von fabik
Bier saufende Männer, die Lobeshymnen aufs „Heilige Deutsche Reich“ singen. Mit Säbeln und Federn beschmückte Narbengesichter, die antiquierten Ritualen frönen und über die entscheidende Frage debattieren: Kaiserreich oder Nationalsozialismus. Jenas umstrittenste Burschenschaft feierte Geburtstag und ließ dabei kaum ein Klischee aus.
Die deutsche Souveränität müsse wiederhergestellt werden – sowohl territorial als auch politisch. So stößt es aus einem extra aus der Lüneburger Heide angereisten und etwas eingeschüchterten Jungburschenschaftler (Fux) heraus. Der Überfremdung des deutschen Volkes könne man eben nur nationalsozial entgegenwirken, sagt er und nippt hektisch an seinem Glas.
Und nein, den Holocaust leugne er keinesfalls, er habe einfach nur etwas dagegen, wenn Geschichte als unwiderlegbar gelte. Es ist das zehnjährige Jubiläum der Burschenschaft „Normannia zu Jena“, und wäre sie eine politische Partei, würde man den jungen Fux wahrscheinlich zum linksprogressiven Flügel zählen. Einer der Alten Herren wird später am Abend sagen, als Nationalsozialist gehöre er zum „linken Pack“ der Burschenschaft. Aber die Normannia sei eben ein Hort der politischen Freiheit, deshalb müsse man auch solche Leute dulden.
Kindergeburtstage statt Volksk(r)ampf
Knapp 40 Bundesbrüder und drei Bundesschwestern fanden sich am 28. Februar zusammen, um deutsche Volks- und Studentenlieder zu singen, Männerfreundschaften mit dem Durchstoßen von Mützen zu festigen, NS-Kriegsverbrechern zu gedenken und den Frust über den Zusammenbruch des Deutschen Reiches in Unmengen Bier zu ertränken. Nicht viele sind es, die in diesem Jahr den Weg in den Festsaal des „Schwarzen Bären“ gefunden haben. Kindergeburtstage, der weite Anfahrtsweg – zu kurzfristig sei es gewesen. Nur ein paar Vertreter der vom Verfassungsschutz beobachteten „Teutonia Prag zu Regensburg“ und „Frankonia Erlangen“ sowie die „Germania Hamburg“, die einst den britischen Holocaustleugner David Irving als Redner eingeladen hatte, sind mit wenigen Vertretern angereist und teilen bereitwillig das gemeinsame Isolationsschicksal. Der Kampf gegen die eigene Ausgrenzung und die Zurschaustellung der elitären Bollwerkhaftigkeit, die beharrlich dem Zeitgeist trotzen möchte und es doch nicht einmal schafft, die eigene Bedeutungslosigkeit zu kaschieren, werden zu den Mantras des Abends, werden zum K(r)ampf um die Bewahrung des eigenen Opfermythos’. „Trotz ihrer 160-jährigen Tradition sind die anderen nichts“, bringt einer der angereisten Bundesbrüder das Selbstverständnis der ausgegrenzten und verstoßenen Elite auf den Punkt. So ausgegrenzt, dass in diesem Jahr nicht einmal die sonst üblichen Demonstranten auf dem Hotelvorplatz erschienen.
