Mit dem Konzert des spät erweckten Urgesteins ruft die Kulturarena für einen Abend lang die Erinnerung an die großen, glamourösen Zeiten des amerikanische Funk und Soul wach.
von Babs und Caro
Harlem, New York, in den frühen 60er Jahren: Im legendären Apollo Theater gibt Mr. James Brown ein Konzert, das das Leben des jungen Charles Bradley, der damals die meiste Zeit auf den Straßen Brooklyns zubringt, nachhaltig verändern wird. Es ist dies der Erweckungsmythos des Künstlers Bradley, dem selbsternannten „Screaming Eagle of Soul“. Tief beeindruckt von Browns körperlicher und stimmlicher Bühnenpräsenz, beginnt Bradley ihn zu imitieren – und einen Job als Koch, der dem Leben auf der Straße ein Ende macht. Erst dreißig Jahre später wird er vom Produzenten Gabriel Roth entdeckt. 2011 erscheint sein erstes Album No Time for Dreaming, eine Reinkarnation des Funky Soul und die Erzählung eines bewegten Lebens.
Jena, an der Saale, zur Kulturarena 2012: An einem lauen Sommerabend des 1. August sammeln sich pünktlich um 20 Uhr Menschenmengen auf – vor allem aber vor – dem Theatervorplatz, um Charles Bradley zu lauschen. Den Anfang macht seine sechsköpfige Band: The Extraordinaires geben mit einer Mischung aus Jazz und Soul den funky Ton des Abends vor. Als „Original Black Swan“ angekündigt, betritt Bradley bald darauf die Bühne, in einem abenteuerlichen Outfit, das, weiß und mit Pailletten, seit den siebzigern nicht mehr außerhalb von Night Fever gesehen wurde, und einem ebenso abenteuerlichen Hüftschwung. Angeführt vom namensgebenden Song der Platte „No Time for Dreaming“ folgen knapp dreißig Minuten, in denen der 63-Jährige sich die Seele aus dem Leib singt und tanzt, u.a. zum Erfolgstitel „The World (Is Going Up in Flames)“. In einer kurzen Pause ereignet sich dann der wohl erste Kostümwechsel der diesjährigen Kulturarena – die Frankenstein-Inszenierung mal ausgenommen. Bei seiner Rückkehr zieren die emblematischen Adlerflügel, groß und glitzernd, den Rücken seines weißen Jäckchens. Noch einmal setzt er alle Kraft, Mimik und Gestik in Songs, die von Liebe, Leidenschaft und der Suche danach handeln, darunter eine Interpretation des Klassikers „Heart of Gold“ von Neil Young. Dabei wird Charles Bradley nicht müde, zu betonen, wie sehr er jeden einzelnen der Besucher seines Konzerts liebe. Während des letzten Stückes, „Why Is It So Hard“, das wie wohl kaum ein anderes seinen eigenen Weg von Brooklyn auf die Bühnen der Welt reflektiert, steigt er von der Bühne zum ausführlichen Händeschütteln mit den Fans in den ersten Reihen.
Eine Zugabe wird dem Publikum schließlich noch gewährt. Immer wieder beugt sich Bradley ergeben nach vorn, sieht zum Himmel, spricht und singt von seiner „second chance“ und dem so dringend nötigen „change“ in dieser Welt, bis er zwischen den Takten des wirklich letzten Songs des Abends zu einer Predigt über Liebe und den Schöpfer ansetzt. Es wird religiös – doch musikalisch derartig graziös verpackt und an den Ursprung dieser Musik im Gospel erinnernd, scheint das nur logisch. Dann endet der Auftritt leider sehr abrupt. Wenige Minuten nach dem letzten Ton setzt die Musik vom Band wieder ein, und die Bühne wird abgebaut. So folgt auf ein Konzert der großen Gefühle, der großen Geschichten vom American Dream, die zu hören man schon nicht mehr gewohnt ist, schnell die entsprechend nüchterne Jenaer Nacht.
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