Das Problem mit dem grünen Kapitalismus

Eine Alternative zum fossilen Kapitalismus ist theoretisch möglich. Es gibt aber praktische Probleme, die einen grünen Kapitalismus eher unwahrscheinlich machen. Ole Nymoen, Student der Wirtschaftswissenschaften und Soziologie an der FSU Jena, Podcaster und Buchautor, beschreibt uns diesen Problemkomplex.

von Ole Nymoen


„Grün ist eine Welt, in der wir alle leben wollen“ – mit diesem Kompliment bedachte Franz Josef Wagner 2018 die Grünen in einer seiner legendären BILD-Kolumnen. Kein Jahr später dann die Kehrtwende: „Im Land der Grünen wollte ich nicht leben.“ Diese Diskrepanz könnte als Eselei eines sich ohnehin alle drei Tage widersprechenden Alt-Kolumnisten abgetan werden, doch vielleicht steckt in diesen Sätzen eine ganz andere Wahrheit: Denn während überall von grüner Transformation und Green (New) Deal die Rede ist, ist davon fast nirgends etwas zu sehen. Für eine Nachhaltigkeitsrevolution können sich rein theoretisch zwar fast alle begeistern, in der Praxis hingegen sieht die Welt völlig anders aus: Zwar sorgte Corona in der Wachstumskurve der globalen Emissionen von CO2-Äquivalenten für einen kleinen Knick, dieser ist jedoch längst wieder Geschichte – so prominent und mächtig die Fürsprecher eines grünen Kapitalismus auch sein mögen.
Zu ihnen gehört etwa die EZB unter Christine Lagarde, die in Zukunft Nachhaltigkeitskriterien stärker in ihre Geldpolitik einfließen lassen will: „Der EZB-Rat ist fest entschlossen, innerhalb seines Mandats dafür zu sorgen, dass das Eurosystem, im Einklang mit den Klimaschutzzielen der EU, die Implikationen des Klimawandels und des Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft für die Geldpolitik und das Zentralbankwesen in vollem Umfang berücksichtigt.“ So harmlos und wenig konkret diese Versprechen aus der letzten geldpolitischen Strategie der EZB auch klingen mögen – sie eckten durchaus an und stießen auf allerlei Kritik: Vor allem deshalb, weil Klimaschutz im Verständnis vieler Liberaler und Konservativer keine Aufgabe von Zentralbankern sein solle, die gefälligst nur die Inflationsrate im Blick behalten sollen. Das sieht man in Frankfurt mittlerweile anders, wo man erstens den Klimawandel zum Risiko für die Geldwertstabilität erklärt und zweitens auf die ökologische und gleichzeitig gut verwertbare Wirtschaftswende hofft.
Noch mehr Optimismus konnten wir kürzlich bei Larry Fink zu lesen bekommen – immerhin Chef von Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt (verwaltetes Vermögen: über 10 Billionen US-Dollar). In seinem letzten Brief an die CEOs verlieh Fink seinem Glauben an die Vereinbarkeit von Profitmacherei und Umweltschutz folgendermaßen Ausdruck: “Ich bin überzeugt, dass mit der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft die größte Anlagechance unserer Zeit einhergeht. Zugleich wird diese Entwicklung jene Unternehmen zurücklassen, die sich nicht anpassen, ganz gleich, in welcher Branche sie tätig sind. […] Die nächsten 1.000 ‚Einhörner‘ werden weder Suchmaschinen noch Social-Media-Unternehmen sein, sondern nachhaltige, anpassungsfähige Innovatoren: Start-ups, die Lösungen für den Verzicht auf fossile Brennstoffe entwickeln und die Energiewende für alle erschwinglich machen.“
Dies bedeutet zwar keineswegs, dass Larry Fink dem fossilen Kapitalismus ein für alle Mal die Treue kündigt – dafür ist die Möglichkeit, an brennbaren Energieträgern zu verdienen, immer noch zu verlockend. (Während beispielsweise der wachstumsorientierte ESG-Fonds von Blackrock in den letzten anderthalb Jahren gerade einmal zwei Prozent Wachstum hinlegte, konnte ein konventioneller ETF wie der Core MSCI World zuletzt mit zweistelligen Wachstumraten dienen.) Dennoch wird sichtbar, dass der Chef der größten Schattenbank der Welt (zumindest seinen Verlautbarungen zufolge) die Bewältigung des Klimawandels nicht nur als geschäftsschädigendes Ärgernis, sondern auch als neues Experimentierfeld zum Geldverdienen ansieht – und dass alle Unternehmer, die bei ihren Geschäften keine Nachhaltigkeitskriterien beachten, in Zukunft von Blackrock abgestraft werden könnten. Dass eine solche Abstrafung durch einen der größten Player auf den globalen Finanzmärkten einem existenziellen Risiko für jedes Unternehmen gleichkommen kann, muss wohl kaum besonders betont werden.
Der grüne Kapitalismus ist also in aller Munde. Nun stellt sich bloß die Frage: Wenn selbst mächtige Zentralbanken und Vermögensverwalter die grüne Wende wollen – wieso kommt sie dann nicht? Den grünen Kapitalismus betreffend existieren in allen politischen Lagern Missverständnisse, von denen einige an dieser Stelle behandelt werden sollen.

