Interview mit Fabian Goldmann (fabik)

„Es ist eben etwas anderes, ob du einen schlechten Text über das Mensa-Essen oder über Neonazis machst.“ – Das sagt der damalige Chefredakteur, Fabian Goldmann (fabik), heute zur Nazi-Kontroverse (hier geht es zum Leitartikel der Ausgabe 100).

unique: Erinnerst du dich noch, wie es dazu kam, dass ihr das Nazi-Interview geführt habt?

Fabian Goldmann: Wer wann genau die Idee hatte, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass wir damals viel darüber nachgedacht haben, wie wir die unique interessanter, relevanter, politischer, auch provokanter machen können. So eine Art Dummy-Magazine mit Jena-Bezug. Dabei entstanden viele gute Sachen. Und auch ein paar richtig schlechte. Das Nazi-Interview gehörte leider zu letzteren.

Inwiefern hat das Interview in den Kontext des Titelthemas „Widerständchen: Jena zwischen Revolution und Resignation“ gepasst?

Ehrlich gesagt hätte ich mich bis eben nicht einmal erinnert, dass die Ausgabe so heißt. Ich würde den Titel nicht überinterpretieren. Wir waren eine ziemlich vielfältige Gruppe mit ganz unterschiedlichen Interessen. Der eine wollte Gedichte schreiben, die andere Hip-Hop-Jams besuchen, der dritte über Geschlechtsangleichungen aufklären und die vierte Party-Tipps geben. Am Ende haben wir irgendeinen Titel gesucht, der das Durcheinander halbwegs zusammenhält.

Habt ihr bei der Vorbereitung des Interviews geahnt, dass es auf solche Ablehnung stoßen könnte?

Ja und nein. Einerseits hatten wir zu Anfang wirklich geglaubt, ein gutes, kritisches, entlarvendes Interview machen zu können, was weniger an unseren Kenntnissen in Journalismus und Rechtsextremismus lag als an unserer Selbstüberschätzung. Spätestens als es dann transkribiert auf dem Tisch lag, war uns schon klar, dass das nicht der große Wurf war. Dass die Sache dann aber so eskalieren wird, wir Thema im Landtag werden, überregionale Medien bei uns anrufen, über Monate sich alle möglichen Uni-Gremien mit uns beschäftigen, das war uns natürlich nicht klar.
Ich würde dir hier aber widersprechen. Im Nachhinein denke ich gar nicht, dass das Gros der Ablehnung auf das Interview folgte. Es war unser Umgang mit Kritik, der die Sache wirklich eskalieren ließ. Wir sind damals schnell in so einen ziemlich selbstherrlichen Modus geraten, in dem wir jede Kritik als ungerechtfertigten Angriff wahrgenommen, uns als missverstandene Bohème des Hochschuljournalismus inszeniert haben. Statt erst mal zuzuhören haben wir jeden, der es wagte uns zu kritisieren, über journalistische Prinzipien und Strategien gegen Rechtsextremismus belehrt: StuRa, Medien, Antifa-Gruppen, Vereine gegen Rechts usw. Dabei war unsere einzige Referenz in diesen Fragen, einem Nazi ein paar öde Stichwortfragen gestellt zu haben.

Wie hast du die Stimmung nach der Veröffentlichung erlebt?

Unterschiedlich. Insgesamt war es eine ziemlich überfordernde Zeit. Manchmal angsteinflößend. Es gab ja auch viele Anfeindungen und Gewaltdrohungen gegen uns. Online, aber auch auf der Straße. Es war aber auch berauschend. Auf einmal hielt ich Reden vor 1000 Leuten und gefühlt die halbe Stadt redete über uns. Übrigens nicht nur negativ. Auf Partys oder auf der Straße kamen wildfremde Leute auf mich zu und bedankten sich bei mir. Nicht für das Interview, sondern weil wir uns – aus ihrer Sicht – so mutig der „Zensur des StuRa“ und der „Gewalt der Antifa“ entgegenstellten. Das war nicht unbedingt die Rolle, in der ich stecken wollte. In der unique ging es um interkulturelle Erfahrungen, Diskriminierung ausländischer Studierender, wo man sich gegen Rechts engagieren kann… Und plötzlich galt ich nicht nur als Nazi-Kumpel, sondern als mutiger Kämpfer gegen den „Antifa-Terror“. Gegen die wollte ich aber gar nicht kämpfen.

Hattest du das Gefühl einen Fehler gemacht zu haben?

