von Fabian
„And you know that I am toxic“, wummert es schräg aus den kleinen Boxen am Rande des Eichplatzes. Ein zierliches Mädchen steht umringt von ihren Freundinnen auf der Bühne der Singstar-Karaoke- Show und kämpft verbissen um die letzten Schlüsselbänder. Ein paar 16-jährige Jungs prüfen unterdessen ein letztes
Mal die Frisur für den bevorstehenden Blink 182-Auftritt, während im Hintergrund die ehemalige VIVA-Ikone Nils Bokelberg nun dicklich und unrasiert vor sich hin grinst und versucht die Kandidaten motivationslos
zu mehr Einsatz anzustacheln.
Es ist MTV Campus Invasion 2008 in Jena, die nun nach sieben Jahren auch endlich auf dem Parkplatz zwischen Neuer Mitte und Rathhauspassage angekommen ist. Wo sonst Hausfrauen kurz vor acht hektisch ihre Einkäufe ins Auto laden, generieren heute eine Kolonne Sicherheitskräfte, zwei Kilometer Bauzaun und
eine unbestimmte Zahl einheimischer und angereister Zuschauer für sieben Stunden diese kleine popkulturelle Parallelwelt.
15-20 Trucks, so berichtet stolz der Pressesprecher, seien nötig gewesen, und der Schleichersee deren Gewicht aufgrund des hohen Grundwasser einfach nicht gewachsen. Am Rande dieser Welt winkt mir das
kleine Mädchen von der Singstar- Bühne zu und bittet, ein Interview geben zu dürfen. Astrid heißt sie, sehr viel Spaß hat der Auftritt gemacht, aufgeregt sei sie aber kaum gewesen, schließlich habe sie seit 16 Uhr schon genug Alkohol getrunken, erzählt mir das hippelige Mädchen, welches eben noch mittels Britney Spears Karaoke mit den Hauptbühnenaufbauern und um die Gunst der Jenaer Studentenschaft buhlte. „Sach ma, wer sinne die eigentlich“ unterbricht es gröhlend unser Interview.
50 Euro könnte ich bekommen, wenn ich „KERSTIN ICH LIEBE DICH, DEIN BUMMI!“ in meinem Artikel schreiben würde und ob ich nicht irgendwie dafür sorgen könnte, dass mal Rosanna von Toto gespielt wird.
Wir drängen uns vorbei an vereinzelten Alkoholleichen, Becksständen und Kaiser Chief Promotion-Girls in Hotpants und hochgeknoteten T-Shirts, die bei der Verteilung von allerlei Gratisproben mit zwei
blonden Fishermans Friends- Freundinnen in hautengen Latexoveralls um die Gunst pubertierender Zugereister buhlen.
Nur die L&M Mädchen wollen bezahlt werden, doch die haben haben auch mehr an. Eigentlich sei sie nur wegen Patrice hier, doch sei der ja nun schon vorbei. Ob ich nachher noch auf die Aftershow-Party wolle, fragt mich Astrid während eine gepiercte Unterernährte auf der Hauptbühne vor fünf nackten Spowi-Studenten „Ich will ein Kind von dir!“ schreit. Wenige Stunden später ist es schließlich vorbei. Das letzte George Michael Duett im Singstar-Zelt ist gesungen, die letzten NicNac’s-Proben sind aufgegessen und auf der Bühne verabschiedet sich die letzte dieser unbekannten Bands.
Wir reihen uns in den Tross hunderter Gelegenheitsalkoholiker ein und landen in der drängelnden Masse,
die zur vier-floorigen Aftershowparty in der Neuen Mitte drängt. Astrid schreit hysterisch, dass sie sich übergeben müsse und schütet mir den Rest ihres letzten Biers über den Kopf. Während ein paar Gruppies
stolz ihr Joko Winterscheidt Autogramm herumzeigen und dabei Udo Lindenberg- Lieder singen, endet
die MTV Campus Invasions 2008. Nur Nils Bokelberg steht wahrscheinlich immernoch auf seiner Singstarbühne und klatscht apathisch im Takt der Müllkolonnen.
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