Verschüchtertes Entblößen der Oberweite oder ein unverstellter Blick in den Schritt: Die Geschichte der Aktfotografie ist eine Geschichte der Gegensätze – von Erotik und Pornografie, von Kunst und Kommerz.
von LuGr
Als am 19. August 1839 die Pariser Akademien der Wissenschaften und Künste der Weltöffentlichkeit das Fotoverfahren der Daguerreotypie zum Geschenk machten, begann eine bis dahin einmalige Verschiebung der Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Daguerreotypien waren Fotografien, die auf einer spiegelglatt polierten Metalloberfläche aufgenommen wurden und entgegen anderer, älterer Verfahren wie beispielsweise der Heliografie keine Belichtungszeit von mehreren Stunden mehr benötigten. Anfangs waren Daguerreotypien nur Direkt-Positive, damit Unikate und lediglich für das gehobene Bürgertum erschwinglich. Schnell wurden aber verbesserte Verfahren zur massenhaften Verbreitung der Aufnahmen entwickelt, die sich nun auch weniger Betuchte leisten konnten. Der Fotograf konnte nun mit seinem Objektiv in einem bisher ungekannten Grad Wirklichkeit in einem Bild einfangen. Das, was da zunächst auf versilberten Kupferplatten zu sehen war, schien eine getreue Abbildung der Wirklichkeit zu sein – und wie schon zuvor Maler waren auch frühe Fotografen von nackten Körpern fasziniert.
Der Akt und seine technische Reproduzierbarkeit
Wann die erste Aktaufnahme entstand, ist heute nicht mehr eindeutig auszumachen. Als verbrieft gilt jedoch, dass – abermals in Paris – spätestens 1845 handtellergroße, kolorierte Daguerreotypien nackter Frauen in den Schaufenstern von Optikern oder Kunsthändlern zu sehen waren und auch verkauft wurden. Das junge Alter des Mediums und die prüde Entstehungszeit lassen zwar eine gewisse Unschuld in den dargestellten Posen vermuten, doch das Gegenteil war der Fall: Vom beinahe romantischen Rückenakt, über erotische lesbische Küsse und aufreizende Posen nur teilweise verhüllter Damen mit gespreizten Beinen bis hin zur Momentaufnahme der heterosexuellen Penetration reichten die Motive in den 1880er Jahren, als die Aktfotografie begann, kommerziell betrieben zu werden. Die Bildautoren und Modelle dieser Fotografien sind heute unbekannt. Sie arbeiteten anonym, um drohenden Geld- oder Gefängnisstrafen wegen der Verbreitung von pornografischen Bildern zu entgehen. Diesen Aufnahmen gegenüber stand die wissenschaftliche Nutzung von Aktaufnahmen als „Bewegungsstudien“. Beispielhaft dafür ist die Serienfotografie von Eadweard Muybridge wie Woman walking downstairs Ende des 19. Jahrhunderts.
Wie viele neue künstlerische Ausdrucksformen brauchte auch die Fotografie trotz ihrer Popularität einige Zeit, um sich als eigenständiges Medium zu etablieren und aus dem Schatten der „Malerei-Imitation“ herauszutreten. So entstand in den 1850er eine Aufsehen erregende Zusammenarbeit zwischen beiden Kunstformen, als der Franzose Eugène Durieu Aktmodelle für eine Bilderserie fotografierte, während der Wegbereiter des Impressionismus, Eugène Delacroix, die Modelle in Pose rückte und dirigierte. Während Durieu knipste, griff Delacroix selbst zum Pinsel – sein Gemälde Odalisque zeugt davon und weist mit der Fotoserie Durieus verblüffende Ähnlichkeiten auf.
