Mars auf Probe

Foto: © Christiane Heinicke

12 Monate lang lebten sechs Forscher auf einem hawaiianischen Vulkan, um das Leben auf dem Mars zu simulieren. Die Teilnehmerin Christiane Heinicke spricht über psychische Belastung, Gruppendynamik und das Fernweh nach der Rückkehr.

unique: Frau Heinicke, was war Ihre persönliche Motivation, ein Jahr auf dem simulierten Mars zu verbringen?
Heinicke: Neugier! Ich wollte einfach wissen, wie es ist, mit wenigen anderen Menschen auf engem Raum isoliert zu sein. Ich hatte vorher schon ein wenig Kontakt mit dem Leben auf dem Mars: Im Rahmen des Auswahlprozesses für ein einjähriges Projekt in der Arktis habe ich mit fünf anderen – darunter auch zwei meiner späteren HI-SEAS Crewmitglieder – auf einer Station in Utah, der Mars Desert Research Station, zwei Wochen unter ähnlichen Bedingungen gelebt. Ich fand die Vorstellung faszinierend, das ein ganzes Jahr durchzuziehen. Die Herausforderungen sind dann natürlich ganz andere. Die psychische Belastung ist deutlich höher.

Wie wirkt sich das Bewusstsein, „nur“ in einer Simulation zu leben, auf den Alltag aus?
Ich glaube, sich darüber zu viele Gedanken zu machen, ist eher schädlich für die eigene Motivation. Irgendwann spielt es keine Rolle mehr, ob es eine Simulation oder die Wirklichkeit ist. Die Simulationsbedingungen sind so wie die Bedingungen auf dem Mars – und es ist irrelevant, ob das tatsächlich die physischen Bedingungen sind oder die „Spielregeln“. Wenn man das als Simulation oder als Spiel betrachtet, hat man auch nicht die richtige Einstellung dazu; dann neigt man eher dazu, auch mal abzubrechen, weil man eben keine Lust mehr hat auf das „Spiel“. Für uns war es eine Mission – unsere Mission – und unser Ziel war es, das komplette Jahr zusammen durchzustehen – egal, wie man es bezeichnet. Aber als etwas, das nicht real ist, haben wir das Ganze nie betrachtet. Ich kann Ihnen auch versichern, die psychische Belastung ist sehr real gewesen.

Gab es dennoch Momente, in denen Sie für einen Augenblick vergessen haben, dass Sie nicht wirklich auf dem Mars sind?
Nein, das wäre ein bisschen übertrieben gesagt. Uns war schon die ganze Zeit bewusst, dass wir tatsächlich noch auf der Erde sind. Ich meine, der Himmel war blau, und uns war auch klar, dass wir, wenn wir rausgehen, ohne den Raumanzug anzuziehen, nicht gleich sterben würden. Aber die Isolation von Familie und Freunden, die Entfernung zur restlichen Menschheit und unserem normalen Leben war tatsächlich sehr real – ähnlich wie auf dem Mars. Irgendwann macht es keinen Unterschied mehr, ob die Entfernung zum nächsten Menschen 500 Kilometer oder 500 Millionen Kilometer beträgt.

In welcher Art kann man von Simulationen etwas über die Wirklichkeit lernen?
Man muss sich natürlich bewusst sein, dass man in einer Simulation nie alle Aspekte abdecken kann. Das ist aber bei jedem Experiment so, nicht nur bei psychologischen, sondern auch bei physikalischen. Wenn man es hundertprozentig umsetzen wollte, könnte man direkt zum Mars fliegen. Die Teilaspekte, die für HI-SEAS relevant waren, waren der Einfluss der Isolation und das Zusammensein mit Menschen auf engem Raum. Die Psychologen nennen das ICE-Environment: isolated, confined and extreme. Dieser Oberbegriff trifft natürlich auch auf andere Gegebenheiten zu, zum Beispiel Überwintern in der Antarktis oder Astronauten auf der Raumstation ISS. Man versucht, die Gruppenzusammensetzung zu untersuchen und die Auswirkungen, die die Isolation darauf hat. Dafür ist es nicht weiter schlimm, wenn die Technik nicht hundertprozentig stimmt oder die Anziehungskraft nicht korrekt ist: Wenn die Gruppe schon unter vertrauten, irdischen Bedingungen nicht zusammenpasst, dann bekommt sie unter den veränderten, marsianischen Bedingungen erst recht Probleme.

Wie sehr hat die Erfahrung Sie verändert?
Zumindest haben sich meine Eltern oder meine Freunde bisher nicht beschwert, dass ich einen Knacks wegbekommen habe. (lacht) Wobei mir schon aufgefallen ist, dass ich deutlich stressresistenter geworden bin. Es ist extrem schwer geworden, mich in irgendeiner Form aus der Ruhe zu bringen und ich denke, das ist ein Unterschied zu vorher. Wenn heute ein Zug Verspätung hat oder ich meinen Anschluss verpasse, dann denke ich daran zurück, wie uns mal das Wasser ausgegangen ist, und da ist so ein verpasster Anschlusszug… na ja, da zuck ich mit der Schulter.

