Ein Platz an der Sonne – Moderner Aktivismus leicht gemacht

von Yeke

Unterschriften sammeln für politische Gefangene in Indien, Weiterbildung beim Vortrag über Kindersoldaten in Sierra Leone und als Garnierung eine Demo gegen die geplante Autobahn durch die wunderschöne Heidelandschaft. Gemeinhin stellt man sich die Hobbies des modernen Aktivisten Augen rollend so vor. Wenn es sich nicht gerade um die wagemutigere Variante des G8-Touristen handelt, der auch schon mal den ein oder anderen Knüppelhieb einstecken muss.

Gegen Öl und Atomkraft, für Frieden

Ungeachtet der allgemeinen Einschätzung, früher sei „alles besser“ gewesen, früher – etwa vor rund 40 Jahren – sei die Jugend noch auf die Straße gegangen, wenn ihr etwas nicht gepasst hat, versinkt eben diese nicht im H&M-Rausch. Zumindest nicht nur. Neuestes Beispiel ist der Schülerstreik im November.

Die oben beschriebene Aktivistenspezies findet sich heute auch unter Teenagern und Mittzwanzigern. Anstatt in der Podiumsdiskussion der Sozialdemokraten trifft man sie in der Orts- oder Hochschulgruppe der NGO ihres Vertrauens. Allein Amnesty International, eine solche Nichtregierungsorganisation, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen weltweit einsetzt, zählt nach eigenen Angaben 2,2 Millionen internationale Mitglieder. In Deutschland seien 700 ai-Gruppen aktiv. Ganze 100.000 „Unterstützer“ soll es hier geben. Sie sind unter uns. Gegen Folter und Todesstrafe setzen sie sich ein; für den Schutz von MigrantInnen und Flüchtlingen; für die Freilassung gewaltloser politischer Gefangener. Die Liste geht noch weiter. Wem die Umwelt am (grünen) Herzen liegt, zieht es zu Greenpeace. Die führen auf ihrer Homepage 14 Themenbereiche auf: „Öl“, „Energie“, „Atomkraft“… Für den „Frieden“ ist Greenpeace auch. „Krieg ist kein Mittel zur Lösung von Konflikten“ heißt es da. Gut zu wissen.

Stadtwald oder Asylantenheim?

Nicht immer bietet sich der örtliche Stadtwald oder das Asylantenheim nebenan zur Aktion an. Das ist dann vielleicht der Punkt, wenn die Vortragsreihen über Kindersoldaten und unterdrückte Tibeter einsetzen. Das gern gehörte studentische Argument, welches mit dem Aufpolieren beginnt und dem Lebenslauf endet, hängt wohl zusammen mit der Wahrnehmung solcher Aktivitäten. Was haben schon deutsche Studenten mit den Belangen anderer Völker zu schaffen? Sich als politisch informierter, guter Mensch zu fühlen? Dafür ist es hilfreich. Das ist mit einer Gruppe Gleichgesinnter von vornherein einfacher. Mit einer global agierenden Organisation im Rücken, deren Informationsnetzwerk für Broschüren, Hintergrundinformationen und finanzielle Unterstützung sorgt, ist Aktivismus noch kein Kinderspiel, aber eine vorgegebene Struktur dieser Art ist ein nicht zu unterschätzender Anreiz.

Zahlen und Informationen sind vorgefertigt

Aus sicherer Ferne, der Sonnenseite unserer Gesellschaft, kann so jeder mithelfen, die Welt zu verbessern und das brennende schlechte Gewissen gleich mit abzukühlen. Auf dem Erdball Opfer auszumachen, ist schließlich ein erster Schritt auf dem Weg zur (Ein-)Ordnung des Weltgeschehens. Wenn es Opfer gibt, sind Täter ja nicht weit. Unversehens stehen einem schon zwei Kategorien zu Diensten, um Konflikte in allen Erdteilen zu durchschauen. Dass die Informationen und Zahlen vorgefertigt und, wie die Vergangenheit gezeigt hat, nicht unfehlbar sind, wird mit dem Gründungsakt der jeweiligen Ortsgruppe akzeptiert. Wenn das Guantanamo-Lager mit den sowjetischen Gulags verglichen wird, in denen immerhin fast 20 Millionen Menschen den Tod fanden, zeigt sich, dass auch die Öffentlichkeitsarbeit einer Menschenrechtsorganisation vor vereinfachten, aber publicity-wirksamen Freund-Feind-Zuordnungen nicht gefeit ist.

Menschenrechtscharta statt Mao-Bibel

Dabei bleibt das Anziehende dieser Art von Engagement die nicht unumstrittene Ideologiefreiheit. Die Mao-Bibel wird ganz einfach durch die Charta der Menschenrechte ersetzt. In Zeiten rückläufiger Mitgliedszahlen der Volksparteien und einer allgemeinen Politikverdrossenheit scheint die Utopie einer nicht genauer definierten besseren Welt noch der kleinste gemeinsame Nenner zu sein. Der wohlmeinende Beobachter belächelt vielleicht den Idealismus. Der Zyniker nimmt das Sprichwort mit dem Kampf und den Windmühlen in den Mund. Und der Rest mag sich von den Plakaten und Flyern genervt abwenden oder nicht. Die Kampagnen von Umweltschützern und Menschenrechtlern sind nicht zu missen wollende Mittel zur Aufklärung und Erzeugung eines Diskurses innerhalb der Öffentlichkeit. Sind aber Überschriften zu lesen, wie „Google: Don‘t Be Evil“ oder dicke Blitzsymbole zu sehen, die bei einem Expertenvortrag Konflikte symbolisieren sollen, dann ist das Rollen mit den Augen leider angebracht.


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