1) Ein grüner Kapitalismus – das geht doch gar nicht!

Viele linke Theoretiker sind sich einig: Ein grüner Kapitalismus ist undenkbar. Ihnen zufolge benötigt der Kapitalismus immer neues Wachstum, weshalb Ressourcenverschwendung und steigende C02-Emissionen unausweichlich sind. Und in der Tat: Kapitalismus ist eine Wirtschaftsform, in der Wachstum zum Selbstzweck wird. Die Zirkulationsform des Kapitals wurde von Marx als G-W-G‘ bestimmt, das heißt: Geld wird investiert, um Waren zu kaufen (Rohstoffe, Arbeitskraft etc.), so dass am Ende ein Profit entsteht. Produziert wird nur, wo ein Profit, also Wachstum lockt. Das ist kein marxistisches Geheimwissen, davon zeugt schon die Tatsache, dass Stagnation oder gar ökonomische Schrumpfung wie selbstverständlich in unserer Gesellschaft als „Krise“ gelten, ganz unabhängig davon, ob nicht längst alle Bedürfnisse befriedigt werden könnten. Dass ausbleibendes Wachstum gleichbedeutend mit Krise ist, darin sind sich sozialdemokratische Politiker und neoliberale Ökonomen gleichermaßen einig.
Dass kapitalistisches Wachstum jedoch keineswegs mit mehr materiellem Verbrauch einhergehen muss (Stichwort: Dienstleistungsgesellschaft, Digitalisierung usw.), ignorieren viele Linke geflissentlich. Dies gilt genauso für die Tatsache, dass bereits einige kapitalistische Staaten eine Entkoppelung ihrer CO2-Emissionen vom volkswirtschaftlichen Wachstum erreicht haben. Diese Entkoppelung mag zwar ungenügend sein, sie zeigt jedoch, dass Wirtschaftswachstum und Emissionen nicht fest aneinander gebunden sind.
Linke, die wie oben genannt argumentieren, sollten sich zumindest einmal die selbstkritische Frage stellen, wieso die private Verfügungsmacht über die Produktionsmittel und die Aneignung von fremder Arbeit unbedingt mit der Zerstörung des Klimas einhergehen sollen. Wieso sollte eine solche Produktionsweise nicht auf erneuerbaren Energien beruhen können? Ein theoretischer Beleg dafür ist kaum zu erbringen – vielmehr handelt es sich dabei um ein primär moralistisches Vorurteil, das auf allerlei Felder übertragen werden kann: Der Kapitalismus ist diesen Theoretikern zufolge inhärent rassistisch, sexistisch und klimaschädlich – so als ob eine Gesellschaft freier Warenproduzenten nicht auch divers, weltoffen und klimaneutral sein könnte.

2) Am Klimawandel sind eh nur die Reichen schuld!

Die reichsten 10 Prozent der Welt sind für mehr als die Hälfte der globalen Emissionen verantwortlich! Diese (und ähnliche Zahlen) werden von Linken gern vorgebracht, um die Superreichen dieser Welt zu den Hauptverursachern des Klimawandels zu erklären. Dass jedoch bereits die untere Mittelschicht in Deutschland zu den reichsten 10 Prozent der Welt gehört, wollen diese Linken nicht wahrhaben, denn diese Wahrheit stellt uns alle vor ein nicht lösbares Problem: Selbst ein Lebensstandard, den wir in Deutschland für niedrig halten, ist aus ökologischer Perspektive viel zu hoch. Natürlich sollten wir gegen die Privatjets und Luxusyachten der Superreichen ankämpfen, dennoch ist es Fakt, dass selbst das Wohlstandsniveau, das wir in Deutschland als gerade noch menschenwürdig erachten, beim jetzigen Stand der Produktivkräfte nur auf die ganze Welt übertragbar ist, wenn wir dafür weitere Klimaschäden in Kauf zu nehmen bereit sind.
Dieser Zwickmühle versuchen viele Linke zu entkommen, indem sie darauf verweisen, dass die Superreichen am meisten Emissionen produzieren; oder durch den Verweis darauf, dass soundso viele Ölkonzerne für soundso viel Prozent der Emissionen verantwortlich seien – so als basiere unser eigener Wohlstand nicht auch auf diesen Emissionen, und als würden diese Konzerne fernab unserer eigenen Lebensrealität aus Jux und Tollerei Öl verbrennen. Durch diese moralische Verdammung entziehen sich viele Linke einer unangenehmen Frage: Kann es sein, dass nicht nur ein grüner Kapitalismus gerade undenkbar erscheint – sondern dass keine Produktionsweise bei den jetzigen technischen Möglichkeiten in der Lage wäre, allen Menschen einen akzeptablen Lebensstandard zu bieten, ohne dass es zu klimatischen Problemen käme?

