Die Schweiz ist, das weiß man, in vielerlei Hinsicht etwas anders als die meisten ihrer europäischen Nachbarn. In kaum einem Land gibt es so viele Amtssprachen. Die selbsterklärte Neutralität der Eidgenossenschaft ist geradezu sprichwörtlich. Und natürlich denkt man bei der Schweiz sofort an die umfangreichen Elemente direktdemokratischer Einflussnahme auf die Politik. So verhinderte eine Mehrheit der Schweizer etwa 1986 (vorerst) den Beitritt des Landes zu den Vereinten Nationen.
von Frank
Am vergangenen Sonntag (29.11.2009) sprach sich ebenso eine Mehrheit der Schweizer Wahlberechtigten für die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ aus. 57 Prozent votierten zugunsten des Vorschlages zweier rechtspopulistischer Parteien, obwohl Umfragen vor der Abstimmung noch einen anderen Ausgang hatten erwarten lassen. Der Erfolg einer solchen Initiative in einem Land, in dem es bisher ganze vier (!) Minarette zu finden gibt und in dem nur etwa 400.000 Muslime leben, wirft ein fahles Licht auf die Neutralität des Alpenvolkes. Das Kopfschütteln der Politiker, von Seiten vieler Schweizer Parteien wie auch aus dem Ausland, wirkt ebenso ehrlich wie hilflos. Das Volk hat sich entschieden – auf diese simple Formel könnte man das Ergebnis herunter brechen, würde es nicht einen so herben Rückschlag auf dem Weg zu interkultureller und interreligiöser Toleranz bedeuten. Die Schweizer Islamwissenschaftlerin Rifa ‚at Lenzin konstatiert, ihr Land habe in der „Islamophobie eine Vorreiterrolle“ übernommen.
Begeistert zeigen sich hingegen fremdenfeindliche Parteien in ganz Europa: die italienische Lega Nord, die Front National in Frankreich und natürlich die Partei des Islamgegners Geert Wilders in den Niederlanden überbieten sich gegenseitig darin, die Schweizer für ihre Entscheidung zu beglückwünschen und ähnliche Referenden für ihre eigenen Heimatländer zu fordern, um endlich die „Islamisierung Europas“ aufzuhalten.
Tatsächlich ging es wohl um mehr als nur den Bau von Minaretten auf islamischen Gotteshäusern. Den rechten Initiatoren gelang es, in der Bevölkerung eine Angst vor islamischem Einfluss zu schüren und die Bedrohung einer Art feindlicher Übernahme durch eine „fremde Macht“ zu stilisieren. Professor Kai Hafez von der Uni Erfurt hatte erst kürzlich im UNIQUE-Interview (Ausgabe 50) ähnlich beschrieben: „Alles, was fremd aussieht oder auch religiös andersartig ist, wirkt wie ein Magnet für potenziell gesellschaftlich aktivierbaren Rassismus.“
Das Votum der Schweiz zeigt, geradezu aufrüttelnd, eine erste praktische Umsetzung solcher Tendenzen in Bezug auf den Islam, wie sie auch in anderen europäischen Ländern immer wieder aufblitzen. Dem internationalen Ansehen des kleinen Landes wird dies wohl kaum gut tun, zumal die Schweiz zahlreiche Wirtschaftskontakte in die islamische Welt unterhält. Ohnehin wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Beschluss zum Verbot von Minaretten befassen müssen. Aber selbst unabhängig von den ökonomischen oder juristischen Folgen wird es nicht ohne Weiteres zu übersehen sein, dass das Land, welches in Genf u.a. das Menschenrechtskommissariat und den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen beheimatet, das fundamentale Recht einer Religionsgemeinschaft zur freien Religionsausübung, das in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kodifiziert ist, derartig einzuschränken.
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