Wäre die Sprache ein in sich geschlossenes System, in dem jedem Wort eine eindeutige Bedeutung zugewiesen werden kann, gäbe es kein Problem mit sprachlicher Repräsentation. Nun ist die Sprache aber ein offenes System, was aus feministischer Perspektive zu einer fehlenden Repräsentation führt.
von Hanna
Werden Frauen und Männer in der Sprache gleichberechtigt behandelt? Wäre die Antwort „Ja!“, so gäbe es wohl keinen Sinn hinter diesem Artikel. Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Vielmehr die Ignoranz und Gleichgültigkeit, die dem Thema entgegenkommt – von Männern* aber auch von Frauen* –, macht es so wichtig und unerlässlich, darüber zu reden, aufzuklären und die vorangestellte Frage zu problematisieren. Gendern ist ein kontroverses, allerdings auch sehr wichtiges Thema für Gesellschaft und Sprache. Aus diesem Grund muss ein größeres Bewusstsein dafür geschaffen werden, es muss darüber gesprochen und aufgeklärt werden.
Die Frage nach dem Geschlecht
Die Vorstellung davon, was männlich und was weiblich sei, wird uns in der heutigen Gesellschaft von klein auf anerzogen. Kleidung nur für Mädchen, Autos sind Spielsachen für Jungen, die Nägel lackieren und sich schminken ist gesellschaftlich den Mädchen zugeteilt; selbst lautes Lachen galt lange Zeit als unweiblich. Dass die Menschheit so simpel in weiblich und männlich aufgeteilt sei, hinterfragen viele (scheinbar noch) nicht, doch diese moderne – dies mag einige überraschen, aber ja: moderne – Auffassung ist ein Konstrukt, welches sich erst um 1800 durch die bürgerliche Gesellschaft etablierte. Der Philosoph Roland Barthes benannte diese Art von Vorstellungen und ‚Wahrheiten‘ als Alltagsmythen – von Menschen geschaffen, nicht von der Natur bestimmt – mit einer „geschichtliche[n] Grundlage […], denn der Mythos ist eine von der Geschichte gewählte Rede; aus der ‚Natur‘ der Dinge kann er nicht hervorgehen“. Ein gutes Beispiel dafür findet man auf fast jeder Babyparty: die angebliche und gesellschaftlich geforderte wie geförderte Wahrheit, die Farbe Blau sei den Jungen und Rosa den Mädchen zugehörig. Dieses Klischee war vor den 1940er Jahren noch genau gegenteilig behaftet. Blau galt als die Farbe der Mädchen, da diese eleganter und schöner anzusehen war; rosa als die der Jungen – sie ähnelte Blutflecken auf den Hemden heimkehrender Kriegssoldaten und wurde deshalb mit Männlichkeit assoziiert.
Diese Faktoren, die zwar historische Bedeutung aufweisen, aber nicht von der Natur gegeben sind, lassen auch die Frage zu, inwiefern das eigene Gender frei entschieden werden kann. Die Antwort darauf liefert die Erklärung für alle derzeit immer mehr in den Fokus rückenden Genderrichtungen – Genderfluide, Transgender, Intersex-Personen oder geschlechtsfreie Menschen. Besonders die Menschen ohne Gender werden diskriminiert – ihnen wird unbewusst ein Geschlecht (Sexus) und somit ein vermeintlich äquivalentes Gender aufgedrückt. Die wenigsten Menschen reden bedacht nur von ‚Personen‘ oder ‚Menschen‘. Viel häufiger fallen Formulierungen wie ‚Damen und Herren‘ oder ‚Mann und Frau‘ – in unserer deutschen Sprache sind auch hier häufig nur die ‚Standardgeschlechter‘ inkludiert.
Die Asymmetrie in den Personenbezeichnungen
Diese Asymmetrie in den Personenbezeichnungen und Ausdrücke oder Redewendungen sind Kritikpunkte der feministischen Sprachforschung. Beispielsweise wird die Anredeform ‚Herr’ sowohl in der kollektiven Anrede (‚Meine Damen und Herren’) als auch in der individuellen Anrede ‚Herr Meier’ gebraucht, wobei die weibliche individuelle Anrede ‚Dame Meier’ nicht gebräuchlich ist und unnatürlich gezwungen scheint. In der feministischen Linguistik wird dies insofern als eine Asymmetrie aufgefasst, als dass Höflichkeit und somit Respekt nur Männern entgegengebracht werde. Ferner erfahren ursprünglich neutrale Bezeichnungen für Frauen im Laufe der Sprachentwicklung eine Bedeutungsverschlechterung, während die für Männer sich als relativ stabil erweisen. Ein Beispiel dafür wäre das Wort ‚Weib’, welches im althochdeutschen ‚wîb’ und im mittelhochdeutschen ‚wîp’ eine (Ehe-)Frau beschrieb und sich im neuhochdeutschen als Schimpfwort gegen die Frau etablierte. In der feministischen Sprachforschung werden solche sprachlichen Vermittlungen überlebter stereotyper Rollenbilder und Klischees bekämpft. Es wird postuliert, dass Aussagen vermieden werden sollten, die Frauen in den traditionellen Rollen mit den assoziierten weiblichen Eigenschaften und Verhaltensweisen darstellen.
