Die Logos der FSK kennt jeder hierzulande – ihren Hintergrund jedoch nicht unbedingt. Einstufungsinstitutionen anderswo arbeiten ganz anders – mit oft sehr disparaten Ergebnissen. Ein interkultureller Vergleich.
von David
Arte – ein Sender mit einem Programm für zwei Staaten. Doch als 2007 George Romeros Horrorfilm Day Of The Dead gezeigt wurde, waren die Ausstrahlungen nicht identisch: Für den französischen Sendebereich wurde der komplette Film gezeigt, während er in Deutschland zeitgleich in einer stark gekürzten Fassung lief. Wie es dazu kam? Deutschland und Frankreich haben unterschiedliche Systeme der Film-Alterseinstufungen, die aus vollkommen verschiedenen Kinokulturen und Praktiken der Medienzensur gewachsen sind.
Während Großbritannien mit der Errichtung des British Board Of Film Censors 1912 eine Vorreiterstellung in der Geschichte der Filmeinstufungen und -zensur einnimmt, war deren Entwicklung in den USA weitaus bedeutender. Hier einigten sich die großen Filmstudios Anfang der 1930er Jahre darauf, das in Filmen Zeigbare und Nichtzeigbare zu kodifizieren. Der sogenannte „Motion Picture Production Code“ verbot die explizite Darstellung von Mord, Raubüberfällen, Alkohol- und Drogenhandel sowie die sympathische Zeichnung von Gesetzesbrechern – letzteres eine Reaktion auf Gangsterfilme wie Little Caesar oder Scarface, die noch vor der Kodifizierung gedreht worden waren. Begründet mit der Heiligkeit der Ehe wurde außerdem die Darstellung von Sex zum Tabu: Darunter fielen besonders die Thematisierung von Ehebruch, Vergewaltigung, Homosexualität, Prostitution, Geschlechtskrankheiten sowie von Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen. Ein Film, der keine Freigabe der Production Code Administration (PCA) erhielt, ging wirtschaftlich zugrunde, da die Mehrheit der US-Kinos den Major Studios gehörten und Filme ohne PCA-Siegel nicht zeigten.
Was Filmemachern zu streng erschien, war dem christlichen Amerika zu lasch. Die katholisch begründete National Legion Of Decency mit ihren etwa sieben bis neun Millionen Anhängern mischte sich mit Boykottkampagnen regelmäßig in Filmproduktionen ein, um einen strikteren Moralcode durchzusetzen – oft erfolgreich. So unterstützte Warner Bros. 1951 den Regisseur Elia Kazan bei seinem Südstaaten-Melodrama A Streetcar Named Desire gegen die PCA, knickte aber vor dem Druck der Legion zusammen und legte die Schere an. Erst 42 Jahre später erschien der Film, der Marlon Brando zum Star machte, in einer rekonstruierten, ungeschnittenen Fassung.
Otto Preminger vs. PCA
In den 1950er Jahren begannen Regisseure, die ihre Filme selbst produzierten, das „Code“-System herauszufordern. Am weitesten ging Otto Preminger, der ab 1953 auch ohne PCA-Siegel und trotz öffentlicher Verurteilung durch die Legion seine Filme höchst erfolgreich veröffentlichte und dabei immer mehr Tabus brach: sei es Drogensucht (The Man With The Golden Arm, 1955), Vergewaltigung (Anatomy Of A Murder, 1959) oder Homosexualität (Advise & Consent, 1962). Einem der ersten Filme der „New Hollywood“-Bewegung, Who’s Afraid Of Virginia Woolf von 1966, wurde das Siegel verwehrt – sein Vertrieb jedoch unter der Auflage ermöglicht, dass nur Personen über 18 Jahren Eintritt erhielten. Die grafischen Beleidigungen, die sich Richard Burton und Elizabeth Taylor an den Kopf warfen, führten zum Ende des „Production Code“ und zur Einführung gestaffelter Altersbegrenzungen, wie wir sie auch in Deutschland kennen.
Das sogenannte „Rating System“ befreite die Filmemacher theoretisch von Interventionen der Studios. Doch das höchste Rating (zunächst „X“, seit 1990 „NC-17“ – „No children 17 and under“), oder gar die Ablehnung, am „freiwilligen“ System teilzunehmen, haben schwere Folgen: Die meisten US-Kinos lehnen die Aufführung von NC-17- und Unrated-Filmen ab. In der Praxis „arbeiten“ viele Regisseure und Produzenten auf ein bestimmtes Rating „hin“ (z. B. auf höchstens „PG-13“ bei Comic-Franchises) oder schneiden ihre Filme, um ein niedrigeres zu erhalten. Radikale Independent-Filmemacher, wie zum Beispiel Zombie-Regisseur George Romero, bringen manch einen Film auch bewusst ohne Rating an das (zahlenmäßig dann reduzierte) Publikum.
