Das Kolleg Postwachstumsgesellschaften aus Jena veranstaltete am 17. November ein Dialogforum im Theaterhaus. Das Ziel war es, eine Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen anzustoßen, mit Menschen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Berufsgruppen. Die Kernfragen waren: Was ist ein gutes Leben – und kann ein bedingungsloses Grundeinkommen dazu beitragen?
von Raffael
Wollen wir jedem Menschen, unabhängig von seiner Leistung, ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen lassen? Das ist eine Frage mit durchaus emotionaler Komponente: Für viele steht gar nicht das Geld selbst, sondern vor allem die damit verbundene Anerkennung des Menschen unabhängig seiner Nützlichkeit und die Möglichkeit zu einer freien Lebensgestaltung im Mittelpunkt. Der Workshop des Kollegs Postwachstumsgesellschaft bot einen breiten Überblick über fachliche Überlegungen ebenso wie sehr persönliche Zugänge zum Thema. Dem Dialogforum gingen zwei Tage mit wissenschaftlichen Workshops voraus. Damit folgt das Kolleg seinem Selbstanspruch, eine Öffentliche Soziologie zu betreiben, und mit Menschen außerhalb der Wissenschaft im Dialog zu stehen. Zwei Impulsvorträge stimmten die Teilnehmenden auf die Diskussion ein.
Hartmut Rosa: Die menschliche Existenz als Bergsteiger
Zuerst sprach der Jenaer Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa, gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus Dörre Direktor des Kolleg Postwachstumsgesellschaften. Er stellte die Frage in den Raum, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um Menschen ein „gelingendes Leben“ zu ermöglichen. Als Antwort schlägt er die „Pazifizierung der Existenz“ vor, also die Befreiung des Menschen vom Überlebenskampf. Daraus folgt auch die Krisendiagnose, deren Lösung das bedingungslose Grundeinkommen sein könnte. Die Produktionskräfte unserer Gesellschaft sind so groß, dass Zukunftssorgen scheinbar der Vergangenheit angehören sollten. Würden Außerirdische die Menschheit beobachten, so schildert Rosa amüsiert, unser Unwohlsein käme ihnen paradox vor. Trotz unserer hohen Produktivität ist unsere Gesellschaft in einem Wachstumszwang gefangen – nicht aus persönlicher Gier, sondern aus struktureller Notwendigkeit. Die Wirtschaft muss wachsen, nur um das aktuelle Niveau zu erhalten.
Die gefühlte Lebensrealität der Einzelnen vergleicht Rosa deshalb mit der eines Bergsteigers, der an einer Steilwand hängt: Jeder muss pausenlos klettern, um nicht abzustürzen. Es bietet sich kein sicherer Platz in der Gesellschaft, der vor dem Absturz schützt. Als Reaktion begegnen viele Menschen sich selbst, ihren Mitmenschen, und ihrer Umwelt, in einem Panik- oder Aggressionsmodus. Dieser steht im Kontrast zu einer organischen, resonanten Beziehung, der es Menschen erlauben würde, sich selbst als wirksam und bedeutungsvoll zu verstehen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen, so folgert Rosa, könnte diesen sicheren Platz im Leben bieten. Nicht nur würde es von Existenzangst befreien, die Bedingungslosigkeit gewährleistet auch die Legitimität der Existenz, die Menschen fehlt, wenn sie mit dem Sanktionsregime von Hartz 4 konfrontiert sind.
Ute Fischer: Freiheit statt Vollbeschäftigung
Ute Fischer beschäftigt sich als Volkswirtin und Soziologin seit 15 Jahren mit dem Grundeinkommen, und hat 2003 die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ mitbegründet. Eine Krise der aktuellen Gesellschaft erkennt Fischer darin, dass die Aufgabenbereiche, die für das Bestehen einer Gemeinschaft notwendig sind – Nachwuchs, Sozialer Zusammenhalt, Produktion – ungleichmäßig gefördert werden. Gerade die Sozialpolitik ist einseitig daraus ausgelegt, Menschen in die Produktionsarbeit zu drängen, obwohl sie eine Verwirklichung aller Aufgabenbereiche ermöglichen sollte. Die Pflege von Familien und ehrenamtliches Engagement werden benachteiligt, beispielsweise durch das Fehlen einer Überführung in Rentenpunkte.
