Am Sonntag (9.12.) gastieren MIA. im Stadtgarten Erfurt. Wir hatten Gelegenheit, Sängerin Mieze beim Geheim-Gig im „Kassa“ zu treffen und sprachen mit ihr über musikalische Gruppentherapien, persönliche Schwächen und Altersvorsorge.
unique: Auf euren Touren füllt ihr Hallen – auch in Paris, London oder Warschau. Und hier im Kassa spielt ihr vor nicht mal 100 Leuten… Was ist reizvoller?
Mieze: Ich finde jede Bühne hat ihren Reiz, weil jede ihr eigenes Publikum hat – und jedes Publikum ist unberechenbar. Wir hatten aber, nach den großen Bühnen der Festival-Saison und mit der Aussicht auf die großen Bühnen der kommenden Tour, die Sehnsucht nach so einem Moment. Wir hatten über diverse Orte nachgedacht, kleine Clubs, in denen wir schon mal gespielt haben. Gerade hier im Kassa hatten wir damals eine wirklich geile Zeit. Das ist eine emotionale Entscheidung, die man gar nicht so leicht erklären kann. Es war eben so eine Sehnsucht…
Das klingt sehr nach Leidenschaft, weniger nach Arbeit. Oder ist MIA. für dich auch ein Job?
Klar, MIA. bedeutet auch Arbeit. Aber mehr als das: absolute Hingabe. „Job“ würde für mich „nine to five“ bedeuten, also dass man irgendwann fertig ist. Wir machen das alle 24 Stunden am Tag. Wenn ich einen Text schreibe, schalte ich meinen Kopf nicht einfach aus, höre nicht auf darüber nachzudenken, bis ich die richtige Zeile habe. Ohne Arbeit und Disziplin wäre man eben auch nicht da, wo man heute ist.
Das aktuelle Album ist besonders persönlich, ein „Mieze-Album“. Wie geht ihr als Band damit um, dass du dabei so im Mittelpunkt stehst?
Die Jungs freuen sich, dass sie es nicht machen müssen. Bei uns ist jeder in der Position, in der er sein möchte – das ist auch enorm wichtig, um lange zu bestehen. Jeder ist an dem Instrument und in der Reihe, in der er sein will. Das ist auch etwas, das gewachsen ist. Ich spüre auch die Unterstützung der Jungs, nicht nur durch die Art und Weise, wie wir arbeiten: Sie geben mir die Musik und mein Herz entscheidet dann, welches Lied als nächstes kommt – das empfinde ich als unglaubliches Vertrauen. Sie haben mich auch sehr unterstützt, mich auf dem Album so zu zeigen, wie ich es tue. Sie tragen das ja auch mit, denn ich bin Mieze, klar, aber am Ende steht „MIA.“ auf dem Cover. Es ist mir auch total wichtig, dass ich ihre Sicht auf die Dinge höre; auf das, was ich schreibe. Ihre Sicht als meine Freunde, aber vor allem ihre Sicht als Männer. Da entwickeln sich sehr interessante Gespräche. Ich habe da viel gelernt über Diskussionen zwischen Männern und Frauen.
Du sagtest mal, du kannst besser über Probleme singen, als darüber sprechen – Musikmachen als Bewältigung sozusagen. Ist das, was du in deiner Interaktion mit dem Publikum anstellst, dann auch so eine Art „Gruppentherapie“?
Ich habe ein ganz klares Ziel bei so einem Konzert: Ich will die Leute aus ihrem Alltag entlassen. Sie alle kommen irgendwo her und wollen irgendwo hin, und ich möchte in der Zeit des Konzerts gern die Verantwortung für sie übernehmen – und für ihr Glück. Ich bin selbst so gerne glücklich und ich glaube, ich habe ein Talent zu sehen, was Menschen glücklich macht. Das ist es, was die Leute früher an mir als naiv bezeichnet haben: Ich sehe das Schöne, das Gute an dem Moment. Und ich liebe es, das zum Vorschein zu bringen. Es gehören natürlich immer zwei dazu – du musst es auch zulassen. Aber ich lade dich dazu ein. Ich ermutige Menschen auch dazu, glücklich zu sein, weil ich die Tendenz erkenne, dass Leute sich schwertun mit dem Lockerlassen, dem Glücklichsein. Sie denken, sie haben es sich nicht verdient – denn hier ist noch etwas nicht erledigt, da haben sie sich schlecht verhalten… An einem MIA.-Abend sind sie entlassen aus dieser Verantwortung, dieser Pflicht. Irgendwo muss man doch mal Kraft herbekommen.