3) Wir müssen nur die richtigen Rahmenbedingungen setzen!

Die linken Missverständnisse über den grünen Kapitalismus bestanden darin, dass ein solcher für schlechthin unmöglich erklärt wurde, und dass der Klimawandel fälschlicherweise den Superreichen allein in die Schuhe geschoben wurde. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass nur, weil ein grüner Kapitalismus theoretisch denkbar ist, dieser auch kommen wird. Einen solchen Optimismus können wir derzeit oft beobachten, wenn Liberale die richtigen politischen Rahmenbedingungen fordern: Wenn diese erst einmal gesetzt wären, dann würde die unsichtbare Hand des Marktes das Problem schon lösen und so viel innovatives Potential freisetzen, dass alles weitergehen kann wie bisher. Dieser Idealismus abstrahiert jedoch von der globalen Konkurrenz um Kapital- und Investitionsströme. Wie bereits zuvor erwähnt, wird in kapitalistischen Staaten nur produziert, wenn damit Gewinnmöglichkeiten einhergehen. Umgekehrt: Wenn keine Chance zur Profitmacherei besteht, gilt es als das Selbstverständlichste von der Welt, dass gigantische gesellschaftliche Ressourcen ungenutzt bleiben, wie etwa an den Jugendarbeitslosigkeitsquoten in Südeuropa sichtbar wird. Die Staaten sind also stets bemüht, dem Kapital die profitable Nutzung menschlicher Arbeitskraft möglich zu machen. Gerade hierin besteht das Problem beim Klimaschutz: Ein Staat, der hohe Umweltstandards setzt, verschlechtert dadurch die von Ökonomen oft beschworene „Wettbewerbsfähigkeit“. Umweltstandards lassen sich daher nur multilateral durchsetzen, was jedoch mit allerhand Problemen verbunden ist: Denn gerade Entwicklungs- und Schwellenländer wissen, dass ihre Wettbewerbsvorteile in der billigen Nutzbarmachung ihrer Arbeitskräfte und ihren niedrigen Umweltschutzstandards begründet liegen, und in den ökonomisch fortgeschrittensten Ländern will wiederum kein Politiker seinen Wählern erklären müssen, wieso Arbeitsplätze nach China abwandern.
Dass gerade die Welt der globalen Konkurrenz dem Klimaschutz im Wege steht, können wir im Zuge von Putins Krieg gegen die Ukraine in Reinform erkennen: Während sich der Westen Russland lange Zeit als billige Tankstelle der Welt nutzbar machte, will er sich nun von Putin unabhängig machen. Dies jedoch keineswegs in dem Sinne, dass nun Rieseninvestitionen in erneuerbare Energien getätigt würden. Stattdessen investiert die Bundesregierung 100 Milliarden Euro in die Aufrüstung – also in eine der klimaschädlichsten Industrien schlechthin – und sucht sich neue zuverlässige Energielieferanten (etwa in Katar, wo bekanntlich deutlich mehr Menschenliebe und Achtung vor der Freiheit als in Russland herrschen). Die jüngsten Ambitionen der Ampelkoalition, EU-weite Klimaschutzambitionen zu untergraben, reihen sich da nur folgerichtig ein. So gesehen müssen wir festhalten: Ein grüner Kapitalismus ist theoretisch durchaus denkbar. Mit der real existierenden Welt der globalen Konkurrenz ist er jedoch (Stand jetzt) nicht in Einklang zu bringen. Allzu viel Optimismus sollten wir nicht an den Tag legen.


Ole Nymoen ist Student der Wirtschaftswissenschaft und Soziologie an der FSU Jena. Mit dem Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt betreibt er nicht nur den Wirtschaftspodcast Wohlstand für alle, sondern hat 2021 mit Schmitt Influencer. Ideologie der Werbekörper bei Suhrkamp publiziert


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