Digitalisierung als Klimaretter?

Digitalisierung ist in aller Munde – trotzdem können laut TNS Infratest lediglich rund 10% der Deutschen Begriffe wie Industrie 4.0, Big Data oder Internet der Dinge erklären. Ganz zu schweigen davon, dass fast niemand absehen kann, welche Folgen Digitalisierung für die Umwelt mit sich bringt.
von Ladyna

„ The digital revolution is far more significant than the invention of writing or even of printing“, meinte der amerikanische Pionier der PC-Entwicklung, Douglas Engelbart. Dagegen schrieb die Pulitzer-Preisträgerin Jennifer Egan: „The problem was precision, perfection; the problem was „digitization“ which sucked the life out of everything that got smeared through its microscopic mesh.“ Das Thema polarisiert, obwohl viele nur eine vage Vorstellung davon haben, welche tiefgreifenden Veränderungen Digitalisierung mit sich bringt oder was hinter einzelnen Konzepten steckt. Gleichzeitig liegt der Fokus des Diskurses klar auf den sozialen Folgen der Digitalisierung, während die ökologischen Auswirkungen so gut wie gar nicht thematisiert werden. Obwohl es sich bei Digitalisierung und Klimawandel um zwei der meist diskutierten Themen der Gegenwart handelt, werden sie unzureichend zusammen gedacht.

Fördert Digitalisierung die Nachhaltigkeit?

Dabei gibt es einige Stimmen, die die Digitalisierung als Klimaretter sehen. Schätzungen des American Council for an Energy-Efficient Economy zufolge konnte die US-Wirtschaft 2006 mit jeder Kilowattstunde Strom, die für den Betrieb von Informations- und Kommunikationssystemen nötig war, mehr als das acht-fache an Strom einsparen. Auch die SMARTer 2030 Studie aus dem Jahr 2015, die von unterschiedlichen Kommunikationsunternehmen und der Beratungsfirma Accenture gesponsert wurde, entwirft ein überaus positivistisches Bild der Energieeinsparungsmöglichkeiten, die Digitalisierung bis 2030 ermöglicht. Sie hält globale CO2-Einsparungen von 20% durch Digitalisierung bis zum Jahr 2030 für möglich. Das klingt verlockend, denn so könnte Deutschland bis dahin 83% der laut nationalen Klimaschutzplans erforderlichen Emissionsreduktionen mittels Digitalisierung erreichen. Für viele erscheint das attraktiver als Maßnahmen, die mit Verzicht gekoppelt sind.

Alleine im Mobilitätssektor sieht die Studie bis 2030 ein Einsparungspotenzial von 3,6 Mrd. t Tonnen Treibhausgas. Das soll vor allem durch drei große Veränderungen herbeigeführt werden: E-Mobilität, autonomes Fahren und Sharing Economy. Mittels autonomen Fahrens könnte der klassische PKW, der lediglich von einer Person oder einer Familie verwendet wird und deswegen fast 90% seiner Lebenszeit in Parkposition fristet, von einer Art automatisiertem Taxi abgelöst werden. Durch Routenoptimierung können mehrere Menschen mit ähnlichen Wegen gemeinsam von A nach B gebracht werden, was die Auslastung erhöhen und die Emissionen pro Kopf verringern würde. Zudem ist dank Verkehrsüberwachung eine automatische Umleitung und damit Stau-Reduktion möglich, die Einhaltung und Verschärfung von Tempo-Limits würden ebenfalls zu einem geringeren Energieverbrauch führen. Insgesamt könnten solche Robo-Taxis vor allem eine Lösung für den ländlichen Raum darstellen und öffentliche Verkehrsmittel ergänzen, Parkflächen würden eingespart, wobei trotzdem ein hohes Maß an individueller Flexibilität gewährleistet werden könnte. Laut einer Schweizer Studie sparen schon jetzt Car Sharing Nutzer*innen bis zu 7% ihrer jährlichen CO2-Emissionen im Vergleich zu Autobesitzer*innen. Ein Car-Sharing Auto kann bis zu zehn private Autos ersetzen. Ähnliche Effekte könnten auch für den Transport von Waren genutzt werden: Eine Studie aus Frankreich hat gezeigt, dass intelligente Logistiklösungen eine bessere Auslastung von LKWs ermöglichen, was zu einer Emissionsreduktion von bis zu 27% führen könnte.

