von Christian Gesellmann
Nur noch knapp sechs Wochen sind es bis zur Europawahl am 7. Juni und so recht interessiert sich niemand dafür – scheinbar nicht einmal die Betroffenen selbst. So leidet die Europwahl wie in den vergangenen Jahren unter Geheimniskrämerei.
Auch dieses Mal hatten wieder Millionen Deutsche zugeschaut. Und ganz ehrlich: Was wäre Silvester ohne diese einmalige Sendung im Fernsehen gewesen? Ohne sie hätte einfach etwas gefehlt. Die gut zehn Minuten bester Unterhaltung mit der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin sind zur Tradition geworden wie Korkenknallen und Sektsaufen!
Live aus der Waschmaschine konnte die brombeerrote Vergleichsweltmeisterin dem beschwipsten Volk kurz vorm Jahreswechsel noch einmal die nagenden Existenzängste vertreiben. Dank menetekelartigem Optimismus und der Erinnerung, dass wir den Krieg ja schließlich auch überlebt hätten. Was sollte da noch kommen? Mit dieser Rückbesinnung auf unsere ultimative Aufbaufähigkeit könnten uns die Bedrohungen der Zukunft nur noch ein arrogantes Lächeln abluchsen. „Weltwirtschaft und Klimawandel, Klimawandel und Weltwirtschaft – das geht auch zusammen!“, stellte Angela Merkel fest. Und … was war noch gleich? Ach so, die Finanzkrise. Na wird schon! Mit Optimismus und Krediten …
Wer außer mit seiner Kaufkraft und guter Laune noch anderweitig am demokratischen System teilnehmen möchte, dem wird es dieses Jahr auf jeden Fall nicht an Möglichkeiten mangeln. Es ist nämlich „Superwahljahr“! Aber wird es auch ein super Wahljahr? Neben der Bundestagswahl, den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Saarland und Brandenburg sowie acht Kommunalwahlen steht auch die Europawahl an. Das ist die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die am 7. Juni stattfinden wird.
Die deutschen Abgeordneten werden auf Listen nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt. Das heißt, dass die Zahl der Sitze für eine Partei ihrem Stimmenanteil entsprechen sollte. Anschließend bilden sich im Europaparlament Fraktionen (man könnte auch sagen: Parteienfamilien), z.B. die der Europäischen Sozialdemokraten oder der Europäischen Grünen. Deutschland hat mit 99 Sitzen das weitaus größte Gewicht in diesem Gremium, Frankreich, Italien und Großbritannien stehen jeweils nur 78 Sitze zu.
Angela Merkel, die brombeerrote Vergleichsweltmeisterin
Bedenkt man, wie groß der Einfluss ist, den Entscheidungen aus Brüssel auf die nationalen Politiken – insbesondere auch die deutsche – haben, fragt man sich, warum die Spitzenkandidaten durchweg unprominent bzw. vollkommen unbekannt sind. Von Wahlkampf kann auch noch keine Rede sein. Birgit Schnieber-Jastram? Silvana Koch-Mehrin? Martin Schulz? Markus Ferber? Wer die Kandidaten den richtigen Parteien zuordnen will, muss schon einen Absatz weiterlesen.
Schnieber-Jastram: CDU, Koch-Mehrin: FDP, Schulz: SPD, Ferber: CSU. Angela Merkel scheint etwas von ihrem anfänglichen Europa-Enthusiasmus verloren zu haben. Das Scheitern des Vertrages von Lissabon, ausgerechnet unter der deutschen Ratspräsidentschaft, war ein harter Schlag. Dabei sind die Bedrohungen und Herausforderungen der Zukunft nur in europäischer Zusammenarbeit lösbar, so sind die wirtschaftlichen Beziehungen, so transnational die Strukturen der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus’.
Allerdings sind europäische Themen beim Wahlvolk zurzeit einfach nicht sehr beliebt und werden deshalb ausgeklammert. Erstmal müsse man die eigenen Probleme lösen, bevor man sich um Europa kümmern könne, so lautet die katastrophale Argumentation. Das erklärt auch die miserable Wahlbeteiligung im Jahre 2004 von nur 43 Prozent aller deutschen Wahlberechtigten (von den 18- bis 30-Jährigen gingen sogar nur 35 Prozent zur Wahl). Die meisten Nichtwähler begründeten ihr Fernbleiben damit, nicht gewusst zu haben, was und wer denn eigentlich genau zur Wahl stand.
Das „Superwahljahr“ – auch ein super Wahljahr?
Barack Obama hat inzwischen mehrmals betont, die Europäer mehr in die Pflicht nehmen zu wollen, was Aufgaben der internationalen Staatengemeinschaft angehe – eine Aussage, der zwei Besonderheiten innewohnen. Erstens weicht das neokonservative Postulat vom „End of History“ mit der alles kontrollierenden Hypermacht USA scheinbar endgültig der Realität. Zweitens fällt die unspezifische Adressierung „Europa“ auf. Ganz offensichtlich wird die EU in den USA wieder als leistungsfähiger politischer Partner in außenpolitischen Fragen wahrgenommen.
Das alle fünf Jahre gewählte Europäische Parlament repräsentiert die zweitgrößte Demokratie der Welt. Nur in Indien sind bei den Wahlen mehr Wahlberechtigte aufgerufen, in einer allgemeinen, freien, direkten und geheimen Wahl ihre parlamentarische Vertretung zu wählen. Dem sollte auch endlich ein angemessener Wahlkampf gegenüberstehen. Die Kandidaten sollten vorgestellt und v.a. auch die politischen Ziele der Parteien bekannt gemacht werden.
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