In Berlin diskutierten die Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit und Guy Verhofstadt mit dem Soziologen Ulrich Beck über die Zukunft Europas.
von Philipp
Die Pointe des Abends blieb auch den Diskutanten nicht verborgen: Während am Brandenburger Tor in schönstem Herbstwetter die Einheit Deutschlands gefeiert wurde, kamen im Haus der Kulturen der Welt, nur einige hundert Meter westlich, drei überzeugte Europäer zusammen, um die Überwindung eben dieses deutschen, aber auch aller anderen europäischen Nationalstaaten zu fordern.
Das Podium hätte nicht viel prominenter besetzt sein können: Guy Verhofstadt, ehemaliger Premierminister Belgiens und heute Vorsitzender der Liberalen im Europäischen Parlament, und Daniel Cohn-Bendit, Vorsitzender der Grünen Fraktion in Straßburg, stellten ihr neues Buch „Für Europa. Ein Manifest“vor. Als Moderator fungierte Ulrich Beck, Deutschlands wohl berühmtester Soziologe.
„Frontalangriff“ für Europa
Schon bei der Ankündigung des Podiums wurde klar, worum es an diesem Abend gehen würde: ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa, was auch immer dieses bedeuten mag. Wer vorher schon einen Blick in Cohn-Bendits und Verhofstadts Buch geworfen hatte, wusste, wie ernst es den Autoren damit ist: es ist in einem kämpferischen, fast schon militanten Jargon verfasst. Für den Fall, dass es nicht in Bälde zu einer rasend schnellen Integration der europäischen Staaten zu einem Bundesstaat kommt, zeichnen die Autoren das Bild einer düsteren Zukunft: Europa sei demnach „geschlagen mit nationaler Blindheit, ohne Ehrgeiz, ohne Ausstrahlung und ohne Hoffnung“ (S. 10). Deshalb sei der Vorschlag, einen „Frontalangriff“ für Europa zu führen, alternativlos. Die beiden Integrationisten, wie die Befürworter eines vereinten Europas genannt werden könnten, zehren dabei offenbar von einer höheren Weisheit: Sie kennen den unzweifelhaften Weg der Geschichte – „Die Welt ist unverkennbar auf dem Weg zu einer historischen Vereinigung“ (S. 13) – und sie kennen den Gegner: „[Der] älteste Feind Europas [ist] das Europa der Nationalstaaten“ (S. 10).
Mit diesen Selbstvergewisserungen geht der Abend los. Schon die Ankündigung des Podiums zeigt ein klares Verständnis davon, wer im Recht ist: Die Verteidiger nationaler Interessen oder Denkweisen werden nonchalant als kleinkariert bezeichnet. Auch Ulrich Beck versteht es, eine breite Diskussionslandschaft zu vereinfachen: Die Europaskeptiker, so seine Wahrnehmung, hätten die kulturelle Hegemonie, die Deutungshoheit übernommen. Dieser Duktus, von Europagegnern oder -skeptikern und Europabefürwortern oder Föderalisten zu sprechen, zieht sich durch den ganzen Abend. Leider vehält sich keiner der drei Gesprächspartner so, als könne die Diskussionslandschaft mehr Positionen als nur pro und contra habe könnte. So sagt Cohn-Bendit etwa, dass nationale Politiker, wenn sie bei der Integration auf die Bremse träten, das Volk belögen. Dass man aber aufgrund spezieller Bedenken, etwa demokratischer oder rechtlicher Natur, einer akuten Integration nicht gewogen, gleichzeitig aber doch ein Europabefürworter sein könne, kommt keinem der Diskutanten in den Sinn – obgleich Beck generös einräumt, dass verfassungsrechtliche Bedenken „tatsächlich ernst zu nehmen“ seien, auch wenn sie letztlich nur Rückzugsgefechte der Nationalstaats-Apologeten seien. Europa sei schlicht notwendig, um in der Welt von morgen europäische Werte zu verteidigen. Die Verweigerung, so mag mancher einwenden, andere Meinungen als legitim anzunehmen, könnte allerdings eine Gefährdung dieser Werte von innen bedeuten. Nichts wäre doch grässlicher, als wenn wir in der Diskussion über die europäische Integration die Fähigkeit verlieren würden, andere Meinungen als legitim und ernst zu nehmend anzusehen. Doch diese Angst beschlich die Diskutanten nicht.
