Auch wenn die Region Kurdistan-Irak als der friedlichste Teil des Landes gilt, hat man hier die Bürgerkriege der letzten Jahrzehnte nicht vergessen. Nun versuchen Iraker aus allen Teilen des Landes gemeinsam Brecht zu inszenieren und zeigen, wie Theater helfen kann (Sprach-)Grenzen zu überwinden.
von Nora Haakh
Prolog: Erbil, November 2009:
Rund ein Dutzend deutsche, kurdische und arabische Theatermacher hat das Goethe-Institut in die nordirakische Stadt eingeladen. Innerhalb eines Monats sollen Szenen von Brecht unter dem Namen „Zehn Geschichten über den Krieg“ auf die Bühne gebracht werden.
Künstlerischer Leiter ist der deutsche Regisseur Kai Tuchmann, inszeniert wird jedoch im Wechsel mit zehn irakischen Theatermachern, das heißt: neue Szene, neuer Regisseur. Als Schlüsselfigur stellt sich schon zu Beginn der Projektübersetzer Ihsan Othman heraus – ein in Berlin ansässiger irakischer Regisseur und Schauspieler. Erst seine Kontakte ermöglichen es, die erhoffte bunt gemischte Gruppe zusammenzuführen: Kurden und Araber, Frauen und Männer, Sunniten, Schiiten, Christen, Regisseure mit langjähriger Erfahrung ebenso wie junge Schauspielstudenten. So spiegeln sich auch in der Theatergruppe die Unterschiede wieder, die den heutigen Irak entlang politischer, ethnischer, religiöser und regionaler Grenzen zu zerreißen drohen.
Akt 1: Muss man hier etwa alles dreimal sagen?
Beim ersten Treffen des frisch gebackenen Ensembles in einem Erbiler Café wird klar: Die Übersetzungsarbeit wird auch noch während der Proben im Mittelpunkt stehen. Die Kurden sprechen verschiedene Dialekte, verstehen sich deshalb teilweise nur schwer; die jüngere kurdische Generation hat in der Schule kein Arabisch mehr gelernt, während die Araber aus Bagdad natürlich kein Kurdisch können. Der Übersetzer wird deshalb die zentrale Figur des Projekts, seine Rolle oszilliert irgendwo zwischen Diplomat, Zauberkünstler und eigentlichem Entscheidungsträger.
Muss man hier etwa alles dreimal sagen? Ja. Wenn diskutiert, etwas besprochen oder angewiesen wird, muss das auf Deutsch, Arabisch und Kurdisch verstanden werden. In der Hektik schwirrt Ihsan da schon mal der Kopf und die ein oder andere Nachfrage bleibt unbeachtet. Kaval zum Beispiel, die im Iran aufgewachsen ist, einen ausgefallenen kurdischen Dialekt und gar kein Arabisch spricht, hört dann oft auf die Übersetzung einzufordern. Zum Glück funktioniert die Zusammenarbeit mit den professionellen Theatermachern aus Bagdad trotzdem – Routine in der Arbeitsweise und geteilte Theaterleidenschaft füllen die Lücken des Vokabulars.
Akt 2: Soll die Heldin wirklich „Ich“ heißen?
Der Großteil von Brechts Werken ist ins Arabische übersetzt worden, allerdings liegt nur die Hälfte der Texte auf Kurdisch vor. In dem Stück soll jeder Schauspieler seine Sprache sprechen. Also muss vor Probenbeginn jede Zeile verglichen und im Zweifelsfall ad hoc neu übersetzt werden. Blieb in der wörtlichen Übersetzung der Sinn erhalten? Wurden sexuelle oder politisch kontroverse Anspielungen gestrichen? Schließlich sind manchen Versionen ganze Szenen oder Figuren abhanden gekommen. Welche Kriterien lege ich an, wenn ich frage, wie und inwieweit Brecht „arabisiert“ werden muss? Kann man davon ausgehen, dass die ausgewählten Situationen aus dem Themenfeld von Krieg und Besatzung universell verständlich sind? Wann ist es sinnvoll, eine wörtliche Übersetzung beizubehalten, wann, sie zugunsten lokaler Bilder zu variieren?