Die Realisierung von Frauen und Männern in der Sprache
Allen bekannt und von allen verwendet tritt das ‚generische Maskulinum‘ an vorderste Front. Diese Variante ist in unserer heutigen Gesellschaft etabliert und wurde lange Zeit nicht hinterfragt. Erst mit dem Aufkommen der Gender Studies wurde der ungleichen Repräsentation von Frauen und Männern in der Sprache Aufmerksamkeit geschenkt. Bei der Verwendung des generischen Maskulinums wird eine generalisierende Form genutzt, die zwar neutral gemeint, aber männlich konnotiert ist. Konträr dazu berufen sich die Vertreterinnen und Vertreter der feministischen Sprachwissenschaft sowie Kritikerinnen und Kritiker dieses Sprachverständnisses auf die semantische Ebene. Sie bewerten das Maskulinum nicht als generisch und damit als nicht verwendbar – für sie hat es die semantische Markierung [männlich]. Sie fordern mehr neutrale und geschlechtsspezifizierende Bezeichnungen für Männer und Frauen, wie es beispielsweise in den Gesetzestexten mittlerweile zur Norm geworden ist (zum Beispiel Formulierungen wie Lehrkörper oder Lehrerinnen und Lehrer anstatt verallgemeinernd Lehrer). Bei dem Wort Lehrer stellt man sich eher eine männliche Person vor. Um diese Pseudogeschlechtsneutralität zu spiegeln, wählten einige Institutionen wie die Universitäten Leipzig und Potsdam das generische Femininum als Anrede. Das heißt im Umkehrschluss, dass grammatisch feminine Personenbezeichnungen für alle Geschlechter gelten (Studentinnen, Kandidatinnen) und somit die männlichen Vertreter der Menschheit ebenfalls ‚mitgemeint‘ sind.
Gendergerechte Schreib- und Sprechweisen
In den frühen 2000ern wurde eine Studie zu den verschiedensten Schreibweisen für die Repräsentation von Frauen und Männern in der Sprache durchgeführt. Sie überprüfte die spontane mentale Repräsentation von Personen im generischen Maskulinum (Vegetarier), die Schreibung mit Schrägstrich (Vegetarier/innen) und mit Binnen-I (VegetarierInnen). Das Ergebnis: Den meisten generischen Maskulina, aber auch den sogenannten neutralen Personen, wurde eine männliche Realisierung zuteil. Bei der Schrägstrichvariante fiel das Verhältnis allerdings in etwa gleich aus und bei der Binnen-I-Schreibweise wurden sogar mehr Frauen genannt. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die Probandinnen im Durchschnitt deutlich mehr weibliche Nennungen assoziierten als die Probanden. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „offensichtlich nur overte (sichtbare) Feminina zum mentalen Einbezug von Frauen“ führen.
Dieser Annahme folgend gibt es mittlerweile einige gängige Alternativen zum generischen Maskulinum, die die Frauen in der Sprache klar mit einbeziehen und nicht nur ‚mit meinen‘.
Kritik an der Gender-Sprache
Wird in diesem Artikel also von Gendern im Kontext der Aufgeschlossenheit gesprochen, ist demnach im Umkehrschluss das bewusste oder unbewusste Nicht-Gendern ein Beweis für Unaufgeschlossenheit? Im akademischen Kontext ist die Notwendigkeit der sprachlichen Gleichberechtigung in Deutschland eigentlich indiskutabel. Flammte die Diskussion anfänglich vor allem im öffentlichen, administrativen und politischen Kontext auf, so zeigten sich innerhalb der letzten Jahre auch die Auswirkungen in anderen Bereichen wie Schule, Medien, Werbung – man denke beispielsweise an die Umbenennung von ‚Studentenwerk‘ zu ‚Studierendenwerk’ oder von ‚Studentenzeitschrift‘ zu ‚Studierendenzeitschrift’. Auch in Nachrichtensendungen oder sozialen Medien findet sich immer seltener das generische Maskulinum, vielmehr werden beide Geschlechter benannt – häufig mittlerweile sogar mit dem Zusatz divers, welcher alle anderen Geschlechter gleichsam abdecken soll. Doch je präsenter das Gendern wird, desto mehr polarisiert die Thematik: Gegnerinnen und Gegner tun sich hervor, protestieren aktiv dagegen oder lehnen diese Gender-Debatte lediglich als überflüssig und nicht diskussionswürdig und -wichtig ab. Eine laute Gegenstimme, die das richtige Gendern als „Unfug” und dessen Konstruktionen als „lächerliche Sprachgebilde” bezeichnet, ist der Verein Deutsche Sprache. Die Mitglieder des Vereins erstellten eine Petition mit dem Titel „Schluss mit dem Gender-Unfug!”, bei welcher sie Unterschriften gegen den Gender-Prozess sammeln. Sie bezeichnen diese Petition selbst als „Widerstand“. Allerdings wird ein mit dieser Petition zu erreichendes Ziel nicht formuliert – möchte man seine Unterschrift hinzufügen, steht sogar auf dem Formular: „Wo die Unterschriftensammlung gegebenenfalls vorgelegt wird, ist noch nicht entschieden“. Auf sehr polemische Art und Weise wird das Gendern abgewertet, als unnütz, lästig und schlecht dargestellt – ihr Appell: „Setzt die deutsche Sprache gegen diesen Gender-Unfug wieder durch!”.