Ihr positioniert euch auch zu bestimmten politischen Themen, nehmt an zivilgesellschaftlichen Initiativen Teil. Wie politisch darf oder muss man deiner Meinung nach als Musiker sein?
Es gibt ja Bands, die viel politischer sind als wir, obwohl sie hauptsächlich Liebeslieder schreiben. Ich bewundere das, wenn man es schafft, Politik und Musik toll zu vereinen. So, dass man trotzdem mitsingen möchte, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Blumfeld haben das wunderbar gemacht. Bei MIA. ist das eher alles sehr sehr persönlich; eine total subjektive Sicht der Dinge. Du bist auch recht herzlich dazu eingeladen, unsere Sicht der Dinge scheiße zu finden. Ich will nicht jedem gefallen – die Gefallsucht finde ich gefährlich. Aber ich möchte mich positionieren, und das tue ich auch durch Musik.
Tust du das auch auf dem aktuellen Album?
Es war jedenfalls etwas Neues für mich, zu zeigen, dass auch ich zerbrechlich sein darf. Es gibt ja immer ein Bild nach außen: Funktionieren, oberflächlich, stark… Es wird nie gezeigt, wie es ist, wenn es mal nicht funktioniert. Dabei zeigt man sich doch erst dann wirklich als Mensch – wenn man neue Strategien entwickeln muss. Das ist für mich zu einer neuen Aufgabe geworden: mich selbst auch zu akzeptieren, wenn ich mal keinen Plan habe. So kannte ich mich eigentlich nicht; so mochte ich mich auch nicht. Aber jetzt weiß ich, dass ich auch destruktiv sein kann. Planlos. Und das ist okay. Das hat mir auch dabei geholfen, mich etwas mehr zu entspannen, weil ich jetzt auch andere Leute so sein lassen kann. Ich bin sehr viel toleranter geworden. Heute sehe ich: Der ist da eben anders als ich – und das ist okay so.
An deinem eigenen Temperament auf der Bühne scheint sich aber nichts verändert zu haben.
Das stimmt. Ich habe in dem Jahr Pause, mit dem Abstand, auch gemerkt, was mir MIA. bedeutet. Es ist die kindliche Spielwiese schlechthin in meinem Leben.
Ihr arbeitet jetzt seit 15 Jahren zusammen, habt fünf Alben zusammen gemacht. Wo führt das hin mit MIA.?
Es wäre ja interessant, wenn man die nächste Pause nicht nach zwölf Jahren macht, sondern mal nach sechs. Die Frage, was da noch kommt, hat in der letzten Zeit auch immer mehr Relevanz, denn finanziell gesehen steckt unsere Altersvorsorge in den Kinderschuhen. Wir sind eben Künstler und keine Anleger. Der Künstlerberuf war schon immer ein unsicherer. Ich könnte mir bei den Jungs eher vorstellen, was sie später machen, als bei mir. Ich weiß, dass ich das sehr liebe, was ich jetzt mache, vor allem die Akrobatik. Aber was will ich damit später machen? Ich liebe Worte; ich möchte weiter schreiben. Immer schreiben, und so lange wie möglich mit den Jungs zusammen Musik machen, MIA. sein. Auf der Bühne stehen und rocken. Vielleicht ist das Weltweite ja noch mal ein Ansatz. Es ist so interessant, mit Musik zu reisen. Ein bisschen, wie auf dieser kleinen Bühne hier im Kassa: Alles ist auf Null, alles ist anders. Das finde ich schon noch sehr reizvoll. Ich freue mich einfach über jeden Tag, an dem wir zusammen sind.
Danke für das Gespräch, Mieze!
Das Interview führte Frank.
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