Der gehobene Zeigefinger

Plattenbausiedlungen – einst heiß begehrt, heute nur noch Brennpunkte? (Foto: Daniel Mott)

Wie kann man dem sogenannten Alltagsrassismus begegnen, ohne selbst in pauschale Urteile und besserwisserische Zurechtweisungen zu verfallen? Eine Kolumne aus der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit.

von Sascha Kodytek

Er hat nichts gegen Schwarze, sagt er. Dass er mit ihnen, mit den Schwarzen, im Baucontainer sogar Bier getrunken habe, sagt er. Aber, sagt er, wer sich an unser Land nicht anpasst, der ist unangenehm, gehört hier nicht hin.
Vor mir steht ein Mann, der das Wort „Kanake“ mit der gleichen Unschuld über die Lippen bringt, mit der er auch über „Zigeuner“ und „Polacken“ spricht. Viele meiner Mitstudenten und Freunde hätten sich deshalb vor Empörung mittlerweile selbst entzündet. Ich aber habe beschlossen, das Gespräch zum Mitbürger zu suchen. Ein Gespräch frei von blasierten Zurechtweisungen oder einer gesondert scharfen Sprache.
Wir tauschen uns aus über die DDR, Eichenholz, Kfz-Unfälle, Spielplätze und eben über Ausländer. Wenn es um Politik geht, sprechen wir verschiedene Sprachen. Er spricht beispielsweise von „Kinderfickern“, ich nicht. Dabei wird mir klar, wie leicht ich die praktischen Gedanken dieses Mannes aus meiner politischen Borniertheit heraus hinweg gewischt hätte. Hören wir ihm zu: „Wenn die Kanaken bis tief in die Nacht laut sind, weil das bei denen so normal ist, und wenn die Hausflure voll sind mit Kinderwägen, Dreck und Müll, dann will da doch keiner mehr leben.“
Er hat erlebt, wie die einst heiß begehrten DDR-Plattenbausiedlungen seiner Kindheit zu heruntergekommenen Vierteln mit hohem Migrationsanteil wurden, in denen einige Menschen sich nicht mehr wohl fühlen. Die Frage, ob sich das Erzählte dann nun auf alle „Kanaken“ verallgemeinern lässt, oder eben nicht, wird dabei akademisch. Seine Welt, die Welt, die er begreifen muss, endet an der Stadtgrenze – und funktioniert ohne moralische Maxime oder feine Theoreme. Er beschreibt Verhalten, beschreibt Szenen, die sich in seinem Alltag abgespielt haben und zieht daraus Schlüsse. Mir leuchtet das ein, auch wenn er zu dem Schluss kommt, es sei eben schwierig mit Ausländern zu leben, weil die so ausländisch sind. Wenn er sagt, „Ich habe nichts gegen XY, aber“, öffnet sich in ihm ein Widerspruch, für den er nicht verspottet werden sollte. Er hat in seinem Leben vorrangig schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht. Er hat mehr Probleme mit Farbigen gehabt als schöne Momente mit ihnen geteilt und doch erzählt die gesellschaftliche Intelligenz ihm, was völlig praxisfern ist: Urteile nicht über deinen Nächsten, habe keine Vorurteile. Wie soll er dem gerecht werden, ohne ein „Aber“?
Es mag gut sein, über die Funktionsweise von Vorurteilen und Rassismus aufzuklären; es mag vielleicht sogar helfen zu zeigen, dass seine Wahrnehmung – sein Schließen vom Einzelfall aufs Allgemeine – ihn täuscht, aber ist es praxisnah? Kann ein begründetes „Die Dinge sind nicht so, wie du sie siehst“ die Gefühle erwürgen, die sich regen, wenn die Türken im dritten Stock nachts halb zwei Rabatz machen?
Für viele Beobachter schien es obskur, dass gerade in Sachsen, wo der Ausländeranteil so niedrig ist, wo so wenige Muslime leben, der Hass gegen beide Gruppen so stark aufflammte. Man erheiterte sich darüber, dass in Großbritannien gerade die Regionen für einen Brexit, für einen Migrationsstopp stimmten, die kaum Migranten haben. Dabei wird doch gerade so ein Schuh daraus: Wo der Austausch fehlt, wo im Alltag ein schlechter, nie aber ein angenehmer Eindruck entsteht, da liegt der Schluss doch nah, da muss er doch folgen, dass das Zusammenleben mit Ausländern schwierig ist.
Was hingegen in weiter Ferne liegt, ist der Entschluss, all jene, die Migranten kritisch gegenüber stehen, als verkommene Menschen abzustempeln und zu verurteilen. Rassist wird man eben auch unfreiwillig.

Sascha Kodytek ist Redakteur der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 73.


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