Sprachwandel
Trotz der Tatsache, dass in der neuhochdeutschen Sprache das generische Maskulinum immer die Norm gewesen zu sein scheint, kann sie sich verändern und wird somit keinesfalls ‚entstellt‘, wie Kritikerinnen und Kritiker behaupten. Nein, denn dies ist das Konzept des Sprachwandels. Wie sich die Gesellschaft verändert, so verändert sich auch die Sprache und wie über sie und mit ihr kommuniziert wird.
Deshalb ist es wichtig und für die Entwicklung der Gesellschaft relevant, dass in unserer Heutigen Gendern als unabdingbar angesehen wird. Es ist wichtig, dass es in den Medien, in Schulen, in der Politik thematisiert wird. Lösungsvorschläge sind da. Ich bin persönlich eine starke Befürworterin des Genderns geworden – primär allerdings durch die Auseinandersetzung mit dem Thema. Deshalb erachte ich genau das als umso wichtiger. Gespräche mit den Mitmenschen zu führen, sich ihre Argumente anzuhören und Gegenargumente zu liefern oder auch Schwächen einzuräumen. Beispielsweise sehe ich ein Problem bei der Anwendung gleichberechtigter Formulierungen in der Belletristik. Nehmen wir die Harry Potter – Reihe an: Häufig ist hier die Rede von Lehrern und Schülern. Könnte das Lehrer-Problem noch mit ‚Lehrkörper‘ neutralisiert werden, ist es bei Schülerinnen und Schülern schon schwieriger bis unmöglich. Könnte man für solche Genre eine Ausnahme machen? Würde das nicht genau dem Grundgedanken des Genderns widersprechen? Die im wissenschaftlichen Kontext verwendete Alternative ‚SuS‘ erscheint mir auch nicht ideal – dann doch besser SchülerInnen, obwohl auch dies orthografisch falsch ist. Vielleicht nicht der wichtigste Aspekt, aber dennoch einer, der in der Genderdebatte Beachtung finden sollte.
Sprache spielt mir ihrer „Veränderbarkeit als Widerspiegelung oder Bewahrerin historisch gewachsenen Denkens und als Vermittlungsinstrument neuer Sichtweisen eine entscheidende Rolle“, wie die Sprachwissenschaftlerin Hadumod Bußmann es ausdrückt. Daher ist es wichtig, dass sie auch die Verantwortlichkeit übernimmt, sich selbst in Frage zu stellen. Eine jede und ein jeder kann dazu beitragen, durch die sprachliche Sensibilisierung Licht auf die soziokulturelle Benachteiligung der Nicht-Männer zu werfen und das Bewusstsein der Sprecherinnen und Sprecher zu verändern.
Nice to know
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gingen im Deutschen Innenministerium allerlei Beschwerdebriefe von Frauen ein, die laut Definition (kinderlose, ledige [junge] Frau) ‚Fräuleins‘ waren. Sie schrieben davon, wie sie durch diese Bezeichnung belächelt und als minderwertig betrachtet wurden, was auch durch den Diminutiv -lein hervorgerufen wurde. Außerdem wurde durch diese Bezeichnung sprachlich auch die Statusbindung der Frau an den Mann symbolisch transportiert, da der Fokus primär auf ‚unverheiratet‘ lag. Sie forderten, dass ‚Fräulein‘ als Anrede aus der deutschen Sprache verbannt werden sollte. Dies geschah zumindest offiziell in der Behördensprache am 16. Februar 1971. Da jedoch nicht immer sofort ersichtlich sei, ob eine Person volljährig ist, wurde dieser Erlass Mitte der 70er Jahre angepasst und der letzte behördliche Vordruck, auf dem ein ‚Fräulein‘ vorkommt, vernichtet. Umgangssprachlich taucht der negativ konnotierte Begriff auch heute noch auf, beispielsweise als tadelnde Beschimpfung kleiner Mädchen.
Schreibe einen Kommentar