Immer wieder wird das US-Rating-System kritisiert: Sexualität würde strenger bewertet als Gewalt, queere Sexualität strenger als heteronormative Sexualität, US-Independent- und ausländische Filme strenger als US-Studioproduktionen. Vielleicht wichtiger als moralische Gesichtspunkte ist aber seit jeher die Frage nach der Vermarktbarkeit von Filmen jenseits großer Metropolen – also auch in christlich-konservativen, aber publikumsreichen Bundesstaaten. Theoretisch gilt das US-Versprechen grenzenloser Freiheit auch im Filmbereich. Schlussendlich wird aber manch ein Film nur in wenigen Großstadt-Programmkinos gezeigt – ein beständiger, aber beschränkter Markt.
Nach Jahrzehnten staatlicher Filmzensur von 1920 bis 1945 stieg Deutschland (im Westen) auf nichtstaatliche Filmklassifikation um und folgte dem US-System. Dieses wurde mit staatlichen Regulierungen ergänzt: In der 1949 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) prüfen Vertreter der Filmindustrie cinematografische Werke in Zusammenarbeit mit Landesjugendschutz-Beauftragten anhand von Rahmengesetzgebungen. Maßgeblich dabei ist das Jugendschutzgesetz, das 1951 unter Beteiligung des CSU-Abgeordneten Franz Josef Strauß entworfen und verabschiedet wurde. Die heutigen Alterstufen (ab 6, 12, 16, 18) enthält das Gesetz seit Ende der 1950er Jahre.
Die FSK, die bis heute als nichtstaatliche Institution Filmeinstufungen vornimmt, ist geradezu unumgänglich. Die gebührenpflichtige Vorlage eines Films ist für Verleihe de jure freiwillig. Doch die meisten Kinos in Deutschland haben sich verpflichtet, ausschließlich von der FSK freigegebene Filme zu zeigen, sodass ein Vertrieb ungeprüfter Filme fast unmöglich ist. Ungeprüfte Filme und solche, denen die FSK eine Freigabe verweigert hat, können zudem als Medieneinheit (Filmkopie, VHS, DVD oder Blu-ray) von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert, also mit weitreichenden Vertriebs-, Werbe- und Aufführungsbehinderungen belegt werden. Knapp 40 Indizierungen waren es zwischen Januar bis April 2013, darunter die auf internationalen Filmfestivals gelobte schwarze Komödie Killer Joe des Regisseurs William Friedkin (u. a. bekannt für The Exorcist). Unabhängig davon kann jedes deutsche Amtsgericht auf Antrag Filme bundesweit beschlagnahmen lassen: In den letzten zehn Jahren waren es weit über 100 Einheiten. George Romeros Day Of The Dead wurde seit 1991 gar 14 Mal beschlagnahmt.
Bürokratie und Filmkultur
Anders läuft die Filmprüfung in Frankreich: Hier übernehmen seit 1919 ministerielle Behörden diese Funktion. Es besteht eine gesetzliche Prüfpflicht, die in der Vergabe oder Nicht-Vergabe eines staatlichen Vertriebssiegels mündet, ohne das in Frankreich kein Film aufgeführt werden darf.
Bis in die 1960er Jahre wurden besonders bei kritischen Darstellungen kolonialer Sachverhalte oder der französischen Armee und Polizei strenge Schnittauflagen oder Verbote ausgesprochen, so etwa gegen die algerisch-italienische Produktion La battaglia di Algeri, die 1966 den Algerienkrieg thematisierte. Proteste gegen solche Restriktionen, wie auch der große Verbotsskandal um Jacques Rivettes La religieuse im selben Jahr, setzten diese Praxis unter Druck. 1969 wurde die Filmzensur vom aufgelösten Informationsministerium an das Kulturministerium übergeben – faktisch die staatliche Anerkennung des Mediums Film als Kunst. Nach der de-Gaulle-Ära setzten liberalere Ministerialbeamte eine zunehmend freiere Einstufungspraxis durch. Verbote und Schnittauflagen wurden durch Altersbeschränkungen mit Inhalts-Warnungen ersetzt.
Heutzutage hat das europäische Land mit dem bürokratischsten staatlichen Filmeinstufungssystem die liberalste Spruchpraxis: Zwei Drittel aller Filme werden in Frankreich ohne Altersbeschränkung freigegeben, die restlichen altersbeschränkt ab 12 und 16 Jahren. Während in Deutschland die (ungekürzte) TV-Ausstrahlung von Day Of The Dead völlig undenkbar ist, ist sie in Frankreich problemlos möglich – hier hat er ein 12er-Rating.
Die Einschränkungen, die Filme in verschiedenen Ländern erfahren, sind also nicht so sehr von der Art der Filmprüfung abhängig, als eher von der Filmkultur des jeweiligen Landes. In Frankreich, mit seiner langen Tradition intellektueller Filmkritik, wird Film eher als kulturell und künstlerisch wertvolles Gut wahrgenommen als im Nachbarland. In Deutschland ist der Film zwischen dem Dogma der Unterhaltung (ein Erbe der Nazi-Ära) und einem überaus autoritär ausgelegten Jugendschutz eingezwängt. In den USA hingegen wird manche Produktion eher durch Marktgesetze als durch Moral marginalisiert. So kann noch heutzutage ein einziger Film mit schlurfenden Untoten je nach Ort vieles sein: die Freude cinephiler Heranwachsender, die verbotene Frucht erwachsener Zuschauer oder ein Nischenprodukt für ein Nischenpublikum.
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