Das Unbegreifliche verstehen

Foto: © Joachim Dette
Foto: © Joachim Dette

Das Theaterhaus Jena stellt in seiner dokumentarisch-theatralen Installation Sieben Räume Unbegreifen Fragen nach der Konstruktion unserer Identität durch Geschichten und Feindbilder und nach persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung.

von Babs

„Dies konnte kein Zorn rächen, keine Liebe ertragen, keine Freundschaft verzeihen, kein Gesetz bestrafen.“ So beschreibt die Politologin Hannah Arendt das radikal Böse in totalen Systemen. Und mit genau diesen Systemen setzt sich das Theaterhaus Jena künstlerisch auseinander. Das Unbegreifliche zu verstehen ist das Ziel – und hier wird auch das Publikum in die Pflicht genommen. In kleine Gruppen aufgeteilt, werden die Zuschauer durch das ganze Haus geführt. Dabei erfahren sich Geschichten von Tätern und Helfern, hören einen äußerst interessanten Vortrag über Propaganda und müssen ihre eigenen Ansichten überdenken.
Das begleitete Erleben dauert rund neunzig Minuten; danach wird den Zuschauern die Möglichkeit gegeben, sich alleine umzusehen, mit Experten über verschiedene Aspekte, seien es historische, aktuelle oder philosophische, des Völkermords zu sprechen und so vielleicht auch die eigenen Gedanken, die eigene Betroffenheit oder Verwirrung, zu teilen.
Die Installation ist nicht darauf angelegt, Deutungsmuster vorzugeben, sie zwingt jeden im Raum, selbst zu denken und sich sein eigenes Urteil zu machen. Und doch sorgt sie für Gesprächsstoff und für das Bedürfnis, über das Erlebte zu sprechen. Diesem Bedürfnis soll am Schluss entsprochen werden. Es finden sich alle ein, um einem „Tribunal“ beizuwohnen, das die Frage nach der Verantwortung für den Genozid stellt. Sind alle Mitglieder der Gesellschaft verantwortlich? Sind nur die Haupttäter verantwortlich? Oder lastet die Verantwortung auf der ganzen Menschheit, einfach, weil wir Menschen sind? Solch große Fragen sind an einem Abend kaum zu beantworten. Zudem ist die Erschöpfung nach bereits drei Stunden Programm bei vielen der Zuschauer groß, der theoretische Exkurs zu anstrengend, um ihm noch in der Intensität zu folgen, die wohl nötig wäre. So ist auch die angedachte Diskussion ein Schlagabtausch nur noch für einige Zuschauer – eine vertane Chance.
Für diesen Abend im Theaterhaus sollte man sich Zeit nehmen – die ganze Veranstaltung dauert über drei Stunden. Die Zeit lohnt sich jedoch: Das Unbegreifliche begreifbar machen gelingt zwar nicht; zu groß ist die Sprachlosigkeit angesichts der Verbrechen. Und doch hilft die unsentimentale Inszenierung, sich anzunähern, ein Nachdenken zuzulassen und am Ende des Abends zu verstehen, dass Menschlichkeit keine leere Phrase, sondern die Basis des Zusammenlebens ist und ihre Bewahrung elementare Verantwortung jedes Menschen.

Weitere Termine: 14./15./16. Mai 2015, Theaterhaus Jena

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