war, habe ich mir gesagt „Was machst du jetzt in der Zeit?“ Und da habe ich eben angefangen mit Herr Lehmann.

Thema Tour: Bist du eigentlich lieber auf Musik-Tour oder auf Lese-Reise?
Also, eine Tour ist natürlich was ganz anderes. Musik muss und will gespielt werden. Als Literat gibt es nicht zwingend diesen Zusammenhang, dass man das dann auch vorliest. Grundsätzlich ist es natürlich mit einer Band auf Tournee viel schöner: Band, Riesen-Crew, Catering-Service, man spielt in gigantischen Hallen, das ist natürlich super. Wobei ich sagen muss, mit den Lesungen habe ich mich mittlerweile auch angefreundet. Am Anfang, mit Herr Lehmann damals, wollte ich das erst gar nicht machen. Dann fiel mir auf, dass mir das ganz gut gefällt, weil es ja auch so einen eigenen Sound hat. Aber eigentlich kann man das gar nicht vergleichen, das ist ein bisschen wie „Was ist dir lieber? Weihnachten oder Ostern?“ Na ja, das eine ist Weihnachten, das andere ist Ostern. Will man jetzt also zwei Mal im Jahr Weihnachten feiern?

Warum findet man eigentlich nirgendwo eine Aussage von dir bezüglich deiner literarischen Vorbilder?
Das verrate ich nicht, und ich kann auch sagen warum: Weil das immer einen komischen Beigeschmack hat. Das hat was von Name-Dropping, also dass man versucht, sich mit fremden Federn zu schmücken. Wenn man jemanden nennt, den alle kennen, wirkt das sehr banal. Wenn man jemanden nennt, den keiner kennt, wirkt das so ein bisschen blasiert: „Ah, er kennt sich wohl ganz besonders aus oder was?“ Ich glaube, dass das in die Irre führt, wenn man einen Literaten das fragt. Wir wissen, dass John Lennon ein großer Elvis Presley-Fan war; John Lennon war vielleicht der weltgrößte Elvis-Fan überhaupt. Er selbst hat das natürlich nicht an die große Glocke gehängt. Du bist ja nicht John Lennon, von den Beatles, und erzählst jetzt allen, wie toll du Elvis findest, das funktioniert einfach nicht. Das macht man nicht. Das will Elvis auch nicht. Das nervt doch bloß. Was soll denn das bringen?
Die Frage nach den Vorbildern ist ja an sich legitim. Ich wurde mal gefragt, wer mein Lieblings-Dichter ist. Weil es eine Fernsehsendung war, musste ich irgendwas sagen. Dort ist ja immer nicht so viel Zeit, es kommt immer ein Moment der groben Signale, wo man irgendwas sagen muss. Und ich habe einfach Bertolt Brecht gesagt und da ist auch was dran. Ich wurde auch nur gefragt, weil ich vorher etwas über Knittelverse gesagt hatte: Dass ich versuche, sie zu vermeiden. Wahrscheinlich, wenn ich einen anderen Dichter genannt hätte, hätten die gesagt „Ja, aber der hat ja auch Knittelverse gemacht!“. Und bei Bertolt Brecht kann man das ja nicht sagen, insofern habe ich Glück gehabt. Aber im Grunde genommen will man sich auch gar nicht so entscheiden: mein liebster Dichter. Auch diese Ranglisten da, „Die zehn wichtigsten Platten meines Lebens“ – ich könnte es nicht sagen. Ich würde immer das Gefühl haben, dass ich etwas falsches schreibe.

