Beim diesjährigen cellu l’art haben fünf Kurzfilme gewonnen, die sich etwas trauen: ob Anziehungskraft von Massenmördern, mordenden Witwen, Leben und Tod in den Tropen, Obdachlosigkeit oder Tristess in russischen Hotels – die Gewinnerfilme blicken auf Menschen und Orte, die nur selten beleuchtet werden.
von Ladyna
Das cellu l‘art Jena, das alljährliche Festival für Kurzfilme, kann definitiv auf eine beeindruckende Geschichte zurück blicken: 1999 von Studierenden gegründet steht das normalerweise im April stattfindende Festival für 20 Jahre internationale Filmkunst in Jena. Aufgrund der Pandemie wurde die 22. Ausgabe jedoch in den Herbst verschoben und vom 19.-24. Oktober veranstaltet. Nach einer Woche voller internationaler Wettbewerbsfilme, Filmen aus dem diesjährigen Gastland Japan und diversen Specials wurden am Sonntag zum Abschluss noch einmal die fünf Gewinnerfilme gezeigt. Diese waren alles andere als leichte Kost und zeugten von einer Jury und einem Publikum, dass durchaus bereit war, sich mit schwierigen und brisanten Themen auseinanderzusetzen.
Mit „Just a Guy“ von Shoko Hara wählte die Jugendjury ein animiertes Porträt dreier Frauen, die sich um Massenmörder und Vergewaltiger Richard Ramirez hingezogen fühlten und mit ihm im Gefängnis Beziehungen aufbauten. Die animierte Form des Filmes machte es hierbei möglich, die brutalen Verbrechen zum einen zu visualisieren, sie zum anderen aber so weit zu verfremden, dass ihr „Verstörungspotential“ kontrollierbar wurde. Den Publikumspreis erhielt „La veuve Saverini“ von Loïc Gaillard, ein Kurzfilm über eine rächende Witwe, der ebenfalls keinesfalls das Prädikat „leichte Kost“ verdienen würde. Gegen diese Darstellung menschlicher Abgründe wirkte „Winter in the Rainforest“ von Anu-Laura Tuttelberg beinahe kontemplativ – auch wenn in dieser durch-chorographierten, tropisch-fantastischen Welt der Tod ebenfalls hinter einer porzellanartigen Blüte lauern konnte. Der vielleicht wichtigste Film der Gewinner „Nacht über Kepler 452b“ von Ben Voit bestach durch seinen mitfühlenden, nahen Blick auf eine Personengruppe, die kaum im Blickfeld steht: Die Dokumentation begleitet Obdachlose durch den kalten Winter in Berlin und thematisiert die Tatsache, dass auch auf deutschen Straßen Menschen erfrieren. In „Rio“ von Zhenia Kazankina bleibt ein Gast in einem Hotel nahe der Grenze ungewöhnlicherweise länger als eine Nacht: was die beiden Hotelmitarbeiterinnen Paulina und Nadia aus der Lethargie der Realität reißt und sie zu wilden Tagträumen anregt. Doch was ist Realität, was ist Fiktion?
Die Gewinnerfilme zeigen vor allem, dass das cellu l‘art Mut hat, Kurzfilme zu prämieren, die sich mit schwierigen, sperrigen und unangenehmen Themen beschäftigen. Bei denen es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht, bei denen Menschen Blut an den Fingern klebt und die rauen, aber auch quälend eintönigen Seiten des Lebens gezeigt werden. Durch die Terminverschiebung des Festivals ist die Wartezeit auf die nächste Ausgabe ja auch verkürzt, von daher können wir schon jetzt gespannt sein, in welche Abgründe und Alltäglichkeiten im nächsten Jahr geblickt wird.
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