Gibt es etwas aus dem Habitat, das Sie vermissen?
Ja! Trotz aller Konflikte haben wir mit unseren Freuden auf sehr engem Raum zusammengewohnt und viele Abenteuer miteinander bestanden oder Probleme gelöst. Das schweißt natürlich ungemein zusammen. Jetzt bin ich mit diesen Freunden teilweise über verschiedene Kontinente verteilt. Mir fehlt es schon, dass ich nicht eben zum Nachbarzimmer laufen und fragen kann: „Hey, wollen wir morgen einen Außeneinsatz machen?“ Noch etwas ist mir aufgefallen, es ist ein bisschen paradox: Man könnte erwarten, dass man sich im Habitat, auf engem Raum, eingeengt fühlt. Tatsächlich war es aber umgekehrt: Als ich zurück nach Deutschland gekommen bin, habe ich mich eingeengt gefühlt. Wenn wir im Habitat zum Fenster rausgeschaut haben oder bei Außeneinsätzen unterwegs waren, konnten wir dutzende von Kilometern weit sehen. Dann komme ich nach Deutschland, gehe zur Haustür raus, und da sind Gartenzäune und andere Häuser; man muss aufpassen, dass man nicht einem Auto vor die Räder läuft. Man kann gerade mal mehrere Meter geradeaus sehen. Der weite Blick auf dem simulierten Mars, auf dem Mauna Loa, der hat gefehlt.

Wie eng ist der Kontakt zu den anderen Crewmitgliedern heute?

Heinicke (3. v. l.) mit der HI-SEAS IV Crew. Foto: © Christiane Heinicke

Mit drei Crewmitgliedern stehe ich noch in sehr engem Kontakt, wir e-mailen und skypen regelmäßig. Der Kollege aus Frankeich und ich besuchen uns auch gelegentlich gegenseitig. Mit einer anderen Teilnehmerin fahre ich Anfang 2018 zusammen in die Antarktis. Das ist eine Segelfahrt auf einem kleinen Boot, für Forschungszwecke. Das Hauptziel ist wieder psychologischer Natur: eine kleine Gruppe von Menschen auf einem 15 Meter langen Schiff, unter potenziell gefährlichen Bedingungen – die Antarktis ist jetzt nicht gerade für ihr gutes Wetter bekannt. Zusätzlich werde ich noch Messungen am Meereis durchführen. Auf jeden Fall ist es ein Unternehmen, bei dem es ganz gut ist, wenn man die Personen kennt, mit denen man unterwegs ist.

Sie sind vom Fach her Geophysikerin. Wie hat sich HI-SEAS auf Ihre wissenschaftliche Karriere ausgewirkt?
Ich habe vorher vor allem zu Strömungsmechanik und Meereis gearbeitet, bin jetzt aber komplett in die Raumfahrt gewechselt. Mein jetziges Projekt ist daraus entsprungen, dass ich „auf dem Mars“ gelebt habe: Ich arbeite gerade daran, einen Prototypen für ein richtiges Habitat zu bauen. Eines, bei dem es nicht um Simulationen oder Psychologie geht, sondern um die technische Seite: eines, das tatsächlich auf dem Mars funktioniert.

Glauben Sie, dass die Welt hier draußen etwas von der kleinen Welt im Habitat lernen kann?
Auf jeden Fall! Wir sind ja auch einfach nur Menschen. Die Probleme, die wir hatten, sind ganz normale irdische Probleme, nur in extrem konzentrierter Form. Im Büroalltag kann man Arbeitskollegen, mit denen man nicht so gut klar kommt, auch mal aus dem Weg gehen – man hat Feierabend, bleibt übers Wochenende weg, ist im Urlaub. Diesen Abstand hatten wir nicht. Wir waren ständig von diesen ganzen Erfahrungen, unseren Problemen, aber auch unseren positiven Erlebnissen umgeben. Dadurch verstärken sich insbesondere die Probleme. Was wir dadurch gelernt haben ist, wie man mit diesen Konflikten umgeht: Ich habe festgestellt, dass grundsätzlicher Respekt und eine gewisse Toleranz am besten geholfen haben – und dass viele Probleme auf Missverständnissen beruhen. Das respektvolle Kommunizieren, ja, dass man überhaupt miteinander kommuniziert – ich glaube, das ist etwas, was heute Vielen verloren gegangen ist.

Frau Heinicke, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Lara.

Christiane Heinicke ist eine deutsche Geophysikerin. Von August 2015 bis 2016 war sie Teilnehmerin des NASA-Projektes HI-SEAS, das auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Loa das Leben auf dem Mars simuliert. Gemeinsam mit fünf anderen Teilnehmern aus den USA, Frankreich und England lebte die 32-Jährige dafür zwölf Monate lang in einem etwa 300 Quadratmeter großen Habitat, das von der Außenwelt beinahe völlig abgeschnitten war: Die Teilnehmer durften die Kuppel nur im Raumanzug verlassen, jede Kommunikation war um 20 Minuten zeitverzögert und Vorräte waren beschränkt und wurden nur alle paar Monate aufgefüllt. So gab es nur haltbare Nahrungsmittel und die Wasservorräte reichten für 8 Minuten duschen pro Woche. Zweck der seit Projektbeginn in 2013 fünf HI-SEAS-Missionen ist ein psychologisches Experiment: Es soll untersucht werden, wie kleine Gruppen von Menschen über lange Zeit auf beschränktem Raum zusammenleben – wie dies bei einer Marsmission der Fall wäre. Über ihre Erfahrungen hat Christiane Heinicke auf SciLogs gebloggt und im März 2017 das Buch Leben auf dem Mars: Mein Jahr in einer außerirdischen Wohngemeinschaft veröffentlicht.


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