von Carola
Mitten in der bulgarischen Einöde aus einem Auto aussteigen und nicht wissen, ob innerhalb der nächsten 30 Minuten überhaupt ein Fahrzeug vorbei kommt – In der glühenden rumänischen Hitze mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken vergeblich auf jemanden warten, der dich mitnimmt – Ein ganzes Wochenende auf einem ungarischen LKW-Rastplatz verbringen – Kurz hinter Belgrad den Belästigungen eines Truckers entfliehen – Ein Pärchen, das einen Umweg von 100 Kilometern fährt, nur damit du an einer guten Stelle weiter kommst – Fünf Tage mit einem türkischen LKW unterwegs sein und so die Kultur und Sprache intensiv erleben – Leider an der rumänisch-bulgarischen Grenze den netten mazedonischen Fahrer verlassen müssen, weil der ein paar Stunden auf die Einreise warten muss und noch ein Kilo mazedonische Tomaten zugesteckt bekommen, „weil die einfach die besten sind“ – Eine Nacht in einer Tankstelle, die kein Benzin verkauft und wie aus einem David Lynch-Film wirkt, verbringen – Mit Menschen kommunizieren, ohne eine gemeinsame Sprache zu haben und es trotzdem irgendwie auf die Reihe bekommen – Bis nach Bukarest vor die Haustür gefahren werden – In Istanbul immer noch denjenigen treffen, der dich vor vier Monaten mitgenommen hat – Kurz hinter Prag irgendwo aus dem Auto geworfen werden, weil du nicht „nett“ warst – Nicht wissen, wo du bist und nicht wissen, wann du wo ankommen wirst – Fahrer, die nicht eher weiterfahren, bis sie jemanden gefunden haben, der dich weiter mitnimmt – Ständig zum Essen, Trinken und Rauchen genötigt werden und alles Mögliche geschenkt bekommen – Im LKW übernachten und mitten in der Nacht Tee und Auberginen in der Bordküche kochen
Wann werde ich wo sein?
Beim Reisen kann man viel erleben, beim Trampen noch viel mehr. Die Abenteuerkomponente hat mehr Gewicht, ein Plan existiert nicht, ebensowenig Abfahrts- oder Ankunftszeiten. Dafür aber die Möglichkeit, tolle Erfahrungen zu machen, unabhängig zu reisen, auf sich selbst gestellt zu sein und in Kontakt mit vielen netten Menschen zu kommen. Auch Zeit bekommt eine ganz andere Bedeutung, vor allem, wenn die Route, die man zurücklegen möchte, sich über sehr viele Kilometer erstreckt. Plötzlich ist eine Stunde völlig belanglos, weil man schon seit einigen Tagen unterwegs ist. Ein Stau ist nicht mehr ärgerlich, eine freie Autobahn kein Grund zum Rasen und Pausen werden gemacht, wann sie gemacht werden müssen: der Fahrtenschreiber im LKW ist unerbittlich.
Nicht nur die Umwelt freut sich über Anhalter
Die Idee des Trampens ist nicht neu: Viele Menschen, die mich mitnahmen, erzählten mir, dass sie, als sie in meinem Alter waren, auch viel getrampt sind – doch gerade heute im Angesicht knapper Ressourcen, überfüllter Autobahnen, steigender Spritpreise und neu erwachendem Ökobewusstsein ist diese Art des Reisens eine wunderbare Alternative. Alle profitieren davon, zuerst natürlich durch den sozialen Kontakt, der entsteht. Welcher Berufsfahrer freut sich denn nicht über die Gelegenheit zu einem Plausch auf der sonst so öden Tour? Sogar Beziehungen sollen sich aus der Situation schon ergeben haben. Ein Fahrer erzählte mir, dass er einmal in Rumänien eine Frau mitnahm und sie seitdem jedes Mal, wenn er in ihrer Stadt vorbeikommt, ein kleines Stelldichein vornehmen. Auch ökonomisch denkende Menschen können nur für das Fahren per Anhalter plädieren, würde doch sonst unnütz Platz verschenkt.
Fairerweise sollen aber auch die Gegenargumente nicht unerwähnt bleiben. Woran die meisten denken werden, ist, dass es ja doch ein bisschen gefährlich sein kann, zu trampen, vor allem alleine als Frau. Jüngstes Beispiel: Pippa Bacca, die italienische Künstlerin, die mit einem Brautkleid bekleidet die Türkei betrampen wollte und dabei tragischerweise ums Leben kam. Natürlich, solche Fälle passieren, aber sie können auch überall anders vorkommen. Innerhalb des letzten halben Jahres habe ich mehrere tausend Kilometer per Anhalter zurückgelegt und noch keine wirklich gefährliche Situation erlebt, wenn auch unangenehme. Doch Situationen entstehen aus dem Miteinander von mindestens zwei Menschen, man kann also durchaus regulierend einwirken und wenn es zu blöd wird, bleibt als Alternative immer noch, auszusteigen. Wer sich allzu unsicher fühlt, kann in letzter Konsequenz ja eine Waffe mitführen, auch wenn ich das für eher unnötig und provokativ halte.
Der Weg ist das Ziel
Ein weiteres Problem könnte die Unsicherheit bezüglich der Route und der Zeit darstellen. Dazu kann ich nur sagen: wozu sollte man, wenn Zeit da ist, hetzen? Viel zu oft verzichten wir zugunsten schnellen Fortkommens auf schöne Momente und wissen gar nicht, warum. Klar, es dauert ewig, bis man ankommt, aber wie heißt es doch so schön: der Weg ist das Ziel. Und mit 30 km/h durch Dörfer auf dem Balkan zu fahren ist einfach toll. Was es da alles zu sehen gibt. Und der Blick aus dem Flugzeug ist, wenn wir ehrlich sind, doch sehr öde: Wolken, Wolken, Wolken, Wasser, Wolken, Wolken usw.
Ich lege also jedem ans Herz: Stellt euch an die Straße, haltet den Daumen raus und fahrt einfach ins Blaue. Es muss ja nicht gleich eine Weltreise draus werden, aber es kann.
Wer sich weiter informieren will, dem sei die Internetseite www.hitchbase.com empfohlen, dort gibt es z.B. einen Tramping-Leitfaden und eine Datenbank mit guten Punkten zum Wegkommen.
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