Trotz Krise ist das baltische Land Anfang des Jahres als nunmehr 18. Staat der Eurozone beigetreten. In der Bevölkerung macht sich Skepsis breit – und Lats-Nostalgie.
von Ilze Polakova
In meinem Portemonnaie befinden sich zwei Währungen – lettische Lats vermischen sich mit Euro-Münzen. Als ich zum Jahresende meine Heimat besucht habe, habe ich zum letzten Mal mit Lats bezahlt. Seit dem 1. Januar 2014 gibt es auch in Lettland den „Eiro“ – der Doppellaut ‚eu’ ist im lettischem historisch zu einem ‚ei’ gewandelt. So wird in Lettland von ‚Eiropa’ und ‚Eiro’ gesprochen. Nachdem ich mich lange mit den politischen und wirtschaftlichen Vorgängen beschäftigt habe, die zum Beitritt in die Eurozone führten, wollte ich nun herausfinden, wie die Bevölkerung eigentlich zu der neuen Währung steht.
Politisch muss Lettlands Entscheidung, der Euro-Zone beizutreten, als ein weiterer Integrationsschritt in der Europäischen Union betrachtet werden: Als Lettland im Jahr 2004 der EU beitrat, war auch die Etablierung des Euro Teil des Integrationsplans. 1991, als Lettland seine Unabhängigkeit wiedergewann, brach die bisherige Wirtschaft zusammen. Große Industrie-Unternehmen wurden aufgelöst, zerschlagen und privatisiert. Auch der sowjetische Markt wurde der lettischen Wirtschaft nun verschlossen. Das baltische Land musste sich neu orientieren, das bisherige Leben in allen Bereichen neu organisiert werden. Der Traum vom sicheren Schutzhafen für die politische und wirtschaftliche Zukunft ging 2004 in Erfüllung: Die so genannten baltischen Tiger Lettland, Estland und Litauen wurden zu vollwertigen Mitgliedern der NATO und der EU. Doch Lettland erwarteten noch Jahre harter Arbeit, um sich dem europäischen Lebensstandard anzunähern.
Ursprünglich hatte Lettland bereits 2008 der Eurozone beitreten wollen, doch aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage, verstärkt durch die Finanzkrise 2007, konnte es die Kriterien zunächst nicht erfüllen. Aufgrund der schweren Situation war das Land sogar auf finanzielle Hilfe der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds angewiesen.
„Eiro Nē!“
Erst am 9. Juli 2013 wurde das Land zum 18. Mitglied der Eurozone. Der lettische Finanzminister Andris Vilks betrachtet die Euro-Einführung als wichtigen Schritt seines Landes in Richtung Integration innerhalb Europas. Lettlands Präsident Andris Bērziņš ist überzeugt, dass die Eurozone vor allem die Exportmöglichkeiten steigern und somit die Wirtschaft weiter entwickeln wird.
Doch nicht alle in Lettland begrüßen die Euro-Einführung; die Unterstützung in der Bevölkerung ist nicht besonders groß. Die verbreitete Euro-Skepsis hat mehrere Gründe. Die Entscheidung für den Euro wurde seitens der Politik gefällt; die Bevölkerung wurde nicht ausreichend informiert, ihre Meinung nicht erfragt. Auch die Berichte über die Euro-Instabilität und die Krise in Griechenland vermehrten die Anzahl der Skeptiker. Eine Gruppe der Euro-Gegner, „Eiro Nē!“ versuchte noch im November 2013, im lettischen Parlament Berufung gegen die Währungsumstellung einzulegen. Diese blieb jedoch erfolglos.
Laut Statistik sollen unter den Euro-Befürwortern vor allem Jugendliche, Menschen mit guter Ausbildung, Familien mit gutem Einkommen (um 500 Euro pro Person) und Unternehmer sein. Die Euro-Gegner rekrutieren sich demnach aus den Gesellschaftsschichten mit niedrigeren Einkommen (bis 200 Euro pro Person), geringer Bildung, Menschen im Alter über 65 sowie Einwohner der südöstlichen Region Lettlands, Latgale. Latgale grenzt an Russland und Weißrussland, hat den höchsten Anteil von russischsprachigen Einwohnern (um 38 Prozent) und gilt seit 1991 als wirtschaftlich schwächste Region in Lettland.
