„Ich diene nur mir selbst und der Literatur“

(Foto: Enno Seifried)

Clemens Meyer, Autor von Als wir träumten und Im Stein, spricht über seine Heimat Leipzig, seine Studienzeit und die zwiespältige Konkurrenz unter Schriftstellern.

unique: Herr Meyer, Sie leben als berufstätiger Schriftsteller wahrscheinlich den Traum von Vielen, die schreiben. Wie war das Gefühl, den ersten Roman in den Buchhandlungen zu sehen?
Meyer: Das war im Februar 2006, da hat sich mein Leben verändert. Es ist schon etwas Besonderes, wenn es plötzlich da steht in den Bibliotheken. Ich habe ja sehr lange an Als wir träumten gearbeitet, und wenn man es dann hat, schwarz auf weiß – und selbst wenn ich es jetzt Jahre später lese und immer noch dahinter stehe – dann merke ich, dass es mir immer noch sehr wichtig ist. 2006 war schon ein Wendepunkt in meinem Leben und jetzt, 2013: Vier Bücher, das war schon ein langer Weg.

Hat sich Ihr Leben in den letzten Jahren eigentlich verändert?
In Leipzig kann ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr an allen Orten in Ruhe Kaffee trinken gehen. Allerdings bin ich Schriftsteller und kein Schauspieler, da ist man nicht permanent so medienpräsent. Aber na klar, je mehr Bücher man geschrieben hat, je mehr Aufmerksamkeit man bekommt, desto weniger Raum hat man fürs Private, das stimmt schon. Aber diese Rückzugsmöglichkeiten muss man sich einfach schaffen. Es gibt auch viele Orte, an denen man anonym sein kann.

Haben Sie in der Hinsicht je überlegt, Leipzig zu verlassen?
Nein, dafür bietet mir die Stadt zu viel. Und vor allem: Wo sollte ich denn sonst hin? Ich bin oft in Berlin – aus privaten Gründen. Aber dafür würde ich meine Zeit in Leipzig nicht aufgeben, dafür bedeutet mir die Stadt zu viel. Da nimmt man das in Kauf. In Leipzig geht das schon, was wohl auch daran liegt, dass nicht alle Leute Bücher lesen, oder die Zeitungen, in denen ich vorkomme. (lacht)

Welche Konsequenzen hatte die Nominierung zum Deutschen Buchpreis für Sie?
Im Herbst wird sowas besonders wahrgenommen. In der Öffentlichkeit und den Medien – es wird mit mehr Aufmerksamkeit betrachtet. Das ist natürlich Fluch und Segen zugleich. Durch so eine Nominierung wird ein Buch nicht schlechter oder besser, nur der Scheinwerfer wird ein bisschen gedreht. Aber man nimmt das natürlich gerne an.

Ihr Kollege Daniel Kehlmann meinte einmal, er möge das Konzept von Lesungen nicht. Wie stehen Sie dazu?
Ganz pragmatisch gesehen: Die Honorare, die man auf Lesungen bekommt, finanzieren einen nicht unwichtigen Teil des Lebensunterhalts als Autor. Kehlmann kann sich vielleicht leisten, das nicht zu machen, dabei veranstaltet er ja trotzdem Hunderte von Lesungen. Das ist natürlich nur Koketterie, die er da betreibt. Manchmal ist es wichtig, sich auch einem Publikum zu stellen. Es gibt Abende, da ist es anstrengend, es gibt Abende, die machen Spaß. Andererseits ist es auch nicht verkehrt: Man kommt rum in Deutschland. Es ist auch wichtig zu merken, dass das Buch noch frisch ist. Im Prinzip macht man ja auch nichts anderes, als dass man vorliest, was man geschrieben hat und vielleicht ein paar Fragen beantwortet. Mehr ist es doch nicht.

Inwieweit haben Sie von Ihrem Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig profitiert?
Es war wichtig, dass ich Kontakt mit anderen Schriftstellern bekam, das hatte ich vorher nicht. In diesen Jahren [1998 bis 2003, Anm. d. Red.] habe ich mich intensiv mit Literatur beschäftigt, auch meiner eigenen. Die wurde dann im Seminar besprochen. Man muss als Schriftsteller einfach die Grenzen des Monologischen durchbrechen. Dieser autarke, abgeschottete Raum existiert jedoch heute gar nicht mehr. Das Ganze barg für mich aber auch immer die Gefahr, dass sich gewisse Dynamiken entwickeln und man in Gruppenzwänge gerät. Ich habe es mit Vorsicht genossen, aber die für mich wichtigen Sachen mitgenommen.

