Zwischen der kargen Natur Yorkshires und beklemmend brutaler Leidenschaft stellt sich Emily Brontë in Sturmhöhe dem Zeitgeist entgegen.
von Ella
Ein Roman über Leben und Liebe im England des 19. Jahrhunderts, verfasst von einer jungen, zeitlebens unverheirateten Autorin, die ihre Identität geheim halten wollte. Dies erinnert zunächst an Jane Austen: Der Einfluss von Austens Romanen, welche bis zu ihrem Tod 1817 anonym unter „by a lady“ veröffentlicht wurden, ist derart enorm, dass sie unser Bild davon, wie die Menschen damals lebten, fühlten, sich kleideten und ausdrückten, entscheidend prägen – ebenso wie unsere Vorstellung, wie ein Roman von einer Frau ihrer Zeit zu klingen habe. Welch Schock also für jene, die Sturmhöhe von Emily Brontë mit der Erwartung öffnen, darin eine Geschichte à la Stolz und Vorurteil zu finden! Diejenigen Leser, die mit dem Namen Brontë besser vertraut sind, werden ihn wahrscheinlich primär mit den düsteren wenngleich realistischen Geschichten von Emily und ihren Schwestern Charlotte und Anne in Verbindung bringen, welche rund 30 Jahre nach Austens Werken erschienen. Trotzdem werden die britischen Autorinnen ob dieser oberflächlichen biographischen Ähnlichkeiten immer wieder verwechselt – zumindest laut Aussage der Museumsführer im Familienhaus der Brontës. Dort seien die meistgestellten Fragen: „Hat hier Jane Austen ihre Romane geschrieben?“ und „Welche Schwester schrieb Stolz und Vorurteil?“. Wenn Austen mit ihrer feinen Beobachtungsgabe und ihren sarkastischen Sticheleien gegen die Konventionen der späten Georgianischen Zeit frischen Wind in die stickige Literatur brachte, erzeugte Emily Brontë mit ihrem einzigen, im Jahr 1847 – also in der frühen Viktorianischen Ära – veröffentlichten Roman ein ganz anderes Klima: Austen schrieb über das Manövrieren innerhalb enger sozialer Normen und Benimmregeln, Brontë über das menschliche Wesen in seiner wilden, wechselhaften, emotionalen und ungetrübten Form. Die eine verfasste Geschichten über Geld, Ansehen und Hochzeitskandidaten, die andere über stürmische Liebe und Hass, Tod und Verzweiflung, Resignation und Rache.
Gleichzeitig ist Wuthering Heights, so der Titel des Originals, auch nicht irgendeine Spukgeschichte mit im Moor umherirrenden Geistern, wie man durch das Bild, welches das gleichnamige Lied von Kate Bush erzeugt, meinen könnte. Diese Elemente haben zwar Relevanz für die Geschichte und verbildlichen die desperate, unangenehme Atmosphäre, bilden an sich aber nur einen kleinen Teil der Handlung. Der Roman erzählt stattdessen die unglückliche Geschichte von der Liebe zwischen dem brutalen Heathcliff und der temperamentvollen, willensstarken Catherine – und von deren desaströsen Folgen.
In den Mooren Nordenglands wachsen auf dem Anwesen Wuthering Heights die Geschwister Catherine und Hindley Earnshaw und ihr Ziehbruder Heathcliff auf. Hindley kann das aufgelesene Straßenkind, den ‚Zigeuner‘, bis aufs Blut nicht ausstehen. Dafür sind Heathcliff und Catherine ein Herz und eine Seele. Selbstsüchtig und wild wie das stürmische Moor selbst, aber einander ergeben und zugetan, verschmähen die beiden ihre christliche Bildung und sämtliche Regeln, streunen in der Natur herum und richten Chaos an. Doch als Catherine nach einem Unfall auf dem benachbarten Anwesen der Familie Linton für einige Wochen dabehalten, verhätschelt und zur Lady erzogen wird, misshandelt Hindley seinen Ziehbruder, behandelt ihn als niedrigste Arbeitskraft und lässt ihn verwahrlost in einer Scheune schlafen. So entzweit und da sie sich durch eine Heirat mit Heathcliff nun herabwürdigen würde, entscheidet Catherine sich, den hübschen, manierlichen Spross und Erben der Lintons zu ehelichen. Hinter diesen oberflächlichen Motiven steckt aber auch der Wunsch, Heathcliff mit dem Vermögen ihres Mannes aus der Tyrannei Hindleys zu befreien. Er verschwindet jedoch und taucht erst einige Jahre später wieder auf – stattlich und neureich. Spätestens als Catherine nach der Geburt ihres Kindes durch Krankheit und Gefühlschaos verstirbt, schwört sich Heathcliff jedoch bittere Rache an beiden Familien und ergaunert sich deren Anwesen, Ländereien und Vermögen und hält ihre Nachkommen gefangen. Zudem verflucht er Catherine, auf dass sie seinen Lebtag lang keinen Frieden finde. Unerträglich ist ihm der Gedanke, ohne sie – ohne seine Seele – weiterzuleben, lieber möchte er von ihrem Geist heimgesucht und gequält werden wie ein Mörder von der Seele seines Opfers. Doch führt er sich damit selbst in den Untergang. Catherines Präsenz raubt ihm zunehmend die Ruhe, verfolgt ihn im Moor, in den Gemäuern seiner Kindheit und in den Augen von Catherines Tochter und Hindleys Sohn. Am Ende sind es das Loslassen der Vergangenheit und Vergebung, welche die zerstrittenen Nachkommen der Earnshaws und Lintons und damit die zwei Familien retten. Es sind Tugenden, zu denen Heathcliffs stürmisches Herz nicht fähig war, solang es schlug.
