Der Teufel zu Besuch in Moskau: „Der Meister und Margarita“

„Verboten, mit Fremden zu sprechen“: Witziges Fake-Straßenschild am Moskauer Patriarchen-Teich (Foto: Wikimedia-User Dimа)
„Verboten, mit Fremden zu sprechen“: Witziges Fake-Straßenschild am Moskauer Patriarchen-Teich (Foto: Wikimedia-User Dimа)

Die 22. KulturArena startet am 11. Juli mit einer Bühnen-Adaption von Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“. Eine gute Gelegenheit, vorab einen Blick in diesen russischen Roman zu werfen.

von David

Neben „Satisfaction“ dürfte „Sympathy For The Devil“ der wohl berühmteste Song der Rolling Stones sein. Wesentlich unbekannter ist, dass Mick Jagger sich für den Text um den eloquenten Satan, der unter anderem Zeitzeuge von Jesus Christus und Pontius Pilatus war und die Oktoberrevolution auslöste, hauptsächlich vom Roman eines lange Zeit eher vergessenen russischen Schriftstellers inspirieren ließ.

Michail Bulgakow (1891-1940), ein in Kiew geborener Arzt, war in den 1920er Jahren ein überaus berühmter und erfolgreicher sowjetischer Autor von Romanen, Kurzgeschichten und Bühnenstücken. Als glühender russischer Nationalist, orthodoxer Christ und ehemaliger Soldat der Weißen Armee war er dem Sowjetregime alles andere als politisch genehm, zumal er mit bissig-grotesken Satiren immer wieder die sowjetische Bürokratie aufs Korn nahm.

Mit der stalinistischen Wende 1928 sahen sich ehemals tolerierte „bürgerliche“ Autoren wie Bulgakow aggressiven Hetzkampagnen ausgesetzt. In diesem Klima der Anfeindungen begann der Schriftsteller, an seinem magnum opus, Der Meister und Margarita, zu arbeiten. Bulgakow brauchte mehrere Anläufe, verbrannte sein erstes Manuskript (was in dem fertigen Roman auch thematisiert wird) und schrieb bis zu seinem Tod 1940 an dem Text, wohl wissend, dass er nicht veröffentlicht würde.

Erst 1966/67, im Klima einer begrenzt liberalen Kulturpolitik, wurde Der Meister und Margarita in einer um etwa ein Zehntel gekürzten Fassung publiziert und sorgte für eine literarische Sensation. Die fehlenden Teile kursierten inoffiziell unter der Hand und 1973 erschien die ungekürzte Fassung auch offiziell. Schon 1967 verbreitete sich der Roman in übersetzten Fassungen im Westen (ein Exemplar gelangte wohl rasch in die Hände Mick Jaggers). Seitdem entstanden unzählige Kino-, Fernseh-, Theater-, Opern- und Radio-Adaptionen.

Der Meister und Margarita vereint drei verschiedene Narrative: Im ersten Handlungsstrang besucht niemand anders als der Teufel höchstpersönlich das sowjetische Moskau und nennt sich hier Voland, Professor für schwarze Magie. Sein Hofstaat besteht aus Korowjew, einem ehemaligen Kantor, der offiziell als Volands Dolmetscher fungiert; aus Asasello, einem Dämon mit scharfen Eckzähnen und feurig-roten Haaren sowie aus Behemoth, einem aufrecht laufenden und sprechenden Kater, der stets zu albern-sarkastischen Witzen und brutaler Gewalt aufgelegt ist. Zusammen verbreiten die Besucher aus dem Jenseits Angst, Schrecken und Chaos in der russischen Metropole.

Die beiden Titelhelden hingegen erscheinen erst nach knapp einem Drittel des Romans. Er, der namenlose Meister, ist ein Schriftsteller, der vom offiziellen Literaturbetrieb verfemt wurde. Von seinem magnum opus, einem Roman über Pontius Pilatus und dessen Rolle bei der Hinrichtung des wandernden Philosophen Jeschua Ha-Nozri, hat der Meister einst einen Ausschnitt veröffentlicht. Eine Hetzkampagne des Schriftstellerverbands gegen den Meister und sein Werk folgte. Daran zerbrach er, verbrannte das Manuskript und verließ seine Geliebte Margarita, um sich in eine Psychiatrie einliefern zu lassen.