Dein neuer Roman Magical Mystery handelt von Karl Schmidt: Wirst du eigentlich in Zukunft das Leben des Lehmann-Universums thematisch verlassen?
Das hängt davon ab, wann und wozu man gerade die beste Idee hat. Bei mir haben die Ideen sehr viel mit Personen zu tun. Die Idee für das Buch Herr Lehmann kam dadurch, dass ich mir diese Figur ausgedacht habe. Das erste Kapitel sollte eigentlich eine Kurzgeschichte werden, wo es darum geht, dass so ein Typ aus irgendeinem Grund einen Hund trifft und niemand sonst ist auf der Straße und der sieht sich dann so wie im Dschungel von diesem Tier bedroht. Das fand ich eine interessante Sache: Wie man sich da so rausarbeitet. Darüber habe ich eigentlich diesen Typen erfunden, und den fand ich dann viel zu schade für nur eine Kurzgeschichte. Dazu ist mir dann der ganze Rest eingefallen. Und das ist mir halt zu Karl Schmidt eingefallen: Ich hatte jetzt in den letzten zwölf Jahren mit ihm zu tun. Was ist eigentlich aus dem geworden, nachdem er in die Klapsmühle kam? Da ist die Idee untrennbar mit der Person verbunden. Insofern bin ich jemand, der eher wieder die gleichen Personen nimmt, weil es viel naheliegender ist, dass man eine Idee zu einer Person hat, die man schon kennt. Manche andere Leute bilden ihre Figuren mehr Leuten nach, die sie im richtigen Leben kennen. Ich modelliere mir erst eine Figur, die ich gar nicht kenne und dann bekomme ich dazu eine Idee. Aber das eine ist so okay wie das andere.

Es gibt also kein Fünkchen Biografisches im Buch?
Doch, aber ich war nie in der Psychiatrie, wie Karl Schmidt, oder hab in einer Kneipe gearbeitet, wie Frank Lehmann. Jedoch gibt es in Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt ein Kinderkurheim, das Züge von einem Kinderkurheim in der Nähe von Lüneburg  hat, in dem ich damals Zivildienst gemacht habe. Das heißt natürlich nicht, dass die Leiterin dieses Heims irgend etwas mit der Leitung des Heims in Lüneburg zu tun hat. In meinen Romanen lassen sich Reales und Fiktives von Außen nicht erkennen. Peter Handke meinte mal: „Alles erzählen und nichts verraten“.

Ein markanter Unterschied zu den Lehmann-Romanen ist, dass in Magical Mystery Karl Schmidt als Ich-Erzähler fungiert. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Man könnte jetzt lapidar sagen:„ Damit er es in seinen eigenen Worten erzählt.“ Aber es gibt auch viele andere Unterschiede. Die Lehmann-Romane werden zwar aus der dritten Person erzählt, aber wir sind trotzdem viel näher an der Hauptfigur dran: Denn wir erfahren, was sie denkt. Von Karl Schmidt erfahren wir das nur, wenn er es uns erzählen will. Man muss sich als Autor bei Ich-Erzählern natürlich immer sehr weit in die Person hineindenken, sich überlegen, was die Person von sich preisgeben würde usw. Karl Schmidt bewertet beispielsweise sehr selten. Er wirkt so, als würde er nur reagieren. Frank Lehmann ist da ganz anders. Er wertet permanent, hat immer Erwartungen, mit denen er natürlich stets falsch liegt. Karl Schmidt ist da distanzierter. Ein Mann mit Herz, doch zugleich mit etwas Kaltem.

Deine „nur“ erdachten Figuren scheinen für dich sehr lebendig zu sein. Leidest du auch mit ihnen?
Schon, aber das ist natürlich gefährlich. Sonst fährt man nur noch durch seichte Gewässer. Man muss auch Arschlöcher schaffen. Zum Beispiel Dave in Magical Mystery, das ist schon ein Arsch, aber ich muss ihn auch irgendwie mögen, denn ich muss ihm gerecht werden. Das sind die Momente, in denen ich als Literat immer aufpassen muss, die Figuren durch meine Beschreibung nicht vorzuverurteilen. Das ist das Tolle an einer Ich-Erzählung. Wenn hier jemand urteilt, dann ist es Karl Schmidt. In diesem Buch kann man eigentlich alle Charaktere ziemlich lieb haben. Ich wollte in diesem Roman jedenfalls auch kein Raver Bashing betreiben, frei nach dem Motto: „Die sind immer verpeilt und bauen nur Scheiß“. Das stimmt zwar, aber ich will, dass man das liest, versteht und dafür auch eine gewisse Sympathie entwickelt.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führten David und Robert.

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