„Warum uns selber zerfleischen, Kuriatier?
Wieder ist ein Winter vergangen,
und immer noch tobt in unseren Mauern
der schlimme Kampf um den Landbesitz
und den Besitz der Erzgruben.“(aus: Bertolt Brecht – Die Horatier und die Kuriatier)
Soll die Protagonistin von „Trommeln in der Nacht“ weiterhin „Anna“ heißen, was irritierenderweise wie das arabische Wort für „ich“ klingt? Soll das damalige Arme-Leute-Essen Bismarckhering wirklich als „samak al-bismark“ (Bismarckfisch) bestehen bleiben oder ist es besser, an dieser Stelle von Bohnen bzw. Reis zu sprechen? Nimmt man an, dass sich die Bedeutung aus dem Zusammenhang ergibt, kann der deutsche Begriff stehen bleiben. So gemahnt der „fremde“ Ursprung des Textes den Zuschauer erst recht an die Universalität der Situation. Aber wo ist die Grenze der Unverständlichkeit, der Unübersetzbarkeit?
Akt 3: Ich hänge nicht mehr meinem Vater über der Schulter
In einer Szene im „Kaukasischen Kreidekreis“ treffen sich Simon und Grusche nach Kriegsende wieder. Irgendwie hapert es mit dieser Szene, weder Regisseur noch Schauspieler scheinen sie so richtig zu verstehen. „Was meine ich denn, wenn ich sage ‚Ich heiße auch nicht mehr wie ich geheißen habe’?“, fragt schließlich die Darstellerin der Grusche. Dass sie damit erklärt, nun verheiratet zu sein, kann sie nicht wissen, denn im Kurdischen und Arabischen setzt sich der Name einer Frau aus ihrem Vornamen und dem ihres Vaters zusammen. Auch durch eine Heirat ändert er sich nicht. Nach lebhafter Erklärung und Beratung findet sich eine kurdische Redensart, die sich wörtlich etwa als „Ich hänge nicht mehr meinem Vater über der Schulter“ übersetzen ließe. Das Publikum schmunzelt erwartungsgemäß, als das Stück dann Ende November in Erbil und Suleymania aufgeführt wird. Manchmal „kurdisieren“ die Schauspieler auch spontan während der Aufführung. Vielleicht aus Angst vor den verständnislosen Blicken?
Nach einem Monat intensiver Zusammenarbeit haben alle viel gelernt: Über Möglichkeiten freier Inszenierung, über Grenzen und Chancen der Zusammenarbeit von Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven. Das Ensemble hat in erstaunlich gleichberechtigtem Miteinander starke Bilder gefunden, die das Publikum bewegten. Kaval hat angefangen, auf Arabisch zu radebrechen und eine Schauspielstudentin verabschiedet sich vor ihrem Rückflug nach Bagdad auf Kurdisch.
Epilog: Berlin 2010
Nach den Vorstellungen im Irak soll das Stück schließlich auch in der Berliner „Werkstatt der Kulturen“ aufgeführt werden – ohne Untertitel und Übersetzung, weil die Gruppe die Zuschauer am Spiel mit dem Unverständnis teilhaben lassen möchte. Doch dann stoppt ein Vulkanausbruch das Ensemble in Istanbul und die Aufführung muss verschoben werden.
Nora Haakh studiert Islamwissenschaft in Berlin und war Produktionsleiterin des Projektes. Sie assistierte zuvor u.a. bei der deutsch-isralisch-palästinensischen Koproduktion „Dritte Generation“ an der Schaubühne am Lehniner Platz und betreute Produktionen am Postmigrantischen Theater im Ballhaus Naunynstraße
Weiterführende Links
– Informationen zum Projekt und allen Beteiligten
– Der Dialogpunkt Deutsch in Erbil
>> Informationen zum neuen Aufführungstermin demnächst hier!
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