Die rechte Jugend?

Nach diversen Debatten in den vergangenen Jahren wurde das Alter für die Wahlberechtigung bei der Europawahl 2024 von 18 Jahren auf 16 heruntergesetzt. Dies eröffnete den Parteien neue Wähler und damit einhergehend eine neue Audienz. Ihr Ziel ist es natürlich, die neu zugängliche Jugend für sich zu gewinnen. Vielen Artikeln zufolge scheint das einer Partei besonders leicht zu fallen: der AfD. Auf allen möglichen Nachrichtenportalen liest man Schlagzeilen, wie „Stimmungstief und Rechtsruck bei Jugend“ bei ZDF heute. Die Süddeutsche Zeitung titelte: „Junge Menschen in Deutschland so pessimistisch wie nie“.

von Ema Wolfram


Um zu untersuchen, ob die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen, ist es naheliegend, das Ergebnis der Europawahl 2024 mit der aus 2019 zu vergleichen. So lässt sich erkennen, ob es einen auffälligen Zuwachs des AfD-Anteils gibt. Man muss jedoch beachten, dass dies Erstwahlen von 16- und 17-Jährigen auf Europaebene sind. Erst zukünftige Wahlen werden die Veränderungen der Einstellungen dieser Jugendlichen sicher zeigen können. In den Kommunalwahlen wiederum treten viele Vereine oder parteilose Bündnisse an. Eine Einordnung in die politischen Lager ist bei diesen schwer möglich. Das Mindestalter bei den Landes- und Bundestagswahlen beträgt weiterhin 18 Jahre. Dementsprechend ist der Altersbezug auf die Europawahl am plausibelsten.

