Vom Studentenwerk vernachlässigt und von der übrigen Studentenschaft ignoriert, wohnen 140 Menschen aus 70 Ländern im schäbigsten Wohnheim der Stadt. Trotz heruntergekommener Einrichtung, hygienischer Missstände und Abrissplänen fordern sie vor allem eines: bleiben zu dürfen.
von fabik
Als Strafmaßnahme hat der Hausmeister vor kurzem den zweiten verschmutzten Herd abgestellt. Nun streiten sich Bohnenauflauf und Hackpfleischpfanne kippelnd um eine Herdplatte, während ein rosa Badetuch am blättrigen Türrahmen vorbeihuscht. Im Aufenthaltsraum streitet sich unterdessen eine Clique osteuropäischer Jungs auf einer einst beigefarbenen Couch mit einem großgewachsenen Mädchen über die Hinterlassenschaften auf der Toilette. Ein bisschen erinnert die Szenerie an einen jener Jugendherbergsausflüge, deren Zeit so schön war. Schön, solange man sich gewiss war, spätestens nach einer Woche wieder die keimfreie Toilette daheim benutzen zu dürfen.
Am äußersten Ende Jenas liegt das Wohnheim Naumburger Straße. Fernab der polierten Scheiben des Uni-Turms und fernab jeglicher Aufmerksamkeit steht der achtstöckige Plattenbau am Rand des Gewerbegebietes Zwätzen. Um ihn herum liegen verwucherte Wiesen und knapp ein Dutzend heruntergekommen Baracken, die an das sozialistische Erbe des Geländes erinnern. Sie dienten als Wohnungen für russische Soldaten. „Einsturzgefahr“, „Betreten verboten!“, liest man hier.
Feiern im Glanze des Staatsratsvorsitzenden
Ekatarina Maruk ist die Wohnheimtutorin, also Mädchen für alles und jeden, der Probleme mit seinem Wohnumfeld hat. Bei ihr landen die Beschwerden in der Regel zuerst. Sie hat viel zu tun. Im spärlich eingerichteten „Party-Raum“ sitzt sie zwischen einer von Studenten aus Pressspanplatten zusammengezimmerten Theke und dem Din-A3 großen Anblick des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Honecker. Eilig räumt sie ein paar alte Farbeimer beiseite und erzählt von der Liste der Probleme, mit denen sie und die ca. 140 anderen Bewohner, wie der 23-jährige Serbe Dušan*, zu kämpfen haben.
Dieser liegt zwei Etagen tiefer keuchend auf seiner Hantelbank. Breitbeinig zieht er sich nach oben, schnappt ein paar Mal nach Luft und schmettert völlig ungefragt ein „Die Toiletten sind nicht sauber!“ in den 10 Quadratmeter großen, dunklen Raum. „Oh mein Gott, ich muss hier fünf Monate leben“ ist seine Antwort auf die Frage nach seinem ersten Eindruck von der Naumburger Straße. Aber mit der Zeit gewöhne man sich selbst an die nicht vorhandenen Internetanschlüsse, fügt er hinzu und wendet sich wieder seiner Hantelstange zu. Auf einer Etage – dem Keller – mit den privatsphärenfreien Gemeinschaftsduschen befindet sich der hauseigene Fitnessraum – eines der Glanzstücke des Wohnheimes. Aber auch dieser lässt eher ostalgische Gefühle als Freude über die Einrichtungsbemühungen des Studentenwerkes aufkommen.
Auch eine Putzfrau würde hier nichts nützen
Etwa 1.500 ausländische Studenten sind an den Hochschulen Jenas immatrikuliert, rund die Hälfte von ihnen lebt in Wohnheimen. Was auf den ersten Blick merkwürdig erscheint, sei – so sagen manche Bewohner – vorsätzliche Politik des Studentenwerkes: Unter den Bewohnern der Naumburger Straße befinden sich auffällig wenige Studenten aus EU-Ländern. „Das Studentenwerk denkt vermutlich, wir hätten geringere Ansprüche und würden weniger meckern“, mutmaßt der ukrainische DaF-Student Antoni*.