Bürokratische Revolution ohne Volk und Geld
Cohn-Bendit sah in der aktuellen Epoche einen Strukturbruch der Geschichte, mit dem eine Zeit seit ca. 1700 zu Ende gehe (man fragt sich, ob für ihn 1968 nicht auch schon einen ebensolchen Charakter hatte). Der Nationalstaat, so Cohn-Bendit, gehe gerade unter. In Zukunft würden Imperien die Welt regieren: Russland, China, Indien, die USA – und Europa, so es denn wolle. Da der Untergang des Nationalstaates aber mit unserem bisherigen politischen Verständnis breche, falle es uns so schwer, all dies zu verstehen – ein Narr, der seinen Cohn-Bendit nicht liest!
Während die Autoren des Buches eine „radikale Revolution“ fordern, fragte Beck, ob der Europäische Rat, die Regierungen der Mitgliedsstaaten, mit der aktuellen Euro-Rettungspolitik nicht eher eine Konterrevolution betrieben. Auf seine andere Frage, wer in der geforderten Revolution denn das revolutionäre Subjekt, also das aufständische Volk sei, ging keiner näher ein. Schade, denn hier hätte die Diskussion vielleicht ergeben, dass es wohl keine Revolution des Volkes für Europa in den nächsten Jahren geben dürfte, da die europäischen Völker am vermeintlich überholten Konstrukt des Nationalstaates festhalten. Und was ist eine Revolution ohne Revolutionsvolk, eine Revolution, die von einigen Politiker und Beamten betrieben wird? Wohl am ehesten ein Staatsstreich, ein Coup – aber diesen Namen wollte natürlich keiner dem Kind geben.
Weniger ideologisch und deshalb sehr viel interessanter wurde es bei den Beiträgen von Guy Verhofstadt. Er referierte, dass die europäischen Staaten zusammengenommen einen Schuldenstand von 88% des BIP hätten – bei den USA seien es 102%, bei Japan gar 220%. Amerika und Japan zahlten aber, so Verhofstadt, die niedrigsten Zinsen überhaupt. Demzufolge zahle nicht jenes Land hohe Zinsen, das hoch verschuldet sei – sondern jenes, dem eine glaubhafte, starke Zentralregierung fehle. Der Schluss war klar: Europa braucht genau diese, damit „die Märkte“ es endlich in Frieden lassen. Verhofstadt ließ sich weiter höchst interessant über Politik aus: In ihr gehe es um Macht, und die Regierungschefs wollten diese Macht einfach nicht abgeben. Wenn man dieser zugegeben schlüssigen These folgt, wird es zumindest verständlicher, weshalb er eine Revolution fordert: Dem, der Macht nicht abgeben will, muss sie genommen werden. Doch da eben die Regierungschefs, aber auch die Nationalstaaten und ihre Gesellschaften an sich nicht verstünden, dass sie Macht abgeben müssten, bestehe die Eurokrise fort; sie sei aber keine Finanzkrise, keine Staatsschulden- oder Wirtschaftskrise – sondern eine politische Krise. Den Grund für die Notwendigkeit dieses Machttransfers benannte er auch: Die Nationalstaaten seien unfähig, die Sozialsysteme zu erhalten. Nur Europa könne dies. Doch gibt es aus dem Gesagten nur zwei Möglichkeiten, weshalb die EU dies besser könnte: Entweder, weil sie sich zu besseren Konditionen Geld leihen kann als viele Mitgliedstaaten dies können. Dann ergibt sich der Vorteil, den die EU hat, nur einer bei der Schuldenaufnahme – die ja eigentlich durch den Fiskalpakt der Vergangenheit angehören soll; oder aber, die EU kann dies besser, weil sie Geld von A nach B transferieren kann – niederländische Steuereuro für spanisches Arbeitslosengeld.
Konvent für gemeinsame Währung und U-Boote
Nach diesem tour d‘horizon erbarmte sich Cohn-Bendit, einen Vorschlag für ein konkretes Vorgehen zu machen, wie es zu der Revolution kommen könne: Bei der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament 2014 sollten nicht mehr alle Parteien nach Ländern getrennt kandidieren, sondern alle Föderalisten, alle Befürworter einer stärkeren Integration, auf einer gemeinsamen Liste in allen Ländern antreten. Sodann sollte das eroberte Parlament einen Verfassungskonvent einberufen, der über die Zukunft Europas diskutieren solle. Glücklicherweise konnte Cohn-Bendit schon ein paar Ergebnisse dieses Konvents vorwegnehmen: Der Euro wird als Einheitswährung gefestigt, eine europäische Armee wird aufgebaut („Wofür braucht Griechenland U-Boote? Um zu verhindern, dass die Türken unter der Adria hertauchen?“) und Frankreich und das Vereinigte Königreich sollten ihre ständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat an die EU abtreten.
So ein Konvent klingt ja dann doch weniger nach Straßenkampf, dem Geruch von Schwarzpulver und Revolution – eher nach Staatsstreich, aber repräsentativ-demokratisch legitimiert.
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