„I do not fear anything“

Tawakkol Karman auf der Münchner Sicherheitskonferenz (2012) © Frank Plitt CC BY 3.0 de

Die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman spricht mit unique über die trotz Bemühungen immer noch prekäre Situation von Frauen im Jemen, der vom Bürgerkrieg zerrissen ist. Zwar bleibt ihr Glaube an ein friedliches Jemen in naher Zukunft mit geltenden Menschenrechten für alle aber ungebrochen. Doch auch eine Nobelpreisträgerin hat nur einen begrenzten Einfluss.

von Ladyna

2,9 Millionen Binnenflüchtlinge, 17 Millionen Menschen ohne sicheren Zugang zu Nahrung, mehr als 10.000 Kriegsopfer und der Ausbruch einer der weltweit schlimmsten Cholera-Epediemien: Im Jemen ist die humanitäre Lage katastrophal. Das Land hat in den letzen Jahrzehnten eine bewegte Geschichte hinter sich: Erst 1990 ging der heutige Staat aus einer Wiedervereinigung des konservativ geprägten, lange Zeit isolierten Nordens und des sozialistischen Südens unter dem nordjemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih hervor. Zwar wurde in der südlichen, sozialistischen Volksrepublik die Emanzipation der Frauen gefördert; hier war auch die Geburtenrate deutlich geringer und das Bildungsniveau deutlich höher. Aufgrund der viermal so hohen Einwohnerzahl des Nordens dominierte jedoch dessen Konservatismus die neue Republik und wirkte gesellschaftlichen Modernisierungstendenzen entgegen. Auch deswegen initiierten viele Frauen im Zuge des Sturzes von Präsident Salih 2012 Proteste oder nahmen an ihnen Teil: Sie verließen ihre Häuser, um sich gegen erzwungene Traditionen ebenso wie gegen das diktatorische Regime zu wehren. Auch die National Dialogue Conference (NDC), die zentrale Entscheidungen bezüglich der Ausgestaltung des neuen politischen Systems traf, bestand zu 30 Prozent aus Frauen. Während im vorherigen Parlament nur 0,3% der Sitze an Frauen vergeben waren, saßen in der Übergangsregierung vier Ministerinnen. Auch die neue Verfassung sollte die Rechte der Frauen stärker berücksichtigen und Kinderehen verhindern.

Eines der weiblichen NDC-Mitglieder war die Journalistin Tawakkol Karman, die nicht nur 2011 als erste Araberin für „ihren gewaltfreien Kampf für die Sicherheit von Frauen und für das Recht der Frauen, sich in vollem Umfang an Frieden schaffender Arbeit zu beteiligen“ den Friedensnobelpreis verliehen bekam, sondern damals mit 32 Jahren auch die bis dato jüngste Empfängerin war. 2005 hatte sie bereits zusammen mit anderen Frauen und mit Unterstützung ausländischer Organisationen die NGO „Women Journalists Without Chains“ gegründet, im Jahr darauf initiierte sie Massen-SMS, die Kritik am amtierenden Präsidenten Salih übten. 2007 begann sie, Kundgebungen vor dem Regierungssitz zu organisieren, um sich für ein Ende von Korruption und Tyrannei, die Freilassung der politischen Gefangenen sowie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit einzusetzen. Forderungen nach einer Frauenquote im öffentlichen Dienst und ein Ablegen des traditionellen Gesichtsschleiers folgten. Als sie im Rahmen des Arabischen Frühlings Demonstrationen von Studierenden gegen Salih organisierte, wurde sie festgenommen. Die so ausgelösten Massendemonstrationen ermöglichten ihre  Freilassung. Damit wurde sie für viele das Gesicht der Befreiungsbewegung im Jemen und eine wichtige Stimme eines neuen Jemens – bis heute.

Doch der Transitionsprozess des Jemen scheiterte und damit auch die junge Frauenrechtsbewegung. Dem ehemaligen Präsidenten wurde durch Einflussnahme Saudi-Arabiens vollständige Immunität gewährt, so dass dieser neuen Allianzen knüpfen konnte und sich 2014 mit den Huthis, einer Rebellengruppe aus dem Norden, zusammen schloss. Die international anerkannte Regierung befindet sich aufgrund der Gefahrenlage im Exil in Riad oder ist in die temporäre Hauptstadt Aden geflohen. Die Situation ist durch das Eingreifen verschiedener ausländischer Akteure mit unterschiedlichen Interessen schwieriger und unübersichtlicher geworden. Vor allem sunnitische Staaten, geführt von Saudi-Arabien, sind inzwischen am Bürgerkrieg beteiligt und werden dabei von den USA und Großbritannien unterstützt. Ein Ende des militärischen Konflikts ist kaum absehbar, die humanitäre Lage ist prekär.