Den dritten Handlungsstrang bilden Auszüge aus dem Roman des Meisters. Stilistisch stehen diese vier Passagen in einem krassen Gegensatz zum zeitgenössischen Moskauer Setting – erscheint letzteres als fantastischer, grotesker und surrealistischer Fiebertraum, so wird die Pilatus-Geschichte in einem nüchternen, realistischen Stil erzählt und weicht auch erheblich von der biblischen Geschichte ab. So predigt Jeschua Ha-Nozri (Jesus) einen diffusen utopischen Kommunismus und prophezeit eine gerechte und herrschaftsfreie Welt. Sein einziger und offenbar wenig gelittener Jünger ist der fanatische Levi Matthäus. Pontius Pilatus hat hingegen schwere Weltschmerz-Probleme (um nicht zu sagen: Depressionen). Immer wiederkehrende Migräne-Anfälle lassen den römischen Präfekten oft suizidal werden. Dass er das Todesurteil gegen Jeschua bestätigt, mit dem er ein überaus anregendes Gespräch geführt hat, bringt ihn in schwere Gewissenskonflikte.

Der Meister und Margarita gilt heute als Klassiker der russischen und überhaupt der modernen Literatur. Seine Komplexität und thematische Tiefe hat eine Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten angeregt. Sehr nahe liegend ist es natürlich, Bulgakows Roman als bissige Satire auf das Sowjetregime zu lesen, als breit angelegte Attacke auf die Absurditäten, aber auch auf die paranoide und gewalttätige Atmosphäre des Stalinismus: Missgunst, Neid und Denunziationsbereitschaft prägen die Moskauer, die dem teuflischen Voland in der einen oder anderen Art begegnen. Ebenso forderte der Roman durch seine zahlreichen biblischen und religiösen Anspielungen den staatlich dekretierten Atheismus des Regimes heraus.

Michail Bulgakow (1891-1940)
Michail Bulgakow (1891-1940)

Naheliegend ist es auch, Der Meister und Margarita als künstlerische Auseinandersetzung Bulgakows mit seinem eigenen Niedergang als erfolgreicher Schriftsteller zu lesen – und als eine Abrechnung mit der sowjetischen Literaturbürokratie. Der Vorsitzende der Moskauer Literaturvereinigung, der zu Beginn des Romans – wie vom teuflischen Voland prophezeit – von einer Straßenbahn überfahren und enthauptet wird, wurde offenbar nach dem realen Leopold Averbach modelliert, der als bedeutender Literaturfunktionär die Hetzkampagnen gegen „bürgerliche“ Schriftsteller maßgeblich geprägt hatte (und 1937 während des „Großen Terrors“ hingerichtet wurde). Und wenn Margarita, auf einem Besen nackt durch den Moskauer Himmel reitend, einen Zwischenstopp beim Wohnheim für offiziöse Schriftsteller macht und mehrere Wohnungen sowie die komplette Fensterfront mit einem Hammer demoliert, dann hat sich Bulgakow zumindest literarisch an seinen Gegnern gerächt. Jenseits des engeren sowjetischen Kontextes stellt der Roman auch Fragen nach der moralischen Integrität von Schriftstellern, sowie nach dem Wert von Literatur. Berühmt geworden ist der Satz „Manuskripte brennen nicht“, wenn der verbrannte Roman des Meisters durch Zauberei wieder hergestellt wird.

Der Meister und Margarita ist auch eine fast unendliche Quelle literarischer und kulturgeschichtlicher Querverweise. Das Faust-Motiv taucht nicht nur im Roman-Motto und als Pakt des Meisters mit dem Teufel auf, sondern wird auch in unzähligen kleinen Details durchexerziert: Anspielungen auf Goethes Faust durchziehen den Roman genau so, wie solche auf Gounods und Berlioz’ Opern, aber auch auf Dostojewskis Faust-Variation aus seinem Tagebuch eines Schriftstellers. Wie in einigen früheren Werken führt Bulgakow auch in Der Meister und Margarita eine russische Tradition der Groteske und Fantastik weiter, wie sie Puschkin und Gogol begründet hatten (die im Roman immer wieder erwähnt werden). Die vielfältigen Einflüsse gipfeln in der Figur des exzentrischen Behemoth, der namentlich ein biblischer Dämon ist, aber auch an die frühneuzeitliche Märchen-Figur des gestiefelten Katers sowie an Gogols wandelnde und sprechende Nase erinnert.

Wie Der Meister und Margarita zahlreiche „popkulturelle“ Einflüsse seiner Zeit aufgenommen und verarbeitet hat, so ist es kein Wunder, dass das Werk selbst wiederum (und nicht nur für britische Rockbands) ein Objekt „popkultureller“ Verwertung und Wiederverwertung geworden ist.

Eine Theater-Adaption von Der Meister und Margarita ist vom 11. bis 14. Juli, jeweils um 21.30 Uhr, auf dem Theatervorplatz im Rahmen der KulturArena zu sehen.

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