Elke Voss, Pressesprecherin des Studentenwerkes Thüringen, entgegnet, Wohnheime, in denen „Internationalität“ gefördert werde, seien „wichtige Integrationsinstrumente“. Es sollte daher „immer eine Durchmischung“ geben, damit sich „ausländische Studenten sofort in das deutsche Studentenleben einbezogen fühlen.“ Wie diese Internationalität gefördert werden soll, bei weniger als einer Hand voll deutscher Studenten im gesamten Wohnheim, sagt sie nicht. Etwas deutlicher wird eine andere Studentenwerksmitarbeiterin, die darum bittet ihren Namen nicht zu nennen. „Die Leute fühlen sich abgeschoben“, sagt sie und berichtet von „Unmengen von Beschwerden, die beim Studentenwerk eingehen.“ Ob die nationale Zusammensetzung der Wohnheimbewohner Zufall ist oder vom Studentenwerk beabsichtigt, wisse sie nicht und verweist darauf, dass sie das Studentenwerk „nicht öffentlich in Verruf bringen” wolle.
Der 32-jährige Mirko ist einer der wenigen Deutschen im Wohnheim. Auch in seinem circa 10 Quadratmeter großen Zimmer kommt der Putz von den Wänden. Neben das kleine Waschbecken am Eingang des Zimmer hat er einen Vorhang gespannt. „Weil es frühs sonst immer so durchs Fenster zieht“, sagt er. Mehrmals habe er sich bereits an die Wohnheimbetreiber gewandt, vor allem wegen der hygienischen Zustände. Ein paar Wochenstunden mehr für die Putzfrau, „dann wäre schon einiges gewonnen“. Die Antwort, die er bekam, passt leider ins restliche Bild der sich sonst so studentennah und international gebenden Einrichtung. Die hygienischen Zustände lägen an den vielen Nationalitäten, „da würde es auch nichts nützen, wenn die Putzfrau täglich käme“, belehrte ihn eine Studentenwerksmitarbeiterin.
2007 kaufte das Studentenwerk einen Fernseher
Die Schließung des Wohnheims, so wird überall in den grau-vergilbten Fluren gemunkelt, scheint beschlossene Sache zu sein. Seit Jahren schon, erzählt einer der Alteingesessenen, benutze das Studentenwerk die Ankündigung eines Neubaus als Ausrede nichts für die Bewohner und ihr Wohnheim zu tun. 2012, so heißt es beim Studentenwerk, solle das Wohnheim spätestens geschlossen werden und bis dahin seien „keine weiteren Investitionen vorgesehen“.
Dabei ist die Schließung des Wohnheims das Letzte, was seine Bewohner wollen, sagen sie, während der Sudanese Osama die arabische Hackfleischpfanne mit deutschen Eierkuchen und italienischem Tomatensalat in den überfüllten Gemeinschaftsraum bringt. Über ein Dutzend Studenten aus Bulgarien, Vietnam, der Ukraine, Serbien, China, Sudan und dem Jemen sitzen essend und lachend um den kleinen Pressspantisch. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas in einem deutschen Wohnheim gibt“, sagt die 22-jährige Tadschikin Katja. Offen bleibt, ob sie nun die hygienischen Zustände oder die einmalig lebendige Atmosphäre meint. „Jetzt weißt du, warum wir hier nicht raus wollen“, sagt die 21-jährige Serbin Vanja grinsend, während der Russe Nikolai nach seinem vierten Glas Portwein anfängt Volkslieder aus seiner Heimat anzustimmen. Und zu guter Letzt ist da abermals dieser Eindruck einer Klassenfahrt, an deren Ende man sich trotz der verkeimten Toiletten ärgert, wieder nach Hause fahren zu müssen.
*Auf Wunsch wurden die Namen einiger Bewohner geändert.
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