Glosse: „Auf eine Thüringer Bratwurst gehört Senf!“

PRO

von Chrime

Die Frage, ob denn nun Senf oder Ketchup auf das Thüringer Nationalgericht im Naturdarm drauf soll, stellt sich für mich eigentlich gar nicht. Aus meiner Sicht müsste es eher heißen: BORN Senf oder Bautz’ner Senf? Vielleicht sogar: Senf oder gar nix? Hardcore-Thüringer wie mein Opa schwören auf letzteres.

Nein, eigentlich ist diese ganze Diskussion keine Glaubens-, sondern ausschließlich eine Geschmacksfrage. Es tut mir leid, aber wie kann ein Mensch mit halbwegs intakten Geschmacksnerven auch nur auf die Idee kommen, die herrlich duftende, fettig-glänzende, satt-braun bis schwarze und einfach wunderbare Rostbratwurst mit Ketchup zu entweihen? Nicht nur, dass das Ganze schon fast bizarr aussieht, die Kombination aus gekutterter Schweinefleischmasse und rotem Pommesveredler ruft bei mir auch übelste Kindheitserinnerungen wach. Ich weiß, es mag ein bisschen eklig klingen, aber von einer kompletten Bratwurst mit Ketchup (das man als Kind ja ohnehin überall drauf tut), wurde mir damals mächtig übel – um nicht zu sagen SPEIübel. Genauso verhielt es sich übrigens mit Klöpsen (für Nicht-Thüringer: „Hackfleischbällchen“). Aber ein Gutes hatte das natürlich: Ich lernte daraus. So bin ich heute vernünftig genug, dies nicht nur nicht mehr zu tun, sondern auch meine werten (vor allem weiblichen) Mitbürger nicht jedes Mal wieder blöd anzumachen, wenn ich sehe, wie sie beim Straßenverkauf der Fleischerei die alles entscheidende Frage aufs Neue falsch beantworten.

Spannend auch allemal, dass sich zahllose Internetnutzer in einschlägigen Foren doch tatsächlich darüber wundern, dass man in ganz Deutschland in Imbissbuden für Ketchup extra zahlen muss, Senf jedoch kostenlos auf seine Wurst bekommt. Tja, die wahren Kenner wissen warum …

Ach ja, und nicht zu vergessen: Senf ist auch richtig gesund, besonders der Scharfe. Die so genannten „Isothiocyanate“ töten nämlich Bakterien ab. Und Bioaktivstoffe im Senf, die „Glucosinolate“, schützen uns vor Umwelttoxiden. Darum werden die gesundheitsschädlichen Röststoffe einer gegrillten oder gebratenen Wurst in ihrer Wirkung sogar abgemildert, wenn man dazu Senf isst. Wie genau das funktioniert kann ich natürlich nicht sagen- bin ja kein Biochemiker. Überzeugend klingt es trotzdem. Und es ist ein weiteres gutes Argument für Senf und gegen Ketchup auf deutschen – und besonders Thüringer! – Bratwürsten.

CONTRA

von Luth

Möchte man sich als Thüringer in seinen Essgewohnheiten fundamental von seinen Landsleuten unterscheiden, kann man sich wahlweise gesund, vegetarisch oder ökologisch korrekt ernähren. Oder man begeht wie ich das Sakrileg, seine Bratwurst mit Ketchup zu essen. Das erfordert weniger Aufwand, außerdem muss ich so nicht gänzlich auf gebrühtes Schweinebrät verzichten.

Während die Einverlaibung eines Tofuburgers in Mitteldeutschland höchstens stilles Mitleid, aber keine Aufregung mehr erzeugt, kann ich mir beim genussvollen Verzehr einer rot gebänderten Bratwurst der angewiderten Blicke Thüringer Traditionalisten noch wirklich sicher sein. Im günstigsten Falle erhalte ich eine (natürlich gut gemeinte) Belehrung nach dem Motto „Auf die Wurscht gehört Senf, Ketchup aufs Brätel!“. Weniger tolerante Augenzeugen hingegen reagieren mit besorgtem Kopfschütteln, beleidigen mich als „Hippie“ oder wenden sich mit anderen Senfschnullermitläufern angeekelt ab.

Sollen sie doch. Sie haben einfach nicht kapiert, welcher Würzpaste die Zukunft gehört. Dem thüringischen Senfdiktat mag ich mich solange nicht anschließen, wie dessen Befürworter ihr anachronistisches Essverhalten auch weiterhin nur mit historisch verbrämter Traditionspflege begründen können. Irgendwann versteigen sie sich noch zur Behauptung, bereits der Merowingerkönig Chlodwig I. hätte seine Bratwürste mit Mostrich garniert oder Senf sei ein Statement für Beständigkeit und Heimatverbundenheit. Was für ein Unsinn! Nur Ketchup steht für modernen, globalisierten Bratwurstgenuss, Interkulturalität und die Selbstbehauptung des Menschewiki gegenüber übermächtigen äußeren Zwängen.

Dass ich Ketchup bevorzuge, sollte trotzdem nicht als renitente Verweigerungshaltung, als reines Opus operatum missverstanden werden. Senf auf der Wurst schmeckt einfach nicht, nicht einmal, wenn er wie mein Lieblingsketchup aus einer BORN-Flasche auf das Trägerfleisch gedrückt wird. Ketchup in all seinen zwei Geschmacksdimensionen biedert sich dem oberflächlichen Gaumen so wunderbar an, Senf dagegen verursacht primär Schmerz. Auch farblich bietet das sinnlich-sündige Ketchup-Rot einen ansehnlicheren Kontrast zum Wurst-Braun als das doch irgendwie giftig, neidisch und alarmistisch daherkommende Senf-Gelb. Von daher: Nieder mit dieser Konvention, es lebe die Ästhetik, die Geschmacks- und die Wahlfreiheit!


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