Viele Revolutionärinnen mussten ins Exil gehen oder leben unter Einfluss der Gewalt regierungsnaher Milizen sowie Islamisten. Viele werden auf der Flucht oder in der Heimat Opfer von sexueller Gewalt. Gleichzeitig verlaufen die Streitlinien auch durch die Familien, da die Kultur Frauen und Männer als nicht gleichberechtigt ansieht und sich Frauen nur mühsam mehr Selbstständigkeit erkämpfen können. Die Situation spitzt sich seit Beginn des Bürgerkriegs erheblich zu, die UNO meldete 2017 mehr als 10.000 gewaltsame Übergriffe auf Frauen im Jemen, eine Zunahme von 63% in zwei Jahren. Darunter fallen häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe oder Kinderehen. Selbst angesichts der desaströsen Lage und der menschengemachten Katastrophe bleibt Karmans Glaube an ein friedliches Jemen in naher Zukunft mit geltenden Menschenrechten für alle aber ungebrochen. Doch auch eine Nobelpreisträgerin hat nur einen begrenzten Einfluss.

unique: To what extent have your political convictions been shaped by your father, who resigned as Minister of Justice in 1994, when the President violently crushed protests in the south of Yemen? Would you have been able to have the same kind of success and influence without him?

TK: My father, may God have mercy on him, was the minister of legal affairs in the first elected government in post-reunification Yemen. He, however, did not resign for the reason given in the question, but in protest against the ruling party’s decision to change the constitution and monopolize power.

My father taught me many lessons, including that I should fight for justice and side with the oppressed. He never imposed any form of coercion upon my siblings and me and used to give us freedom of choice in either life, education or political affiliation. He was really a great teacher.

 unique: What drew you to the field of journalism? Were you facing any difficulties as a woman that wanted to become a journalist? How much influence can journalism have on politicians and on the development of the society?

Tawakkol Karman: I decided to go into journalism because I wanted a platform where I could defend the vulnerable people. In the mid 1990s, especially after the 1994 war,  I believed that I had to prepare myself to confront the authoritarianism that was looming on the horizon.

On the personal level, I did not have any particular difficulties when I decided to be a journalist. Difficulties faced by my male and female journalists lay in laws restricting freedoms and in lack of transparency. However, journalism in Yemen played a major role in raising awareness among our society about its rights, the importance of political diversity and the need to participate in national entitlements such as elections and demonstrations, as well as confront any deviations against citizens by the authority and police forces.

 unique: What are the major issues that Arab women in general and Yemeni women in particular face today? What needs to be done in this respect? What kind of involvement by the international community would be helpful in Yemen?

Arab women and Yemeni women face many issues, most notably the religious heritage that enforces women’s inferiority. I am not talking about the religion that deals with females and males on an equal footing, but about the unfair way used to interpret the religious texts.

In addition, women face a discriminatory social heritage. In many societies, women are denied basic rights such as inheritance, education, freedom to choose their partner and work.In recent years, positive developments have taken place, but much remains to be done to prevent discrimination against women.

In this regard, I believe that the religious heritage, customs and traditions must be purged of any discriminatory calls against women. Governments have to play a role in integrating women into public life and prevent any legislation that detracts from women’s rights. I believe that the democratization of our societies will eliminate many issues faced by women and men alike. Instead of adopting gender-based programs that do not achieve the desired goals, the international community could also contribute to the advancement of democracies in the Middle East, which would definitely be in favor of women.

unique: Western media often criticize Saudi Arabia for having a massive influence on Muslims, even in Western countries,and for promoting a reactionary, repressive form of Islam. What can be done to promote more liberal Islamic traditions?

TK: On social media, I have leveled strong criticism at the form of Islam promoted by Saudi Arabia, blaming the Saudi government for extremist ideology and support for militant groups. Unfortunately, a big deal of criticism leveled at Riyadh by the West does not stem from the fact of correcting what is wrong, but from the fact of demonizing Islam as a whole.

 In any case, Saudi Arabia and all the other authoritarian Muslim countries have no interest in any modern interpretation or even a proper understanding of Islam. Muslim religion prohibits injustice and promotes values of justice and the accountability of rulers. Saudi Arabia or other countries that fear democracy and liberal values in general do not favor such issues. I believe that religious reform is not in isolation from political reform. Whenever political reform takes place, we will be able to talk about religious reform and about more open, liberal and tolerant Islamic traditions.

unique: What do you think about the Western countries profiting from autocrats and tyrants in the Arab world, for example due to trade, while refraining from taking in refugees when countries collapse in civil wars?

TK: Shame on the West! Western governments can no longer boast about supporting democracy and human rights. The Arab Spring revolutions have revealed the falsity of these claims. It was clear to all that the Western governments were shamelessly siding with the Arab tyrants. They have colluded to keep the Arab region a battlefield, and yet they claim they are concerned about the increasing number of refugees. Were they really expecting another scenario?

Western attitudes have shocked me and many others worldwide. How could we now trust in the Western discourse, which preaches human rights and democracy? The Western governments have chosen to align themselves with tyrants at the expense of peoples. This means that their slogans regarding democracy and freedom were false.

unique: Did winning the Peace Nobel Prize affect your work in any negative way? How do you see your current role in the struggle for peace and democracy in Yemen?

TK: The Nobel Prize has never affected my work negatively. I say what I think is right, I do not fear anything. My country needs my voice just like it needs all voices of its people. I do what I have to do. Some people say it would be better for me to keep silent. But for me, “being better” depends on what is in interest of my country. In my view, the UAE-Saudi-led Arab coalition and the Iranian-backed Houthi militia pose a serious threat to the unity of Yemen and the interests of Yemenis, and they have to be stopped.

Thank you very much for the interview


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