Blickt man auf diese Wahl, hat die AfD mit 15,9% abgeschnitten, womit sie weit vorne liegt und einen Anstieg von 4,9% zu verzeichnen hat. Damit erreicht sie, neben dem Bündnis Sahra Wagenknecht, den zweitgrößten Zuwachs. Die meisten Stimmen hat weiterhin die CDU mit 23,7%. Den größten Verlust erlitten die Grünen mit -8,6%, deren Anteil nur noch bei 11,9% liegt. Mit 13,9% sank der Prozentanteil der SPD leicht um -1,9%. Nach einer Umfrage von Infratest dimap haben unter 25-Jährige zwar mit 16% die AfD gewählt, jedoch auch zu 28% kleinere Parteien, die außerhalb des politisch etablierten Spektrums liegen. Beliebt sind hier besonders Volt oder die Tierschutzpartei. Die Prozentzahl der Jugend zur Zustimmung der rechten Partei unterscheidet sich nicht besonders von der anderer Altersgruppen. 35 bis 44-Jährige haben beispielsweise mit 20% die AfD gewählt. Es scheint andererseits auffällig zu sein, dass die rechtspopulistische Partei mit 11% im Vergleich zu der Bekanntgabe aus 2019 das größte Wachstum auf der Seite der Jugend und jungen Erwachsenen genießt. Die Union hat nur 5% gewonnen und kleinere Parteien 3%. Den größten Verlust verzeichnen auch hier die Grünen mit -23%.
Erwähnenswert ist: Die Wahlen sind und bleiben geheim. Alle Statistiken auf dem Gebiet sind mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Eine andere Taktik als Wahlumfragen, um die Jugendeinstellung zu ergründen, sind Studien. Eine, die von vielen Zeitungen zitiert wird, ist die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“. Der Inhalt spiegelt wider, dass 22% der befragten 2.042 Personen zwischen 14 und 29 Jahren die AfD wählen würden, wenn morgen Bundestagswahl wäre (2022 lag der Prozentsatz bei 9%). Das stellt den höchsten Prozentanteil aller zur Auswahl stehenden Parteien dar. Die CDU erhielt vergleichsweise nur 20%. Die Studie erscheint auf den ersten Blick vertrauenswürdig, ist jedoch nicht durch ein Peer-Review-Verfahren geprüft. Sie ist dementsprechend nicht wissenschaftlich qualitätsgesichert. Auch die Methodiken der Erhebung sind hinterfragbar. Die Studie rekrutiert ihre Teilnehmer ausschließlich online. Prof. Manfred Güllner, Forsa-Chef und Meinungsforscher, kommentiert das vorliegende Problem in einem Interview der Bild. Sie sei „schlampig durchgeführt“ worden. Er weist darauf hin, dass „AfD-Anhänger […] im Netz aktiver als Sympathisanten anderer Parteien“ sind. „Deshalb sind sie auch in Online-Panels, wo man sich selbst als Teilnehmer anmelden kann, generell überrepräsentiert. Durch diese Verzerrung sind auch die jungen, mithilfe eines solchen Panels Befragten überdurchschnittlich häufig Anhänger der AfD.“ Damit untersteht sie einem selektiven Bias. Eine geprüfte Studie, die sich nicht mit den Altersgruppen, sondern mit den allgemeinen Ursachen für eine Rechtsorientierung befasst, ist die „Unterstützung für eine rechtspopulistische Partei und subjektives Wohlbefinden” (M. Adea, S. Huck, 2024). Dabei erfolgte die Umfrage viermal, vor und nach den Bundestagswahlen. Einmal in den Jahren 2019/2020 und zweimal 2021. Es wurden rund 4.094 prospektiv randomisierte Teilnehmer wiederholt befragt. Inhaltlich wurden dabei „Fragen zur politischen Orientierung und Gesundheit’’ bewertet. Somit wurde die Tendenz zur Entwicklung nach rechts mit bestimmten Faktoren in Verbindung gebracht. Die Auswertung zeigt, „dass Personen, die neue oder marginale Befürworter der AfD sind, eine Verschlechterung des Wohlbefindens aufweisen. […] Darüber hinaus stellen wir eine starke Korrelation zwischen negativer Wahrnehmung des persönlichen und finanziellen Wohlergehens und der Unterstützung der rechtspopulistischen Partei AfD her. Dies sind neue Erkenntnisse, da in früheren Studien typischerweise eine Kausalität in die entgegengesetzte Richtung hindeutete und es selten ein Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und AfD-Unterstützung gab. […] Wie die Literatur gezeigt hat, ist die Unzufriedenheit mit dem politischen System ein wichtiger Motor der Unterstützung rechtspopulistischer Bewegungen, in Deutschland und anderswo.“

Im Kontext der letzten Jahre lässt sich festhalten, dass die Rechtsbewegung mit dem Missmut der Bürger Deutschlands zusammenhängt, weniger mit dem Alter. Einer der Aspekte ist die zunehmende Inflation. Durch diese kam es besonders zur Verarmung der unteren Bevölkerungsschicht und hat somit einen großen Teil zu der schlechten ökonomischen Wahrnehmung der Menschen beigetragen. Da diese Schicht den größten Bevölkerungsteil darstellt, ist das enorme politische Wachstum der AfD nachvollziehbar. Weitere Umfragen von Infratest dimap zeigen, dass vor allem die Populationsgruppe, welche die rechte Partei wählt, angab, der Bundesregierung einen Denkzettel verpassen zu wollen. Frühere Besorgnisse über den Klimawandel werden durch aktuellere Krisen und daraus resultierenden Ängsten vor Krieg, unkontrollierter Masseneinwanderung, einem schlechten Rentensystem und auch dem maroden Schulsystem verdrängt. Der erhebliche Verlust von Zustimmung zu den Grünen findet in diesem Sinneswandel seinen Ursprung. Momentan von einer rechten Jugend zu sprechen, ist zwar noch inkorrekt, jedoch wird sich voraussichtlich vor allem die jüngere Bevölkerung immer mehr radikalisieren und polarisieren, wenn sich der soziale Verfall weiter fortsetzt.


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