Ob ich damals das Gefühl hatte? Ich glaube nicht von Anfang an. Ich weiß noch, wir haben ziemlich schnell kommuniziert, dass das kein gutes Interview war, uns auch dafür entschuldigt. Aber schlechte Artikel gab es bei uns zuhauf. Dafür sind Studi-Medien ja auch da. Aber es ist eben etwas anderes, ob du einen schlechten Text über das Mensa-Essen oder über Neonazis machst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das damals schon so gesehen habe.
Ich glaube, ich empfand es damals vor allem als Fehler gegenüber der Unique und unserer Redaktion. Aber auch das erst so richtig, nachdem die E-Mail-Geschichte herauskam.
Wir waren durch die Kontroverse ja in einer recht schizophrenen Situation. Teils ging es der Unique zu der Zeit besser als vorher: Wir hatten mehr Anzeigen-Kunden, mehr Redakteure, mehr Aufmerksamkeit sowieso. Im Zuge der Neuausrichtung kamen schon vorher viele neue Leute zu uns. Viele hatten große Ambitionen, tolle Ideen, viel Talent und steckten viel Arbeit in ihre Texte. Gleichzeitig stand jede neue Geschichte, egal wie gut sie war, im Schatten der Kontroverse. Zudem war vielen Leuten auch erstmal das Interesse an kontroversen Themen vergangen. Verständlicherweise. Wir hatten viel soziales Kapital verloren, das wir für sinnvollere Anliegen hätten gebrauchen können, als irgendeinen random Nazi zwei Seiten lang erzählen zu lassen, was jeder auch auf irgendeinem Nazi-Blog hätte nachlesen können.

Im späteren Verlauf des Jahres hackte die Antifa den E-Mail-Verlauf von deinem Gesprächspartner und es wurde offengelegt, dass dein Kontakt mit ihm über rein journalistische Aktivität hinausging. Für alle, die schon vorher der unique vorwarfen, „Nazi-Propaganda“ zu sein, war das die Bestätigung, dass du mit rechter Ideologie sympathisierst bzw. selbst rechte Positionen vertrittst und in der unique verbreitest. Was hast du diesem Vorwurf zu entgegnen? Wie ging es dir damals mit diesem Vorwurf? Wieso hattest du so einen engen Kontakt zu deinem Interviewpartner? Und warum hast du dies innerhalb der Redaktion nicht kommuniziert?

Ich glaube, ich hatte das damals damit begründet, dass ich mir den Kontakt warmhalten wollte, um weiter in der rechtsextremen Szene recherchieren zu können. Das stimmte auch. Ich wollte wirklich zeigen, dass ich es besser kann. Dabei sind auch ein paar Artikel herausgekommen, die ganz ok waren, z.B. über das Fest der Völker. Ich glaube, es war aber auch ein Spiel mit dem Feuer: Wie weit kann ich gehen, bis wir uns erneut verbrennen? Ich meine, wir haben uns drei, viermal mitten in der Stadt in aller Öffentlichkeit getroffen. Es ist ein Wunder, dass das nicht schon vor dem E-Mail-Hack herauskam. Zur Ehrenrettung meiner Redaktion: Es gab auch Leute, die davor sehr eindringlich gewarnt haben. Was das Verbreiten rechter Positionen angeht: Es gab ja damals diese „Untersuchungskommission“ des StuRa – was auch immer das sein sollte – die am Ende leider eingestehen musste, dass sie einfach keine rechten Inhalte in unseren Texten finden konnte. Aber ich kann schon verstehen, dass die E-Mail-Geschichte für viele eine Nummer zu viel war. Mein Eindruck war damals aber auch wieder, dass sich viel mehr Leute über den Hack als über meine Nazi-Anbändeleien aufregten.

Wie war damals die Stimmung in der Redaktion?

Unterschiedlich. Die Kontroverse ging ja über das ganze Jahr. Da gab es eigentlich alles: Euphorie, Angst, Aufbruchstimmung, Zweifel, Streit, Zusammenhalt, Intrigen… Einerseits hat uns die Zeit zusammengeschweißt – auch mit anderen Hochschulgruppen. Ich weiß noch wie wir bei einer StuRa-Sitzung gemeinsam mit vielen Leuten von anderen befreundeten Hochschulgruppen auftauchten und irgendein StuRa-Typ in seiner Rede sein Entsetzen kundgab, wie die immer noch alle zu uns oder zu mir halten könnten. Aber wir kannten uns eben nicht erst seit dem Nazi-Interview. Wir hatten im Int.Ro viele Nächte gemeinsam durchgemacht. Viele von uns waren befreundet. Jedem war klar, dass niemand von uns mit Nazis sympathisierte. Gleichzeitig – das habe ich erst später erkannt – waren wir teils auch ein ziemlich toxischer Haufen voller Alphatypen. Das war vielleicht auch ein Grund, warum wir die leisen, kritischen Stimmen – die es bestimmt gab – nicht gehört haben.

Was hättest du aus heutiger Perspektive damals anders gemacht? Würdest du nochmal ein solches Interview veröffentlichen?