Nicht nur der Transport, sondern alle Lebensphasen eines Produktes sind von der Digitalisierung betroffen. Die immensen Mengen an Daten, die erhoben und ausgewertet werden können, ermöglichen auch erstmalig, für jedes Produkt dessen ökologischen Fußabdruck transparent zu machen. So können Kunden wesentlich bessere Kaufentscheidungen treffen, aber auch Behörden ihre Regularien an Umweltgesichtspunkte anpassen.

Auch die Energiewende kann durch Digitalisierung beschleunigt werden. Eine der größten aktuellen Schwierigkeiten beim Ausbau Erneuerbarer Energien ist die Anpassung der Stromproduktion an den Bedarf, da beide Faktoren stark schwanken. Im konventionellen Energieversorgungssystem musste lediglich die Produktion an den Verbrauch angepasst werden. Durch die Wetterabhängigkeit von Wind- und Solarenergie sind die Steuerungsmöglichkeiten der Produktion nun stark vermindert. Digitalisierung kann zu einer Lösung des Problems beitragen, da sie zumindest teilweise eine Steuerung des Verbrauchs ermöglicht. Energieintensive Produktionsprozesse (z.B. Aluminiumverhüttung) könnten bevorzugt bei Stromüberschuss durchgeführt werden. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, mittels Power-to-X Strom im Falle eines Überschusses langfristig zu speichern und bei Bedarf wieder einzuspeisen. Allerdings sind die Wirkungsgrade von Power-to-X-Technologien sehr gering, so dass diese nur bei großen Stromüberschussmengen Sinn ergeben. Selbst in Privathaushalten könnten energieintensive Prozesse (wie etwa Waschen) zeitlich verschoben werden, wenn gerade nur wenig Strom verfügbar ist. Dieses Konzept wird als Smart Grid bezeichnet.

Auch die Landwirtschaft könnte durch die Digitalisierung umweltfreundlicher werden. Beispielsweise könnte durch den Einsatz von Bodensensoren sowohl die Bewässerung als auch die Düngung von Pflanzen bedarfsgerecht gesteuert werden, um Wasser einzusparen und Überdüngung sowie deren Folgen wie Bodenversauerung oder Nitrateintrag in Gewässer zu reduzieren. Die SMARTer Studie geht davon aus, dass bis 2030 durch intelligente Bewässerungssysteme weltweit das sechsfache Volumen des Bodensees eingespart werden könnte und Ertragssteigerungen von bis zu 30% möglich seien. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Förderung von Kleinbauern, die wesentlich umweltfreundlichere Landwirtschaft betreiben als dies bei vielen Großbetrieben der Fall ist. Diese können durch Apps zum einen mit Wissen unterstütz werden, so dass sie zur richtigen Zeit aussähen oder Hilfestellung bei der Schädlingsbekämpfung erhalten, zum anderen können über Plattformen entsprechende landwirtschaftliche Geräte wie Traktoren für kurze Zeit gemietet werden, deren Anschaffungskosten die Bauern nicht aufbringen könnte. Softwarekonzerne werden dabei aber weniger von humanistischen Idealen angetrieben, sondern sehen die Kleinbauern eher als unerschlossene Datenquelle, die für sie äußerst einträglich sein kann.

Der Rebound Effekt und seine Folgen

So positiv all diese Einzelaspekte auch klingen mögen: Digitalisierung geht zwar oft mit gesteigerter Effizienz einher, dass daraus auch nachhaltige Energieeinsparungen folgen ist jedoch kein Automatismus. Ganz im Gegenteil sorgt Digitalisierung in vielen Fällen für einen wachsenden Energiehunger, da ein gewaltiges Maß an Infrastruktur aufgebaut und betrieben werden muss, um digitale Güter überhaupt nutzen zu können. Im Jahr 2015 wurden alleine 3% der gesamten deutschen Emissionen vom Betrieb Informations- und Kommunikationstechnologien verursacht. Da die enorme Nutzung von Serverfarmen, Datencentern und der Kommunikationsaufwand zwischen Geräten zu einer Verlagerung des Stromverbrauchs vom Nutzer hin zum Anbieter digitaler Dienste und Infrastrukturen führt, werden Emissionen in einer Gesellschaft, die immer wieder die Verantwortung für den Umweltschutz auf den einzelnen schiebt, zunehmend unsichtbar. 2015 fiel in der Schweiz bereits ein Drittel der Emissionen solcher Technologien bei Telekommunikationsnetzbetreibern und Rechenzentren an.

