The Hateful 8, Quentin Tarantinos achter Film, versammelt acht zwielichtige Gestalten in einer verschneiten Blockhütte. Ein wunderschön gefilmtes Kammerspiel rund um die Frage, wer hier am meisten zu verbergen hat.
von Frank
Los Angeles, April 2014, Ace Hotel Theatre, ein früherer Kinopalast im Herzen der Metropole: Gerade hat The Hateful 8 seine Premiere erlebt. Vor ausverkauftem Haus. Dabei hatte Quentin Tarantino das Projekt bereits längst abgeschrieben, war doch das Script im Internet geleakt worden…
Darum wurde an besagtem Tag in L.A. auch zu keiner Filmvorführung geladen – sondern zu einer Lesung des Drehbuchs. Tarantino selbst las die beschreibenden Teile seines Scripts vor. Mit ihm auf der Bühne: ein Großteil des späteren Film-Casts, unter anderem Kurt Russell, Samuel L. Jackson und Tim Roth. Selbst die Profis waren aufgeregt angesichts dieses ungewöhnlichen Experiments. Das Publikum indes zeigte sich begeistert, gab Standing Ovations. Die überwältigenden Reaktionen ließen den Gedanken einer Wiederbelebung des Projektes reifen – acht Monate später begannen die Dreharbeiten zu The Hateful 8.
Simples Setting, intensive Dialoge
Wyoming an einem kalten Dezembertag, wenige Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg: Eine Kutsche bahnt sich ihren Weg durch den Schnee, auf dem Weg in die Stadt Red Rock. Ein Schneesturm zwingt das Gespann und die vier Passagiere, darunter der Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) und seine Gefangene Daisy Domergue (für ihre Rolle Oscar-nominiert: Jennifer Jason Leigh), zu einem Zwischenhalt in „Minnie’s Haberdashery“. In der Blockhütte treffen sie auf vier weitere vom Schnee festgesetzte Gäste. Mitten im eisigen Nirgendwo entwickelt sich ein spannungsgeladener Plot zwischen acht Fremden, von denen scheinbar jeder mehr zu verbergen hat als der andere. Und die sicher nicht alle lebend nach Red Rock kommen werden.
Eigentlich hat sich das, was sich heute auf der Leinwand entspinnt, nicht weit von dem entfernt, was im Frühjahr 2014 in Los Angeles stattgefunden hat. Ab Betreten der Hütte, die von nun an fast den gesamten restlichen Film lang Handlungsort sein wird, inszeniert Tarantino The Hateful 8 wie ein Theaterstück; ein Kammerspiel in geradezu minimalistischem Setting (und man kann sich fragen, ob der Film auch ohne die vorherige Erfahrung Tarantinos mit der Theater-Lesung des Scripts genau diese Gestaltung erfahren hätte). Ganz klar liegt dabei der Fokus auf der sich in langen Gesprächen entwickelnden Psychologie der Charaktere: Schuss-Gegenschuss, auf ausgezehrte, misstrauische Gesichter. Kaum mehr als die Aneinanderreihung intensiver Zwiegespräche – und das, obwohl immer vier, sechs, acht Personen in diesem Einraum, dieser Zelle beisammen sind: am Kamin, am Esstisch; in kleinen Gruppen oder allein, Pfeife rauchend. Eine ständige Anwesenheit der Anderen – im Hintergrund freilich – die durch viele Halbtotalen und das besondere Bildformat spürbar bleibt.
Technik der 60er Jahre
Nostalgiker Tarantino entschied sich beim Dreh für den Einsatz von „Ultra Panavision 70“, einem Verfahren, das überhaupt nur bei einer Handvoll Filmen genutzt wurde, zuletzt 1966 (!) beim Film Khortum – Aufstand am Nil. Das Potenzial eines solchen Drehs im Breitwandformat zeigt sich bereits in den ersten zehn Minuten des Films, mit großartigen Naturaufnahmen verschneiter Wälder, untermalt durch stimmungsvolle Musik von Meisterkomponist Ennio Morricone. Doch nicht nur hier erweist sich The Hateful 8 als handwerkliche Bravurleistung: Lichtsetzung, Schnitte, Kameraarbeit und Musik machen in ihrem Zusammenspiel den Film zu einem intensiven künstlerisches Erlebnis, das unbedingt auf der großen Leinwand gesehen werden will (wirklich: Wer hier streamt, ist selber schuld).
Auch die Darstellerriege kann sich sehen lassen. Hervor stechen vor allem Samuel L. Jackson als früherer Nordstaaten-Kavallerist Major Warren und Kurt Russel als Kopfgeldjäger „Hangman“ Ruth – schon allein die Dialogszenen der beiden machen den Film sehenswert. Major Warren sieht sich dabei als einziger schwarzer Hauptcharakter einer ständigen Überzahl von Weißen gegenüber. Insbesondere der von Bruce Dern gespielte gealterte Südstaaten-General Smithers macht kein Geheimnis um seinen Hass auf den schwarzen Kriegsgegner.
Django meets „Cluedo“
Mehrere solcher Themenkomplexe reißt Tarantino an, mal sehr explizit, mal eher hintergründig. Ausgerechnet den dandyhaften Henker Mobray (Tim Roth) lässt er einen Monolog über Gerechtigkeit und Selbstjustiz halten. Eine ungleich prominentere Stellung nimmt indes – wenig überraschend – der Rassismus ein. Doch anders als im Vorgänger Django Unchained tritt hier, in der Enge der Blockhütte, noch etwas hinzu: das räumliche Nebeneinander ehemaliger Todfeinde.
Dass The Hateful 8 letztlich aber nicht wirklich wie aus einem Guss wirkt, erweist sich erst spät im fast dreistündigen Kammerspiel. Auf dem Weg begegnen uns zwar einige Logiklöcher; diese beachtet man allerdings kaum, da man mindestens so sehr mit gespannter Beobachtung beschäftigt ist wie die Figuren untereinander. Zwar sind ständig alle anwesend, aber nicht jederzeit sichtbar, was dem Geschehen eine besondere Spannung, ja: Anspannung verleiht. Und eben diese Anspannung entlädt sich dann ebenso wie der Hass zwischen Nord- und Südstaaten – während das alte Klavier nebenher ein verstimmtes „Stille Nacht“ spielt. Hier nimmt The Hateful 8 schlagartig an Fahrt auf, bevor er sich in den letzten 45 Minuten mehr und mehr ins gewaltpornografisch Blutig-Überzeichnete verliert. Das aber verleiht dem letzten Drittel eine Hektik, die dem Film insgesamt nicht gut tut. Und paradoxerweise lässt gerade das – anders als die anfängliche Kutschfahrt oder die minutenlangen Dialoge – die Länge des Films spüren, bevor man sich mühselig und blutverschmiert dem Schlusspunkt entgegenschleppt.
Abseits dieser schwächelnden Schlussakkorde bleibt The Hateful 8 allerdings ein sehenswerter, handwerklich und visuell überzeugender Film mit großartigem Soundtrack und passgenauer Besetzung, der hoffentlich nicht Tarantinos letzter Streich bleiben wird.
The Hateful 8 startet am 28. Januar in deutschen Kinos.
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