Programmkinoerfolge wie „Lichter“ oder „Happiness“ prägten hierzulande zuletzt das Genre des sozialkritischen Films. Wenig Aufmerksamkeit wurde bisher hingegen den verstörenden Bilderwelten des Österreichers Ulrich Seidl zuteil, der so kompromisslos und wirklichkeitsnah wie derzeit kein anderer Regisseur in die alltäglichen Abgründe der menschlichen Existenz blickt.
von Luth
Für einen vergnügten Videoabend mit Freunden eignen sie sich nicht. Die Geschichten und Bilder, die der Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Ulrich Seidl seinem Publikum zumutet, rufen bei allzu Unbedarften recht zuverlässig dieselben Emotionen hervor: stummes Entsetzen, innere Unruhe, starken Widerwillen, Scham, oft auch Ekel. Und obwohl man in den drastischsten Szenen gern wegschauen würde, bleibt am Ende seiner Filme immer ein mulmiges Gefühl: Die TV-Mattscheibe hat eben auch die eigenen Widersprüche und dunklen Obsessionen widergespiegelt, in Seidls bizarrem Protagonistenpanoptikum tummeln sich Freaks wie du und ich. Seidl macht weder reine Dokumentar- noch reine Spielfilme, seine Werke seien, so der Autor Gerhard Roth, vielmehr „inszenierte Wirklichkeit“. Das Dokumentarische steckt in den ungewöhnlichen Themen, denen sich Seidl bevorzugt widmet. „Tierische Liebe“ etwa behandelt das teils über-innige Verhältnis von sozial abgeschriebenen Tierhaltern zu ihren Hunden, Katzen und Nagern, „Models“ das zwischen Körperkult, Parties, Drogen und notdürftigem Sex taumelnde Sinnvakuum Wiener Mannequins und „Import Export“ die erstaunlichen Problemparallelitäten im Leben von zwei Arbeitsmigranten aus Österreich und der Ukraine.
Als Seidls Cannes-dekoriertes Meisterwerk gilt der Spielfilm „Hundstage“, in dem der Regisseur „im drückend heißen Wiener Niemandsland zwischen Autobahnzubringern, Einkaufsmärkten und Einfamilienhaussiedlungen“ schonungslos und frei von heuchlerischen Darstellungstabus nicht weniger als „das Leben in seiner Verletzlichkeit und Intimität“ seziert, so die DVD-Synopsis. Seidls eigentliches Thema aber ist stets die allen einsamen Menschen innewohnende, dauerhaft wohl unerfüllbare Sehnsucht nach etwas mehr Anerkennung, Glück und Liebe. Konsequenterweise arbeitet Seidl häufig mit grobschlächtigen, teils vorbestraften Laiendarstellern aus Milieus, denen jede (nicht nur) cineastische Aufmerksamkeit normalerweise versagt bleibt. Seine Begründung: „Diese archaische Gegenwelt ist purer, unverhüllter und einfach wirklicher. Solche Menschen eignen sich in der Regel deshalb auch mehr für die Filmarbeit, weil sie sich ohne Gesellschaftsmaske vor der Kamera zeigen und keinen Gedanken daran verschwenden, öffentlichkeitsgerecht und medienwirksam dazustehen.“
Mit oft langen Totalen, harten Schnitten und verstörend intimen Detailaufnahmen, dabei ohne jede Moralisierung oder Denkvorgaben, zwingt Seidl seine Zuschauer in die Rolle von Voyeuren, die in all dem Abstoßenden der menschlichen Existenz aufrichtig ihre eigene banale Lebenswirklichkeit wieder- und anerkennen sollen: „Das Hässliche ist das Normale, das Schöne die Ausnahme. Die schönen Stunden im Leben hat man schnell zusammengezählt, doch in Unterhose und Socken steht man täglich seinem Partner oder seinem Spiegelbild gegenüber. Der schlechte Geschmack ist das Durchschnittliche und dominiert unser Leben. Man könnte aber auch sagen: Ich liebe die Schönheit, gerade deswegen stelle ich die Hässlichkeit dar.“
Mit seiner unbequemen und lange nachwirkenden „Ästhetik des Hässlichen“ (Gerhard Roth) löst der Post-Dogma-tiker Seidl die Forderungen des französischen Cinema Vérité nach größtmöglicher Wahrheit und Authentizität ein. Trotz aller Hoffnungslosigkeit, die seine Filme ausstrahlen, ist er ein großer Humanist und Idealist, der die Vereinzelung des Menschen mit den kathartischen Mitteln des Kinos zu überwinden versucht.
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