Disneys „Dornröschen“ wurde in diesem Jahr 45 Jahre alt. Dazu gesellt sich im DVD-Herbst die überaus erfolgreiche Neuinterpretation „Maleficent: Die dunkle Fee“ mit Angelina Jolie. Wer kann mehr überzeugen?
von Frank
Die Zeichentrickschmiede von Walt Disney hatte von jeher einen Faible für Märchenverfilmungen: Die heute legendäre „Meisterwerke“-Reihe begann 1937 mit Schneewittchen und die sieben Zwerge; in den folgenden Jahrzehnten gesellten sich Märchenadaptionen wie Cinderella oder eine gewisse kleine Meerjungfrau hinzu.
Als 16. abendfüllender Zeichentrickfilm und bis dahin aufwendigste Produktion der Walt-Disney-Studios erschien im Jahr 1959 Dornröschen (im Original Sleeping Beauty). Das Märchen um den „Kuss der wahren Liebe“, der die verwunschene Prinzessin aus ihrem todesgleichen Schlaf erwecken konnte, orientiert sich in diesem Fall jedoch nicht an der in Deutschland geläufigen Grimmschen Fassung: Vorlage ist das Märchen La Belle au Bois dormant (zu deutsch: ‚Die schlafende Schöne im Wald’) des französischen Schriftstellers Charles Perrault, der durch seine Märchensammlung Contes de Fées (‚Märchen’) berühmt wurde. Bei Perrault erschien die schlafende Prinzessin bereits Ende des 17. Jahrhunderts – also über 100 Jahre, bevor die Gebrüder Grimm Dornröschen im ersten Band ihrer berühmten Kinder- und Hausmärchen (1812) veröffentlichten.
Bei Disney wurde der Märchenstoff Clyde Geronimi anvertraut, der zuvor bereits bei Cinderella, Alice im Wunderland und Peter Pan mit Regie geführt hatte. Anders aber als in diesen und anderen früheren Disney-Zeichentrickfilmen, das sticht schon nach wenigen Minuten ins Auge, ist die optische und farbliche Gestaltung: Vor allem Innenräume und Hintergründe, aber auch die Prinzessin (hier mit Namen Aurora) orientieren sich weniger an naturalistischer Genauigkeit (wie etwa der Wald in Bambi), sondern erinnern eher an die Darstellungsweise von Glasmalereien, wie man sie von mittelalterlichen Kirchenfenstern kennt. Die Gestaltung des Szenenbildes entsprang vor allem der Vorliebe des Hintergrundmalers Eywind Earl für die Architektur und Malerei des Mittelalters – und kann durchaus als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden.
Ob man die außergewöhnliche Optik nun goutiert oder nicht: In der zum 45. Jubiläum fürs Heimkino erschienenen „Diamond Edition“ erstrahlen der Film und seine Farben wortwörtlich in neuem Glanz. Und dank der Extras kann man auch über die Vorlage des unverkennbaren Soundtracks – nämlich Tschaikowskys Dornröschen-Ballett, seinerseits ein Klassiker – mehr erfahren.
Damals: eine der finstersten Disney-Figuren – heute: neu interpretiert
Am prägendsten ist Disneys Dornröschen aber sicherlich, sieht man einmal von der visuell-gestalterischen Komponente ab, durch seine geradezu ikonisch-bitterböse Antagonistin: Das Lexikon des Internationalen Films sieht Malefiz, die böse Fee, als „eine der finstersten Disney-Figuren überhaupt“.
Im englischen Original wird sie ‚Maleficent’ (lateinisch male facere, übersetzt ‚Böses tun’) genannt – und hat bekanntermaßen mittlerweile auch einen eigenen Spielfilm, Maleficent: Die dunkle Fee, in dem sie von Angelina Jolie verkörpert wird. Programmatisch eingeleitet mit dem Satz „Erzählen wir eine alte Geschichte doch einmal neu…“ wird hier die Herkunftsgeschichte der dunklen Fee dargestellt. In den knapp 90 Minuten erfahren wir nicht nur, woher die schon im Zeichentrickfilm verwendete Rede vom „Kuss der wahren Liebe“ stammt, sondern auch, wieso Maleficent anders als die restlichen Feen keine Flügel (mehr) hat: Es ist die Geschichte eines Verrats, und Angelina Jolie, die als bildschöne böse Fee auf der Leinwand überzeugt, weiß ihr Spiel, ihre Mimik, auch ihre Körpersprache schlagartig mit diesem physischen (und psychischen) Einschnitt zu verändern. Ein Umbruch, der sie gnadenlos und herrisch werden lässt.
