Weltfußball ade
von Christoph Worsch
„Wir sind ewiger Tabellenführer der DDR Oberliga“, so schallt es bei jedem Heimspiel des FC Carl Zeiss Jena durch das Stadion – durch das ziemlich leere Stadion. Wenn nicht gerade Dresden oder Erfurt zu Besuch sind, dann verirren sich vielleicht 5000-6000 Menschen in die Oberaue und so wissen viele nicht, ob sie lachen oder weinen sollen, wenn der Stadionsprecher die drei Gästefans einzeln mit Namen vorstellt.
Die jungen Fans kennen es nicht anders, aber wenn man die Älteren in der Kurve belauscht, dann schwelgen sie noch immer von den glorreichen Zeiten, die so ewig her sind wie die letzte Jenaer Tabellenführung in der DDR-Oberliga. Der FC Carl Zeiss Jena war mal wer im europäischen Vereinsfußball: die erste deutsche Mannschaft, die im Fußballmutterland England gewinnen konnte, einst Dauergast im Europapokal. Ja sogar im Finale des Pokals der Pokalsieger stand man 1981 – und verlor.
Verloren gegangen sind auch diese Zeiten und so erinnern nur noch die Wimpel und Zeitungsausschnitte im „Bernsteinzimmer“ des Ernst-Abbe-Sportfeldes an sie. Ein Raum voller Nostalgie, fast möchte man sagen: voller Ostalgie. Ein Zufluchtsort für das Bedürfnis nach mehr Ansehen und Größe, für die Sehnsüchte, die guten alten Zeiten noch einmal erleben zu dürfen.
Nach Jahren der Schmach und Schande, dem Auf und Ab zwischen zweiter und vierter Liga schien es letztes Jahr fast so, als ob diese Zeiten wiederkehren könnten. Jena schlug sensationell den Pokalsieger Nürnberg und selbst beim deutschen Meister Stuttgart konnte man gewinnen. Es fehlte nur noch dieser letzte Schritt, dieses eine Spiel und die ruhmreiche Europapokalgeschichte hätte eine Fortsetzung gefunden. Aber wie so oft in den letzten Jahren gelang es nicht, dieses eine Spiel für sich zu entscheiden und so werden in einigen Jahren die jetzt Jungen von den Pokalspielen gegen Nürnberg, Stuttgart und Dortmund schwärmen wie die heute Alten von Siegen gegen Rom, Valencia oder Lissabon.
Aber das ist Geschichte und die Menschen in der Stadt scheinen es zu wissen. Noch einmal wollten sie neulich den Glanz der ganz großen Fußballbühne im Paradies erleben. Ein letztes Mal sollte Fußballdeutschland staunend auf Jena schauen. Stunden standen die Fans in der Kälte an, um eine der wenigen Eintrittskarten für das Pokalspiel gegen Schalke 04 zu bekommen. Geduldig waren sie und man sah das Leuchten in ihren Augen, als sie endlich die begehrten Billets in den Händen hielten.
Es war wie das Abschiedskonzert einer großen Band. Die Menschen kamen, um sie zu sehen, um ihre Erinnerungen noch einmal aufleben zu lassen – konnten sie aber nicht erhalten. 17.500 von ihnen pilgerten am 27. Januar zum Ernst-Abbe-Sportfeld. Vor den Einlasstoren wurde über Hans Meyer, Spiele gegen Real Madrid und unvergessene Siege diskutiert und trotz all der Fröhlichkeit war Wehmut allgegenwärtig.
Jena verlor das Spiel, wie schon so viele davor, deutlich. Aber die Menschen lachten und nur einige weinten und niemand verließ das Stadion voll Wut oder gar Hass. Denn sie alle waren still dabei, als der große Fußball in ihrer Stadt ein letztes Mal zu Gast war.
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