„Heil dem deutschen Reich!“ ersetzt das obligatorische „Helau!“
„Weil wir aufstehen fürs Vaterland“, ereifert sich einer der Redner, „ernten wir Ablehnungen, werden als Ewiggestrige, Revanchisten und Rechtsextremisten beschimpft!“ Mit seinem Einstecktuch wischt er sich den Schweiß von der Stirn. „Trotzdem“, so fügt ein Bundesbruder mit Heinrich-Himmler-Frisur hinzu, „werden wir mit deutscher Standhaftigkeit gegen alle Widerstände bestehen.“ Zwischen all den kunstvoll dekorierten Säbeln, bunten Schärpen und mit Federn geschmückten Hüten erinnert die Atmosphäre eher an eine dörfliche Karnevalsveranstaltung als an das Jubiläum einer Verbindung, deren Selbstverständnis trotz zelebrierten Klamauks doch ein politisches ist und die sich in einer Tradition mit den Wegbereitern der deutschen Demokratie sieht. Ja, Burschenschaft, das bedeute eben auch, die eigene Lebensfreude und Lebenseinstellung zu feiern, bekräftigt einer der Alten Herren vehement. Nur die Inhalte der Büttenreden unterscheiden sich dann doch etwas. Es geht um die Einheit des deutschen Vaterlandes. Darum, dass man aufstehen müsse, um für Pommern und Mähren zu kämpfen. Es gehe um den Erhalt deutscher Kultur in Böhmen und Schlesien und immer wieder darum, dass die anderen Burschenschaften eben kein Wort über die „deutschen Gebiete“ östlich der Oder-Neiße-Linie verlören, bis abschließend sogar das „Heil dem deutschen Reich! Heil Normannia!“ das obligatorische „Helau!“ ersetzt. „3,5 Millionen Deutsche“, so setzt der Hauptredner an, „wurden in einen fremden Staat gezwungen, als das tschechische Militär ins Sudetenland einmarschierte und auf deutsche Demonstranten, die friedlich ihren Protest äußerten, schoss“ – so fasst er die Geschichte des Sudetenlandes unter Auslassung einiger Jahre und Millionen Toter zusammen. Welcher deutsche „Friedensstifter“ mit seiner „humanitären Intervention“ dem Morden ein Ende setzte, ergibt sich dann schon fast von allein.
Aus Treue zum Deutschen Reich und zu deutscher Braukunst
Nein, die Normannia sei kein Verein von Säufern, die Ausländer diskriminieren, bekräftigt der nächste Redner. Stattdessen stünden Burschenschaften für Meinungs- und Pressefreiheit, und deshalb sei man auch gern bereit, „irgendwen von der PDS“ hier reden zu lassen, rechtfertig sich einer anderer. Gesprochen habe freilich noch kein Linker, dafür fehle einfach die Zeit. Bei anderen Burschenschaften habe es so etwas aber wohl schon gegeben, sagt er und stimmt ein in „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu …“ – auch bekannt als „Treuelied“ der SS. Gesungen wird viel an diesem Abend: über die Schmach des Vaterlandes, über verblichenen Glanz und einstige Siege, die Tugenden des Heiligen Deutschen Reichs, über Treue bis zum Grab. Darüber, dass man nicht als „Knecht“ in „Gram und Schmach“ sterben, nicht „im Bußgewand“ betteln werde fürs Heilige Deutsche Vaterland – selbst wenn der eine oder andere aufgrund des gehobenen Alkoholspiegels kaum noch den Text erkennen oder sich der passenden Melodie erinnern kann.
Kriegsverbrecher-Gedenken und Pinkelverbot
Nach knapp drei Stunden bierseliger Heiterkeit, die verbissen gegen das geschichtsverklärende Selbstmitleid ankämpft, ist das Gesangsbuch fast ausgesungen. Redner Nummer fünf wird völlig besoffen nach zwei Sätzen zum Abbruch seiner Rede aufgefordert und macht Platz für eine der wenigen Bundesschwestern, die sich ein letztes Mal an die aufgrund des Pinkelverbotes langsam auf ihren Stühlen unruhig hin- und herrutschenden Zuhörer wendet und zur Unterzeichnung eines Solidaritätsbriefes an „unseren letzten politischen Gefangenen“ aufruft. Gemeint ist Erich Priebke, „ein Mann mit Tatkraft, an dem wir uns ein Beispiel nehmen müssen“, fügt der Pianist und Moderator hinzu. Ob er mit dieser Tatkraft die Mitwirkung an der Erschießung von 335 Italienern durch das SS- und Gestapomitglied meint, lässt er freilich offen.
Mit allen drei Strophen des Deutschlandliedes und einem letzten „Heil Deutschland! Heil Normannia!“ endet schließlich das Stiftungsfest. Die Würdenträger marschieren betont stolz aus dem Saal, scheitern aber mit ihren erhobenen Säbeln am zu niedrig bemessenen Türrahmen. Und auch die Alten Herren scheinen froh, die Beschwörung des kollektiven deutschen Volkswillens durch einen kollektiven Besuch der Toilette ersetzen zu können. So leert sich der kaum gefüllte Festsaal des „Schwarzen Bären“ in Windeseile und man verabredet sich dazu, auch im nächsten Jahr wieder bei Bier und Büttenreden fürs Deutsche Reich zu kämpfen.
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