Verschiedene Statistiken liefern unterschiedliche Angaben über die Anzahl der Euro-Befürworter und -Gegner. Um mir ein eigenes Bild zu verschaffen, mache ich auf den Weg in der Rigaer Altstadt. Dort unterhalte ich mich mit einigen Menschen über ihre Meinung zum Thema Währungsumstellung. Die 25-jährige Verkäuferin Zane findet es schade, dass der Euro eingeführt wird. Die Lati findet sie ästhetischer und ihre Größe praktischer. Taņa, eine Frau Mitte 50, die außerhalb Rigas lebt, sieht die Euro-Einführung in Lettland pragmatisch – jetzt werde das Reisen einfacher, weil man die Währung nicht mehr wechseln muss. Ein Mitarbeiter des Rigaer Flughafens, Ainārs, hat keine Antwort auf meine Frage. Für den 34-jährigen ist es nicht von Belang, da es für die Bevölkerung nicht möglich sei, Einfluss auf die Euro-Einführung zu nehmen. Er berichtet mir stattdessen stolz von seiner 1-Lat-Jubiläumsmünzen-Kollektion. Sonderanfertigungen der silbrig metallischen 1-Lats-Geldstücke wurden zu wichtigen Jubiläen Lettlands mit besonderen Symbolen auf der Rückseite geprägt. Diese wurden oft von der Bevölkerung gesammelt und untereinander getauscht. Ainārs hat bereits 22 der insgesamt 24 verschiedenen Lat-Münzen gesammelt und in ein Holzhufeisen gelegt. Dieses wird er als Andenken behalten.
Segen für Lettland aus Stuttgart und Karlsruhe?
Um die Sorgen in der Bevölkerung zu mindern, wurden seit Anfang Oktober 2013 in allen Medien große Informationskampagnen über die Vorteile der Euro-Einführung in Lettland durchgeführt. Politiker fuhren sogar in einzelne kleinere Städte, wie Cēsis oder Talsi, um über die Vorteile der zukünftigen Währung zu sprechen: Der Euro soll mehr Investoren anlocken und somit Arbeitsmarkt und Wirtschaft fördern, wie es bereits in Estland der Fall gewesen ist. Aufgrund der gemeinsamen Finanzpolitik verspricht man sich für Lettland größere Stabilität und Sicherheit in Finanzkrisen. Die monetäre Identität werde nicht verloren gehen, weil auch die lettischen EuroMünzen Rückseiten mit eigenem Symbol haben werden. Auf die 1-Euro-Münze etwa wird das Bild einer Frau in landestypischer Tracht geprägt; das Zwei-Euro-Stück zeigt ein Zitat aus der Hymne „Dievs svētī Latviju” (Gott segne Lettland). Die lettischen Euro-Münzen wurden bereits in den Münzprägeanstalten in Stuttgart und Karlsruhe hergestellt.
Medien berichten, die Zahl der Euro-Befürworter sei nach den Euro-Kampagnen gestiegen. Das Versprechen, dass die Preise durch die Euro-Einführung nicht steigen würden, kann jedoch zumindest als taktisch abgetan werden. Die lettische Verbraucherzentrale überwacht die Preise auf dem Markt; seit Oktober 2013 wurden mehrere Verstöße gegen das Versprechen registriert: durch inkorrekt angegebene Wechselkurse oder fehlende Angaben in beiden Währungen.
Wie sich das Leben in Lettland in Zukunft durch die neue Währung ändern wird, kann keiner genau sagen. Manche meinen, dass der Wechsel zu Eiros nur eine Sache der Gewohnheit sei. Um mich daran zu gewöhnen, in meiner Heimat kein Geld mehr wechseln zu müssen, schaue ich mir auch meine eigene 1-Lats-Sammlung an. Vielleicht werden ja bald auch solche Sonder-Eiro-Münzen wie der Lats mit einem Līgo-Kranz oder einem Storch erscheinen?
Ilze Polakova ist in Lettland geboren und aufgewachsen. Sie hat einen B.A. in Englischer Philologie an der Lettischen Universität in Riga erworben und studiert den Masterstudiengang Literatur-Kunst-Kultur an der FSU Jena.
Mail: ilze.polakova@gmail.com
Schreibe einen Kommentar