Wie war es für Sie, bei diesen Textbesprechungen Kritik zu erhalten?
Gerade zu Anfang habe ich nicht so viele Texte eingereicht – Texte von denen ich heute sage: „Das waren Experimente oder Stilproben.“ Ich habe immer versucht, das konstruktiv zu sehen. Aber es gab auch Dinge, die ich nicht als konstruktiv betrachtet habe: von Seite eines Dozenten, einmal. Da habe ich das einfach abgehakt und mir gesagt: Soll er seine Meinung haben, ich gehe der Sache trotzdem weiter nach, statt dann auf eine andere Spur zu wechseln.

Sind Sie eigentlich ein disziplinierter Schreiber?
Wenn ich an einer Sache dran bin, dann arbeite ich jeden Tag, oder eher jede Nacht – meistens fang ich erst Mitternacht an. So war es auch bei Im Stein, da hab ich im Prinzip die letzten zwei Jahre permanent gearbeitet. Es findet dann auch kaum noch Privatleben statt. Das ist dann immer schwierig für die Leute, mit denen man zu tun hat. Bei mir müssen Bücher auch erst einmal reifen. Es ist nicht so, dass ich einfach drauf los schreibe. Ich muss viel recherchieren und danach muss ich die Ideen erst noch einmal überdenken. Aber das gehört für mich alles schon zum Schaffensprozess dazu. Wenn es dann endlich soweit ist, verbeiße ich mich total, obwohl ich dann auch immer ein paar Tage Pause brauche. Ob das diszipliniert ist, weiß ich nicht. Zumindest sehr akribisch.

Wofür oder für wen schreiben Sie?
So dumm das klingt: Man muss sich erst mal selbst genügen. Ich bin mein erster Leser. Ich hab Im Stein oder Als wir träumten geschrieben, weil es mich selbst begeistern würde, das zu lesen. Und ich versuche auch der Kunst und Literatur Genüge zu tun – mich einzureihen in den großen Kanon von Kollegen und Seelenverwandten; Schriftstellern, deren Bücher ich sehr bewundere. In diese Reihe möchte ich mich stellen. Wenn es dann noch erfolgreich ist: umso besser. An das Publikum versucht man dabei erst einmal nicht zu denken, sonst hätte ich z.B. Im Stein auch eingängiger und einfacher geschrieben. Ich diene nur, so blöd wie das klingt, mir selbst und der Literatur. Ich beschäftige mich ja permanent mit Literatur und versuche dann, mein eigenes Werk dort einzureihen.

Sie sprachen gerade von großen Kollegen, mit denen Sie sich in eine Reihe stellen wollen, erwähnen in Interviews auch immer wieder Hemingway als Inspiration. Wie viel lernt man dabei von „schlechter Literatur“, also von Kollegen oder Werken, die einem in ihrer Machart eigentlich widerstreben?
Schwer zu sagen. Vor allem, weil ich die Sachen, die mich nicht interessieren, gar nicht lese oder zumindest nicht zu Ende lese. Ich schaue meistens nur auf mich. Es gibt sicher manche Sachen in der Gegenwartsliteratur, die mich nicht interessieren, etwa die letzten Büchner-Preisträgerinnen. Die machen halt ihres. Ich schaue lieber auf die Vorbilder. Negativvorbilder, das ist mir zu destruktiv. Ich umgebe mich lieber mit meinen Freunden als mit… „Feinde“ will ich nicht sagen, die gibt’s nicht.

Thema Freunde: Ist man in der deutschen Schriftstellerszene eigentlich miteinander befreundet oder sind das für Sie Konkurrenten?
Die Meisten sind für mich irgendwo schon Konkurrenten, muss ich zugeben. Aber es gibt eine Handvoll, mit denen ich auch befreundet bin. Zum Beispiel so jemand wie Zaimoglu [Feridun Zaimoglu, Anm. d. Red.] kann ich immer treffen und ein Bier trinken, auch wenn ich seine letzten Bücher nicht gelesen habe.

Weiß er das?
Weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass er meine letzten Bücher gelesen hat. Man hat so viel mit sich selbst zu tun, dass man das eh nicht schafft. Es gibt Kollegen, mit denen kann man sich einfach jenseits der Literatur treffen. Man schwatzt dann auch über Literatur, aber nicht über seine eigene. Es gibt vielleicht noch zwei, drei Schriftsteller, mit denen ich befreundet bin. Ansonsten sind das Kollegen, manchmal Konkurrenten – bei denen ich mir auch sage, obwohl das Quatsch ist und man das nicht soll: „Die nehmen mir mein Geld weg. Sie stehlen mir meinen Ruhm, meine Preise.“ Aber das ist auch immer ein bisschen Unfug, den ich für mich betreibe. Sie versuchen alle, über Wasser zu bleiben und machen ihr Zeug. Man darf sich da nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Herr Meyer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Robert.

Clemens Meyer wurde 1977 in Halle geboren, wuchs allerdings im industriell geprägten Leipziger Osten auf. Eben dort spielt sein 2006 erschienener Debütroman Als wir träumten, der mit zahlreichen Preisen bedacht wurde; derzeit wird der Stoff von Andreas Dresen verfilmt.

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