Hinzu kommt, dass viele Aktivitäten, die längst zum normalen Alltag gehören, einen immensen Energiebedarf haben, ohne, dass wir uns dessen bewusst sind. Das Anschauen eines 10-minütigen YouTube Videos entspricht etwa dem Energieverbrauch, den ein Herd auf höchster Stufe in 5 Minuten benötigt. Im Gegensatz zum Herd ist der Energieverbrauch von Smartphones unsichtbar. Diese Zahlen sind besonders erschreckend, wenn man bedenkt, wie oft digitale Güter parallel und nebenbei konsumiert werden. Das weltweite Streaming hat pro Jahr die gleiche Menge CO2-Emissionen zu verantworten wie ganz Spanien pro Jahr. Auch hinter jeder Google Suchanfrage steckt ein gigantischer Aufwand: Der Konzern betreibt über eine Million Server weltweit und verarbeitet täglich eine Milliarde Suchanfragen. Der Stromverbrauch des Unternehmens ist alleine von 2015 auf 2016 um 20% gestiegen.

Grundsätzlich ist es nicht damit getan, nur den Verbrauch der Technologien zu betrachten. Neben den unmittelbaren Effekten durch Produktion, Nutzung und Entsorgung und der positiven Folge, dass Informations- und Kommunikationstechnologien andere, schädlichere Produkte ersetzen können, müssen auch langfristige und weitreichende systemische Auswirkungen der Einführung neuer Technologien bedacht werden. Solche Effekte zweiter Ordnung ist in vielen Fällen von menschlichem Handeln abhängig, welches durch komplexe Zusammenhänge und ständigen, manchmal plötzlichen Veränderungen geprägt ist. Besonders fällt dabei der s.g. Reboundeffekt ins Gewicht: Digitalisierung geht zwar oft mit gesteigerter Effizienz einher, aber die sinkenden Kosten und die vermeintliche Umweltfreundlichkeit führen oft zu erhöhtem Konsum desselben oder anderen Produkten. In den letzten 50 Jahren wurden etwa zwei Drittel der Effizienzsteigerungen durch neue Produkte und gesteigerte Nachfrage zu Nichte gemacht. Zunehmende personalisierte Werbung, der leichtere Kontakt mit anderen Marktteilnehmern und die bessere Preisvergleichbarkeit fördern insgesamt einen erhöhten Konsum. Online-Shopping ersetzt die konventionelle Variante nicht, sondern sie ergänzen sich und generieren insgesamt eine höhere Nachfrage. Digitalisierung ist zudem ein Innovationstreiber, so dass Produkte mit zunehmender Geschwindigkeit veralten, ohne dass überzeugende Recyclingstrategien für teure und seltene Rohstoffe entwickelt werden. Das ist insofern problematisch, als das zwei Drittel der Emissionen bereits bei der Produktion anfallen. Viele digitale Anbieter erbringen zwar auch Dienstleistungen, doch auch diese verbrauchen nicht grundsätzlich weniger Ressourcen als Waren – der Verbrauch ist nur oft weniger sichtbar. Denn zur Nutzung digitaler Güter werden oft neue Geräte benötigt, man spricht vom Rematerialisierungseffekt. Beispielsweise sind erst ab 60 Büchern, die auf einem E-Book-Reader gelesen werden, die Einsparungen pro nicht gedrucktem Buch so hoch, dass sich Aufwand, das Gerät zu produzieren und zu betreiben, lohnt.