Neben den Papierabzügen von Aktfotografien waren ab den 1890er Jahren auch Ansichtskarten mit erotischen Motiven weit verbreitet, die sich bis in den 1910er Jahren großer Beliebtheit erfreuten. In diese Zeit fiel auch die Entstehung der Lebensreform-Bewegung, die sich an der Schönheit und dem Erleben der Natur ausrichtete. Die sexuelle Komponente stand in den Fotografien dieser Strömung, die nackte Menschen beim Sport oder in Bewegung zeigt, im Hintergrund.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs fanden neue Aspekte Eingang in die Welt der Aktbilder, die sich besonders stark in Nordamerika, Westeuropa und der Sowjetunion ausprägten: „Neusachliche“ Fotografie zeichnete sich beispielsweise durch einen Sinn für Details und Bildschärfe aus; das „Neue Sehen“ wollte das Maschinenzeitalter mithilfe von Doppelbelichtungen und Collagen auf die in Perspektive und Fokus manipulierten Bilder übertragen. Auch wandelten sich in den 1920er Jahren besonders in Deutschland die Posen und die Bildgestaltung bei Aktfotografien: weibliche Modelle waren nun selbstbewusste Verführerinnen, die ihre Reize auf den Bildern mit Dessous, Make-Up und Accessoires lasziv einzusetzen wussten. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschob sich hier jedoch die Intention der Bilder, deren Entstehung nur geduldet wurde, wenn sie den politischen und propagandistischen Idealen der Nazis entsprachen. Das betraf vor allem Motive nackter, makellos geformter Frauen nach den Vorstellungen einer korrekten „Volkshygiene“. Michael Koetzle, Chefredakteur der Foto-Zeitschrift Leica World, sieht mit Beginn des Zweiten Weltkriegs gar eine Zäsur und das Ende der klassischen Moderne der Fotografie: Die Experimentierfreude mit dem Medium wie Doppelbelichtungen oder Verzerrungen von Perspektiven, die auch den Teilbereich der Aktfotografie erfassten, kamen bis Mitte der 1940er Jahre zum Stillstand.
Der nackte Frauenkörper in den Massenmedien
In den 1950er Jahren gab es in der Aktfotografie auch aufgrund gesellschaftlicher Prüderie eine Tendenz, bei der nur die Grundformen des Körpers betont und weite Teile des Bildes bei der Entwicklung verfremdet wurde. Ruth Bernhard war in der Nachkriegszeit eine der wenigen Frauen, die den Akt als Form ihres künstlerischen Ausdrucks als Fotografin entdeckte. Sie schuf mit Werken wie Classic Torso (1952) ein beeindruckendes Dokument aus dieser Zeit.
Die sexuelle Revolution in den 1960er Jahren versorgte Zeitschriftenhändler nicht nur mit zahlreichen „Heftchen“ aus Skandinavien. Nach der Liberalisierung einiger Gesetze zur Verbreitung anzüglicher Schriften setzte sogar eine regelrechte „Sexwelle“ ein, die jedoch weniger politische Botschaften von der „sexuellen Befreiung“ transportierte, als vielmehr auf die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse in dem sich langsam etablierenden Markt für Männermagazine zielte.
Als in den 1970er Jahren der Pornofilm zur Blüte kam und Larry Flynt 1974 die erste Ausgabe des Hustler mit oftmals als frauenfeindlich kritisierten pornografischen Bildern veröffentlichte, war die Aktfotografie – wie bereits schon einmal in den 1880er Jahren – wieder im Kommerz angekommen. Dieser Tendenz stellten sich Künstler (oftmals auch mit dem eigenen Körper als Motiv) auf der Suche nach einer neuen, authentischen Körperlichkeit entgegen. Auch Tabuthemen wie Transvestitismus, homosexuelle Pornografie und sadomasochistische Motive sind dem Medium seither nicht mehr fremd. Einen anderen Weg schlägt seit den 1990er Jahren Spencer Tunick mit seinen fotografischen Installationen von bis zu tausenden nackten Körpern ein, die Gemälden ähneln. Der Akt tritt somit aus seiner Einzelerscheinungsform heraus und setzt auf eine teilnehmende Kunst als Ausprägung eines postmodernen Kunstverständnisses. Der Partizipationsgedanke wird im Internet auf die Spitze getrieben. Nacktaufnahmen sind nicht nur grenzenlos verfügbar, der User kann durch eingebaute Kameras in seinem Computer sogar selbst zum Fotografen werden. Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit von Aktfotografien hat hiermit seine vollendete Verschiebung erfahren.
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