Klar würde ich alles möglich anders machen. Zu allererst würde ich einen Nazi nicht ohne Ahnung von Rechtsextremismus und Wissen über konfrontatives Interviewing interviewen. Aber es ist auch billig, jetzt mit vielen Jahren Berufserfahrungen herumzuschlaumeiern. Ich gebe manchmal Workshops und versuche dort eigentlich immer die Leute zu bestärken, Neues auszuprobieren, mutig und kontrovers zu sein. Und die Uni-Zeit ist die beste Zeit hierfür. Aber genauso wichtig ist es, das Handwerk draufzuhaben. Wer Konventionen durchbrechen will, sollte sie erst einmal beherrschen. Wenn du eine innovative Zeitschrift machen willst, solltest du trotzdem erst einmal einen gewöhnlichen Bericht schreiben können. Wenn du krasse Enthüllungsgeschichten zu gesellschaftlichen Tabuthemen machen willst, hab erst einmal ein paar solide Storys zum Mensa-Essen in der Tasche. Und bevor du einen Nazi interviewst, beschäftige dich vorher wenigstens mal mit der Frage, warum so viele erfahrene Journalisten es nicht tun.

Was hast du aus der damaligen Kontroverse für dein heutiges journalistisches Arbeiten mitgenommen? Was hat dich besonders geprägt?

Ich hoffe, dass ich ein bisschen Kritikfähigkeit und Demut mitgenommen habe. Es gibt ja immer mal wieder Geschichten wie unsere. Vor allem seit dem Aufkommen der AfD sind schlechte Nazi-Interviews zu einem eigenen journalistischen Genre geworden. Mir fällt auf, dass die Reaktionen, von Journalisten, vor allem männlichen, die dafür kritisiert werden, immer wieder ähnlich sind: Sie fühlen sich missverstanden in ihrer Kunst oder in ihren hehren journalistischen Ansprüchen. Stellen jede Kritik als Angriff auf Meinungs- und Pressefreiheit und journalistische Unabhängigkeit dar. Weil es in ihrer Welt gar nicht vorkommt, dass sie auch mal einen schlechten Text machen könnten. Da erkenne ich mich oft wieder. Vor vielleicht fünf Jahren oder so hab ich mir noch einmal viele der Leserbriefe, Texte von Antifa-Seiten, aus dem Akrützel usw. aus der Zeit durchgelesen und war überrascht, wie viele kluge Gedanken darin stehen, die damals nie zu mir durchgedrungen sind. Natürlich war nicht alles klug. Auch beim StuRa liefen damals jede Menge aufgeblasene Gockel herum, die sich viel zu wichtig nahmen. Aber hätten wir damals erst einmal in Ruhe zugehört und nachgefragt, statt eine empörte Replik nach der anderen zu schreiben, hätten wir schon damals viel Positives mitnehmen können.

Wie stehst du heute zu dem Vorwurf „Wer über Nazis schreibt, bietet ihnen unnötigen Raum für Propaganda und eine Bühne für Diskriminierung“? Und inwiefern stehen Journalist*innen in der Verantwortung, über rechte Ideologien zu berichten?

Über Nazis schreiben sollte man natürlich. Man sollte es aber eben auch können. Wir konnten es nicht. Ich glaube Verantwortung ist ein Wort, was in unseren Redaktionssitzungen selten vorkam. Das war sicherlich auch ein Grund für das Debakel. Für uns waren Jenaer Nazis eines von vielen gesellschaftlichen Kuriosa, einfach die nächste krasse Story. Welche Strategien es im Umgang mit ihnen gibt, hat uns nicht interessiert. Genauso wenig wie die konkreten Gefahren für Betroffene. Wie groß die sind, zeigte sich ja zwei oder drei Jahre später, als sich der NSU enttarnt hat, der aus eben jener Szene hervorging, die wir mal ganz „offen und unbefangen“ zum Gespräch einluden. Zur Verantwortung als Journalist, auch von Nachwuchsjournalisten, gehört auch, sich zu informieren und Gedanken über die Folgen seiner Berichte zu machen. Und zur Verantwortung gehört auch, es zu lassen, wenn man es nicht kann oder nichts Interessantes herausfindet.

Wie kam es, dass ihr kurz danach das Hamas-Interview veröffentlicht habt? War euch bewusst, dass dieses provoziert?

Ja, dafür gilt dasselbe, was ich eben gesagt habe. Klar, war uns bewusst, dass das provoziert. Darum ging es ja. Wenn es ein Thema gibt, mit dem man noch schneller Aufmerksamkeit erzeugen kann als schlechte Nazi-Interviews, dann sind es schlechte Texte zum Nahost-Konflikt. Aber im Ernst: Wir haben ständig irgendwelche weirden Sachen veröffentlicht. Ich erinnere mich noch an das Interview mit einer Prostituierten, die davon erzählte, wie sie ihren pädophilen Freiern die Vorhaut zunähte. Es gab auch viele Geschichten, die wir nie veröffentlicht haben. Zum Glück.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Eva Haußen.


Fabian Goldmann arbeitet als freier Journalist (taz, Spiegel Online, Deutsche Welle etc.) und für den Verein „Neue Deutsche Medienmacher*innen: Einsatz für diskriminierungsärmere Berichterstattung“. Goldmann beschäftigt sich heutzutage bevorzugt mit den Themen Islamfeindlichkeit, Rassismus und Religion.


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