Die Erzählung besitzt eine eindrucksvolle Schönheit in ihrer Darstellung der ungezähmten Moore in Yorkshire, die der Autorin fast ihr ganzes, wenn auch kurzes Leben lang als Heimat dienten. Die ungeheure Stärke in den Naturgewalten, das unverfälschte, weite Land – sie spiegeln sich in der unsteten Atmosphäre, den puren, unbezwingbaren Emotionen der Charaktere, bringen deren wahre Natur zum Ausdruck. Gleichzeitig erzeugt der Roman ein beklemmendes Gefühl, wo die Figuren klaustrophobisch eng aufeinander hocken, in alte Gemäuer gesperrt, und der Ungnade und den Launen der anderen Einwohner schutzlos ausgesetzt sind. Die Schilderungen Heathcliffs psychischer und physischer Gewalt muss man aushalten können, Sympathie empfindet man bei den meisten Figuren nur in Maßen. Auch gibt es keine klare moralische Wertung durch die zwei Erzähler. All dies trug dazu bei, dass das Werk bei Brontës Zeitgenossen kaum Anklang fand. Stattdessen wurde es scharf kritisiert und weitgehend abgelehnt. Der Wechsel zwischen Erzählern wurde als irritierend empfunden, und die Brutalität und Zügellosigkeit der Charaktere, sowie die Ablehnung von Religion und gesellschaftlichen Konventionen schockierten die streng moralistische Gesellschaft. Dies verstärkte sich noch, als herauskam, dass „Mr. Ellis Bell“ in Wahrheit eine Miss war, denn wie auch ihre Schwestern Anne (die Autorin von Agnes Grey und The Tenant of Wildfell Hall) und Charlotte (welche den weitaus erfolgreicheren Roman Jane Eyre verfasste) benutzte Emily ein männliches Pseudonym, um Vorurteile und falsche Schmeicheleien, die sie nicht als ehrliches Lob ihrer Arbeit ansehen konnten, zu vermeiden. Die Kontroversen um das Geschlecht der drei Autorinnen, wie auch die negativen Urteile über Emilys Charakter brachten Charlotte nach deren Tod dazu, im Vorwort der gemeinsamen Neuauflage ihrer Werke reinen Tisch zu machen. Sie nahm ihre Schwester in Schutz. Die höhergestellten Leser würden die groben Ausdrucksweisen ihrer ländlichen Heimat Haworth nicht verstehen, und Emily selbst hätte zu wenig mit ihren Mitmenschen gesprochen, um ein vorteilhaftes Bild zu bekommen. Ob die Erfindung des erpresserischen, handgreiflichen, kidnappenden Heathcliff allerdings eine gute Idee war, bezweifelte Charlotte. Heutige Leser hingegen dürften weniger die Brutalität als das Ausmaß an früh an Krankheit versterbenden Charakteren befremdlich finden. Gegen die vielen Schicksalsschläge, die die Brontës trafen – und nach Erscheinen des Romans noch treffen würden –, kommt die Fiktion aber kaum an. Schon in früher Kindheit verloren die Brontë-Geschwister erst ihre Mutter und dann ihre zwei ältesten Schwestern im Alter von zehn und elf Jahren. Die Isolation im elterlichen Pfarrhaus, die raue Natur, sowie die spätere Alkohol- und Drogensucht ihres Bruders Branwell hatten sicherlich ebenso Einfluss auf Sturmhöhe. Der Roman wurde im Dezember 1847 veröffentlicht, nur ein Jahr bevor Emily mutmaßlich an Tuberkulose oder einer Lungenentzündung starb – im jungen Alter von 30 Jahren. Branwell verstarb drei Monate zuvor mit 31, Anne fünf Monate nach ihr mit 29 Jahren. Innerhalb weniger Monate waren also alle verbliebenen Geschwister von Charlotte tot. In den sechs Jahren bis zu ihrem eigenen Ableben verteidigte sie das Andenken ihrer Schwestern. Über Jane Austen hatte Charlotte übrigens ein paar scharfe Worte zu verlieren: So vergleicht sie deren Beschreibung der konventionellen höheren Gesellschaft mit einem fein säuberlich kultivierten Garten. Man finde „kein offenes Land, keine frische Luft, keinen blauen Hügel, keinen prächtigen Wildbach“, und sie würde ungern mit den Herrschaften in ihren eleganten Häusern wohnen. Ein weiteres Mal bemängelt sie, dass sie zwar die oberflächlichen Leben der Oberschicht gelungen porträtiere, es ihren Werken aber an Passion und Emotion fehle. Austen beschäftige sich mit menschlichen Augen und Mündern, mit dem, was imposant anzusehen und schön anzuhören ist, aber nicht mit dem menschlichen Herzen. Es scheint, als teilten die Brontë-Schwestern ihre Vorliebe für das Wilde, für Realismus und die dunklen Abgründe des Menschseins. All dies findet man in Sturmhöhe: den Menschen in der ungezähmten Natur und die ungezähmte Natur im Menschen.
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