Ihre Förderung des Grundeinkommens wurzelt in der Motivation, die Selbstwahrnehmung der Gesellschaft zu verändern, und als Sozialpolitik zu festigen. Die Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität würden neu gefüllt. Die Diskussion um ein BGE dreht sich also nicht nur um ein neues Werkzeug der Sozialpolitik, sondern auch darum, wie die Gesellschaft sich selbst wahrnimmt. Nicht alle Vorschläge zu einem Grundeinkommen, die aktuell diskutiert werden, erfüllen diesen Anspruch. Für „Freiheit statt Volleinkommen“ hat Fischer deswegen drei Kriterien formuliert, die ein BGE-Modell erfüllen muss, um ihrer Vision gerecht zu werden:
Erstens muss es tatsächlich bedingungslos sein, also frei von Bedingungen, Leistungsforderungen und staatlicher Kontrolle. Dadurch wird das System der Sozialpolitik „vom Kopf auf die Füße gestellt“: Der Mensch wird als Zweck an sich anerkannt.
Zweitens müssen Einkommen und Arbeit getrennt voneinander gedacht werden. Ein BGE muss die Chance auf ein Leben nach den eigenen Vorstellungen ermöglichen. Statt „Nur wer arbeitet, kann auch essen“, gilt: „Nur wer zu essen hat, kann auch arbeiten“
Drittens muss der Anspruch auf ein BGE individuell sein. Das Signal sollte sein, dass das Individuum bereits als Fundament des Gemeinwesens anerkannt wird, und verschiedene Lebensentwürfe grundsätzlich gleich behandelt werden.
Lebhafte Diskussionen und praxisnahe Ausrichtung
Besonders intensiv diskutiert wurden praktische Fragen. Wie hoch sollte ein Bedingungsloses Grundeinkommen sein? Ute Fischer zufolge liegt das kulturelle Existenzminimum aktuell bei etwa 800€, eine tatsächlich armutsfeste Grundsicherung dagegen müsste um die 1080€ betragen. Ideen zur Finanzierung umfassen die zusätzliche Besteuerung von Finanztransaktionen, Erbschaften und hohen Einkommen, aber auch die Einführung einer Sozialdividende, bei der Verdienste über dem Betrag des BGE besteuert werden. Lassen sich mit einem BGE noch Menschen für besonders unangenehme Arbeiten finden? Viele Bedürfnisse kosten mehr, als ein bedingungsloses Grundeinkommen leisten kann, beispielsweise Reisen. Der Unterschied bestünde in Zukunft darin, dass Leute für eine bestimmte Zeit unangenehme Arbeiten machen, um sich diese Dinge leisten zu können. Sie „sind“ dann keine Kanalreiniger mehr, stattdessen „machen“ sie diese Arbeit für eine begrenzte Zeit mit dem Ziel, sich dieses Bedürfnis erfüllen zu können.
Besorgte Einwände äußerten die Befürchtung, dass ein BGE sich zu einem neoliberalen Instrument wandeln könnte, mit dem die Abschaffung von Sozialversicherungen wie der Krankenversicherung motiviert werden könnte. Rosa wies darauf hin, dass die Einführung des BGE kein einmaliges Ereignis sein kann, sondern nur ein Punkt in einem dauerhaften Prozess der politischen Verständigung. Gleichzeitig wiesen Teilnehmende darauf hin, dass Egoismus in einem gewissen Maße auch ein Bestandteil von Freiheit ist, und dass in der Diskussion der Fehlschluss vermieden sollte, ihn als grundsätzlich negativ zu verurteilen.
„Stellen wir uns vor: 1000€ monatlich. Bedingungslos und lebenslänglich. Was würde das für mich oder uns als Gesellschaft verändern?“ Fast alle Diskursteilnehmer hatten klare Ideen, wie diese Absicherung ihr Leben zum Besseren verändern könnte. Sehr häufige Wünsche waren eine Verkürzung der Arbeitszeit, verbunden mit der Hoffnung, mehr ehrenamtliche Arbeit leisten zu können, oder einfach mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben. Mehr Skepsis trat bei der Frage auf, ob dieses Einkommen tatsächlich für die Gesellschaft als ganzes einen Effekt hätte. Die ambitionierte Vorstellung, dass Menschen mit einem BGE selbstloser sind und sich viel stärker ehrenamtlich engagieren, traf auf Stimmen, die zum Realismus mahnten und davon ausgingen, dass die Menschen auch mit einem BGE grundsätzlich die gleichen bleiben werden, und sich zuerst um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern werden.