Auch König Stefan, der Vater von Aurora aka Dornröschen, steht in Maleficent: Die dunkle Fee stärker im Fokus – ebenso wie sein früheres Verhältnis zu Maleficent, das die Vorgeschichte zum bekannten Spindel-Flucht bildet. Ganz anders als sein gütig-treudoofes Vorbild im Zeichentrick ist dieser machthungrige König von Paranoia und Rachsucht gegenüber Maleficent geradezu zerfressen.
„Wann wolltest du mir sagen, dass ich verflucht bin?“
Der Film macht stellenweise atmosphärisch Gänsehaut; der Soundtrack von James Newton Howard trägt mit ebenso unaufdringlicher wie stimmungsvoller Musikuntermalung seinen Teil dazu bei. Und ja, für einen Kinderfilm (FSK 6) ist Maleficent: Die dunkle Fee streckenweise überaus düster und bisweilen auch gewalttätig – aber okay, welches Märchen ist das nicht?
Die bereits bekannten drei guten Feen fungieren dagegen hier als eine Art Comic Relief – wohl um trotz der vielen düsteren Szenen dem „FSK 6“ gerecht zu werden – und sind ebenso überdreht und dusselig wie im Zeichentrick. Überhaupt droht der Film (nach dem Fluch) aus seiner künstlerischen Ernsthaftigkeit zu sehr in die kindgerechte Familienunterhaltung abzurutschen. Selbst die düstere Maleficent entdeckt plötzlich ihre ‚verspielte’, scherzhafte Seite. Anders als im Dornröschen-Zeichentrick verharrt sie keineswegs in ihrem Schloss, sondern sucht bewusst die Interaktion mit der heranwachsenden Aurora. Sätze wie „Wann wolltest du mir sagen, dass ich verflucht bin?“ sorgen dabei für unfreiwillige Komik a lá Patchwork-Familienstory. Ihre wachsende Faszination für das junge Mädchen lässt Maleficent aber letztlich an ihrem Racheplan zweifeln – und uns auf ein ganz anderes als das bisher gekannte Ende der Geschichte zusteuern.
Weltweit 700 Millionen Dollar Einspielergebnis machen Maleficent zum kommerziell bisher erfolgreichsten Film mit Angelina Jolie. Die Oscar-Preisträgerin verkörpert sowohl die rachsüchtige wie auch die reuige dunkle Fee enorm intensiv und charismatisch. Positiv überraschen kann auch Sam Riley, der als menschliche Verkörperung ihres treuen Raben Diaval zwar eine kleine Rolle hat, diese aber ausgesprochen überzeugend füllt. Auch ein Prinz wird natürlich pflichtschuldig irgendwie eingebaut (awkward first date-Alarm!); schließlich muss ja irgendwer den rettenden Kuss übernehmen, oder? Doch vielleicht bedeutet wahre Liebe letztlich etwas ganz anderes als das, was man sich vor lauter Märchenprinzen so vorstellt…
Auch abseits der Märchen-Klischees: Maleficent: Die dunkle Fee ist als düsterer, actionreicher und trotz bekannter Vorlage überaus spannender Fantasyfilm über Verrat und Vergebung aus eigenem Recht sehenswert – mit oder ohne Disneys Zeichentrick-Original.
Erhältlich auf DVD und Blu-ray: Dornröschen (Diamond Edition)
Erhältlich auf DVD, Blu-ray und 3D Blu-ray: Maleficent. Die dunkle Fee
© Disney
Schreibe einen Kommentar