Digitalisierung – Ein allgemeines Beschleunigungsphänomen

Ist Digitalisierung unterm Strich also gut oder schlecht für unseren Planeten? Die Antwort hängt vor allem davon ab, wie viele Faktoren in die Betrachtung mit einbezogen werden. Eindeutige Antworten gibt es nicht, die tatsächlichen Folgen abzuschätzen ähnelt einem Blick in die Kristallkugel. Die Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, dass es sich um komplexe globale Prozesse handelt, die fast alle Facetten öffentlichen und privaten Lebens betreffen. Aufgrund der Komplexität der Thematik ist ein interdisziplinärer Forschungsansatz nötig, um beispielsweise auch Erkenntnisse aus Soziologie, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften einbinden zu können. Denn im Kontext Digitalisierung kommen oft kollektive Prozesse zum Tragen, die die Umweltwissenschaften kaum beleuchten können. Wenn beispielsweise analoge Alternativen zu digitalen Gütern unwirtschaftlich werden und nicht mehr auf dem Markt angeboten werden oder wenn durch Netzwerkeffekte nur noch die Produkte mit dem höchsten Kundenkreis attraktiv sind.

Ein weiteres Problem ist auch, dass Energiebilanzen oft nur für ein einzelnes Land aufgestellt werden. Doch selbst wenn die Emissionen eines Industrielandes sinken, ist dies meist der Auslagerung von Emissionen in Länder der südlichen Hemisphäre und keiner nachhaltigeren Lebensweise geschuldet. So werden auch Umweltschäden externalisiert. Auch diese Globalisierungsphänomene werden von der Digitalisierung eher erleichtert als reduziert. In letzter Konsequenz argumentieren besonders Vertreter der Postwachstumsökonomie, dass Digitalisierung immer zu Wirtschaftswachstum führt, welches in der Vergangenheit immer mit gesteigerter Umweltbelastung einhergegangen ist. Aus dieser Perspektive kann es also keine ökologische Digitalisierung geben. Auch zeigt die Fragestellung ein allgemeines Problem von Wissenschaft auf: Je kleiner der Umfang einer bestimmten Analyse ist, desto einfache können verlässliche, quantitative Aussagen getroffen werden. Gleichzeitig ist eine Systemblindheit für komplexere Zusammenhänge und Folgeeffekte vorprogrammiert. Geht man die Fragestellung umgekehrt möglichst großskalig an, so erhöhen sich die Unsicherheitsfaktoren. Konkrete Ergebnisse sind nicht mehr möglich, Einflussfaktoren können nicht isoliert betrachtet werden, Kausalitäten können nur schwer bestimmt werden. Diese Mikro-Makro-Diskrepanz ist ein Grund, warum so wenige definitive Aussagen im Bezug auf die Nachhaltigkeit der Digitalisierung möglich sind.

Digitalisierung ist nicht per se gut oder schlecht für das Klima – sie ist ein allgemeiner Beschleuniger, der in einer Gesellschaft, die auf der Ausbeutung der Natur begründet ist, auch diese Grundtendenz verschlimmert. Eine ökologische Digitalisierung ist wohl nicht ohne einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel möglich. Denn bei den Schlagworten „nachhaltiger Konsum“ und „Effizienzsteigerung“, zu denen auch Digitalisierung beitragen kann, darf nicht vergessen werden, dass Konsumverzicht immer die umweltfreundlichste Variante darstellt. Um eine nachhaltige Digitalisierung zu ermöglichen, muss also die Wegwerfmentalität überwunden werden. Dazu ist ein tiefgreifender Wertewandel notwendig – soweit das im gegenwärtigen Wirtschaftssystem möglich ist. Zudem muss angesichts der Tatsache, dass es sich bei Digitalisierung um einen Megatrend mit Eigendynamik handelt, endlich die Politik Verantwortung übernehmen. Selbst wirtschaftsliberale Unternehmensberatung McKinsey spricht im Zusammenhang mit der Digitalisierung von einer „Renaissance des Staates“. Dabei muss vor allem auf ursachen-orientierte Umweltgesetzgebung geachtet und Daten zu Emissionen und Umweltauswirkungen öffentlich gemacht werden, um ökologische Auswirkungen besser quantifizieren zu können. Nur so kann Digitalisierung im Kampf gegen den Klimawandel von Nutzen sein.


 


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