Schließlich wurde auch die Grundsatzfrage gestellt, ob unsere Gesellschaft überhaupt bereit sei für ein Grundeinkommen. Rosa warf daraufhin die Frage in den Raum, ob unsere Gesellschaft denn aktuell in einem Ausmaß ideal sei, dass sich ein experimentieren grundsätzlich verbiete. Auf die lange Sicht stellte sich ihm vielmehr die Frage, ob wir es uns überhaupt leisten können, kein Grundeinkommen einzuführen.
Die Veranstalter hatten darauf geachtet, dass die Teilnehmenden sich durch eine Vielfalt unterschiedlicher Berufshintergründe und Altersgruppen auszeichnen. Wer fehlte, waren Menschen mit Migrationshintergrund, die Perspektiven aus anderen Kulturkreisen hätten einbringen können. Doch auch die gegebene Durchmischung der Teilnehmenden ermöglichte es, Vorannahmen über Menschen mit anderem Alter und Beruf zu hinterfragen. Schnell traten verschiedene Vorstellungen eines guten Lebens zum Vorschein, aber im Gespräch ließen sich die gemeinsamen Fundamente entdecken, auf denen die unterschiedlichen Vorstellungen eines guten Lebens begründet waren, wie beispielsweise Vertrauen in sich und andere, die Chance auf sinnhaftes Handeln, und der Freiraum zur Entfaltung.
Bei der Frage, wie der Weg zur Realisierung eines Grundeinkommens gestaltet werden könnte, nahmen die Praxisakteure eine besondere Rolle ein. Die Veranstalter des Dialogforums hatten eine Reihe von Menschen eingeladen, die bereits Erfahrung in praktischer politischer Arbeit hatten. Die Organisationen, in denen diese Leute aktiv sind, waren überaus unterschiedlich: Je zwei Vertreter stammten von Mein Grundeinkommen e.V und der Initiativgruppe BGE Weimar, also Gruppen, die sich gezielt für ein BGE stark machen. Ein Vertreter der IG Metall brachte praktische Erfahrung im erfolgreichen Streit um Arbeiterrechte in die Diskussion ein. Zwei Vertreter der Pluralen Ökonomik Jena waren anwesend. Diese Gruppe führt innerhalb der Wirtschaftswissenschaft einen kontroversen Diskurs, um Alternativen zur neoklassischen Modellökonomie mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zwei Vertreter von Greenpeace Jena motivierten in der Diskussion dazu, den Klimawandel als umfassende Krise des Wirtschaftssystems im Auge zu behalten. Und schließlich brachten ein Vertreter des Coworking Space Kombinat Süd, und zwei Vertreter vom Theaterhaus Jena ihre Erfahrungen in der zielorientierten Gruppenarbeit ein.
Einige der Teilnehmenden waren der Meinung, dass ein BGE sich am besten schrittweise einführen lässt – beispielsweise, in dem zuerst nur Kinder (bzw. deren Familien) es erhalten. Bereits bestehende Sozialleistungen könnten transformiert werden, indem zuerst Sanktionen und Abzüge abgeschafft, und anschließend die Leistungen erhöht werden. Andere waren überzeugt, dass die Akzeptanz eines BGE von einem veränderten Gemeinschaftsverständnis abhängig ist. Diese Perspektive betont, dass auch die Reformschritte dauerhaft von einem Dialogprozess begleitet werden, in dem das Ziel eines BGE gezeigt und legitimiert wird. Und nicht zuletzt waren auch einige der Teilnehmenden überzeugt, dass die Unterstützer eines BGE sich auf politische Bündnisse konzentrieren sollten, da Überzeugungsarbeit erst dann Wirkungsvoll ist, wenn sie von spürbaren Reformschritten begleitet werden kann.
Auch wenn viele praktische Fragen offen blieben, war das Dialogforum ein bewegender Austausch von Ideen, und eine Gelegenheit, um über Alters- und Berufsgrenzen hinweg ins Gespräch zu kommen. Dem Kolleg Postwachstumsgesellschaften ist es gelungen, unterschiedliche Menschen an einen Tisch zu bringen, und die Diskussion um das BGE konstruktiv voranzutreiben.
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