Der ukrainische Student Kirill studiert seit einem halben Jahr Betriebswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität in Halle. Er hat viel zu erzählen – von seinem Studium in der Ukraine und in Deutschland und natürlich vom Majdan.
von Nataliya Gryniva
Als er nach Halle gekommen ist, war die Sprache für ihn das größte Problem. Alltägliche Dinge, die für hallische Studierende selbstverständlich sind, musste ein Ukrainer erst einmal verstehen, wie beispielsweise die Ansagen in den Straßenbahnen. Oder dass am Sonntag die Geschäfte geschlossen haben. In der Ukraine ist das nämlich der Tag, an dem am meisten eingekauft wird. Er selbst bezeichnet Russisch als seine Muttersprache, spricht Ukrainisch aber genauso fließend und will mit seinen Kindern Ukrainisch reden. „Ich hatte das Glück, in einer unabhängigen Ukraine geboren zu sein“, sagt er.
Kirill erzählt, dass auch er auf dem Majdan war. Dies ist der zentrale Platz in Kiew, auf dem 2014 hunderttausende Ukrainer demonstrierten, als der damalige Präsident Janukowitsch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU verweigert hatte. Kirill schildert seine Erfahrungen am Anfang des Protests: „Ich stand mit den anderen da, wir tranken Tee und redeten. Plötzlich stürmten auf uns die Polizisten zu. Wenn du siehst, wie diese Masse auf dich losgeht, kriegst du wirklich Angst. Mein ganzer Rücken war danach blau.“ Seiner Einschätzung nach wird es in der Ukraine regelmäßig zu solchen Majdans kommen. „Sie werden immer härter sein“, fügt er hinzu.
Vor seinem Bachelorstudium in Halle hat der 21-Jährige schon einige Module an der Nationalen Wadym-Hetman-Wirtschaftsuniversität in Kiew abgeschlossen. „In der Ukraine hat man vorgeschriebene Kurse, die jeder belegen muss.“ Dass er an der MLU seine Seminare wählen kann, findet er besser. Auch dass er Veranstaltungen oft mit unterschiedlichen Studierenden hat, kannte er von seiner Heimatuni nicht. Alle Vorlesungen und Seminare habe man dort mit den gleichen Leuten, entsprechend groß sei das Zusammengehörigkeitsgefühl, Freundschaften würden schneller entstehen. Trotzdem wollte er unbedingt in Deutschland seinen Abschluss machen, da ein europäischer Bachelor in der Ukraine sehr angesehen sei und er damit viel höhere Jobchancen gegenüber seinen Kommilitonen in Kiew habe. Warum er sich ausgerechnet für Halle entschieden hat? Kirill erklärt, dass er eine Universität suchte, an der er auf Englisch studieren kann und keine Studiengebühren zahlen muss. Neben der Martin-Luther-Universität standen noch Frankfurt an der Oder und Magdeburg zur Auswahl, letztendlich entschied er sich für das Studium in Halle. Die Saalestadt erinnert ihn im Übrigen aufgrund der Architektur an die westukrainische Stadt Lwiw. Nach seinem Studium möchte Kirill sich einen Job in Deutschland suchen. Wenn es nicht klappt, so ist er sich sicher, einen in Kiew zu finden.
Kiew sei für ihn eine der schönsten Städte der Welt, in der er sich wie kein anderer auskenne, und das dank seinem Vater: „Er fragte mich mal, ob ich Kiew wirklich kennenlernen will.“ So habe er ihn oft an beliebigen Plätzen abgesetzt, und Kirill musste von dort aus den Weg nach Hause finden. Auf die Frage, welche Orte er deutschen Studierenden in Kiew empfehlen würde, nennt der BWL-Student das Kiewer Höhlenkloster, die Sophienkathedrale, den Unabhängigkeitsplatz Majdan und den Andreassteig – eine der ältesten Straßen Kiews. Außerdem lohne es sich auf jeden Fall, das Nationale Museum der Geschichte und das Museum des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko zu besuchen.
Jetzt konzentriert er sich nach der vorlesungsfreien Zeit wieder auf die Uni. Das Studium möchte er nämlich so schnell wie möglich abschließen, um mit der Praxis anzufangen. Und sich viele Träume zu erfüllen. Zum Beispiel das Bild Nacht am Dnepr des russischen Malers Archip Kuindschi im Original zu sehen.
Nataliya Gryniva ist Redakteurin der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 67.
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