Gespenster der Gesellschaft

Markus Döhne: Green Screens, Refugee Series. 1999–2008, #40 – Four Men Walking, 2003, Detail. 124 x 298 x 8 cm. Stahl, Polyester und Photoemulsion (Foto: © 2013 Markus Döhne / VG BildKunst, Bonn)
Markus Döhne: Green Screens, Refugee Series. 1999–2008, #40 – Four Men Walking, 2003, Detail. 124 x 298 x 8 cm. Stahl, Polyester und Photoemulsion (Foto: © 2013 Markus Döhne / VG BildKunst, Bonn)

Die Kunstausstellung Brandschutz — Mentalitäten der Intoleranz zeigt die Werkreihe Green Screens, Refugee Series des Künstlers Markus Döhne. Flucht und Überwachung werden hier in ihrer ganzen Symbolik deutlich.

von Martin

Kaum ein anderes soziales Phänomen steht für so viele unterschiedliche gesellschaftliche Probleme wie das der Flucht: Ob politische Herrschafts- oder Staatsstrukturen zusammenbrechen, die soziale und wirtschaftliche Sicherheit in globalen Krisen auflöst oder ob rivalisierende Gruppen um die Macht in einem Staat streiten, stets sind viele Menschen betroffen und leidtragend. Um zu überleben, müssen sie ihre Heimat verlassen, ihren Status als Bürger aufgeben und werden so zu Flüchtlingen. Sie gehören, wie es der polnische Soziologe Zygmunt Bauman beschreibt, zu einer ständig wachsenden Gruppe von sozial Ausgestoßenen, deren Lebensraum einem Vakuum gleicht, in dem sie überwacht, kontrolliert und getrennt vom gesellschaftlichen Raum leben müssen. Die Kunstausstellung Brandschutz – Mentalitäten der Intoleranz, die seit September in Jena zu sehen ist, nimmt sich des Themas an.

Ästhetik des Wärmebildes
Im Rahmen der Ausstellung zeigt der Kölner Künstler Markus Döhne seine Werkreihe Green Screens, Refugee Series, die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzt und die soziale Symbolik dieses Phänomens auf eindrucksvolle Weise sichtbar macht. In der ab 1999 entstandenen und rund 70 Arbeiten umfassenden Werkreihe verwendet er Wärmebildaufnahmen von Flüchtlingen, die unter anderem vom Bundesgrenzschutz aufgenommen wurden und zeigen, wie die Menschen versuchen, die deutsche Grenze zu überschreiten. Daneben verwendet Döhne aber auch historische Aufnahmen von Flüchtenden, etwa aus dem spanischen Bürgerkrieg. Das Hauptmerkmal dieser thermografischen Bilder ist, dass nicht die Person fotografiert wird; jegliche individuellen Merkmale gehen verloren und es bleibt nur die Kontur eines Menschen übrig. Genau dieses Element nutzt der Künstler für die Herstellung seiner Werke. Einzelne Standbilder der Filme werden fotografiert und mithilfe von Fotoemulsion auf große Siebdruckplatten projiziert. Diese Platten bilden dann das Foto in den für die Werke typischen gelben und grünen Farben ab.

Überwachen und Betrachten
Dadurch wird das Wärmebild zum sozialen Spiegelbild des Flüchtlings, das ihn mehr als Gespenst denn als Mensch zeigt. Seines geografischen Lebensraums und sozialen Status beraubt, wird der Flüchtling gleichermaßen zu einem Ausgestoßenen und damit Unsichtbaren, der nur von den Wärmebildkameras der Grenzposten erkannt wird. Das Publikum nimmt die Position des Überwachers ein. Durch die leuchtende Wirkung der Fotoemulsion gewinnt der Betrachter zugleich den Eindruck, einen Bildschirm zu sehen, mit dem er, wie es Susan Sontag nannte „das Leiden anderer betrachtet“. Die Kontur des Wärmebildes wird zum Symbol eines Menschen, der – reduziert auf seine biologische Existenz – nicht nur geografische Grenzen überschreitet, sondern auch einen Weg zurück in den sozialen Raum sucht.
Durch die bloße Darstellung der Flüchtenden in vermeintlich unspektakulären Situationen gelingt es Döhne, das Thema weder dramatisierend noch belehrend zu verarbeiten. Das negativ besetzte Ausgangsmaterial wird im Bearbeitungsprozess ästhetisch bewältigt und dem Betrachter in seiner ganzen Symbolik zugänglich gemacht. Hier wird auch der enge Bezug zum Konzept der Brandschutz-Ausstellung deutlich: Statt mit dem Zeigefinger auf gesellschaftliche Probleme zu deuten, vermittelt die Kunst zwischen dem Anspruch, Intoleranz in Frage zu stellen und dem ästhetischen Erleben der Exponate. Dem Betrachter steht es dabei offen, seine eigenen Denkmuster und Sichtweisen zu hinterfragen.

Die Werkreihe Green Screens, Refugee Series ist noch bis zum 17.11.2013 in der Stadtkirche Jena zu sehen.

Künstler Markus Döhne im Gespräch: „Grenzen sind nichts Starres“

 

unique: Was war der Auslöser dafür, dass Sie sich mit der Flüchtlingsthematik beschäftigen?
Döhne: Im Herbst 1998 sah ich durch Zufall einen Bericht über Flüchtlinge an der deutsch-polnischen Grenze. Es war Wärmebildmaterial der deutschen Grenzüberwachung. Durch die Oder schwammen nachts Menschen, aber die Nacht bot ihnen keinen Schutz, durch die eigene Körperwärme wurden sie verraten, herausgefischt, verhaftet und direkt wieder abgeschoben. In dieser Zeit sind etliche der Flüchtlinge beim Versuch, durch den Grenzfluß zu schwimmen, ertrunken. Dieses Bild hat mich nicht losgelassen. Da ich nur mit authentischem Material arbeite, habe ich beim Bundesgrenzschutz angefragt, ob sie mir Originalmaterial der Grenzüberwachung zur Verfügung stellen. Dieses Material stammte von der tschechisch-bayrischen Grenze. Dieses aktuelle Material konfrontierte ich mit historischem. Konkret mit Bildern republikanischer Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Frankreich am Ende des Spanischen Bürgerkrieges. Diese narrative Klammer taucht auch hier in Jena wieder auf. Im Laufe der neun Jahre, in denen die Werkgruppe der Refugee Series entstand, kam weiteres Material von anderen Grenzen und Fluchten hinzu, sei es aus Printmedien, aus diversen Archiven oder dem Film der Guardia Civil, der eine Massenflucht von Marokko in die spanische Enklave Ceuta 2005 dokumentiert.

Beim Betrachten der Werke werden zwei verschiedene Bedeutungsebenen sichtbar, da ist einmal dieses ästhetische Erleben und daneben steht aber ganz klar auch die politische Dimension. Wie verhalten sich die beiden Ebenen zueinander?
Bei unserer Grenze war es zum Beispiel so, dass wir sie nach der Wiedervereinigung dicht gemacht, sie einfach weiter nach Osten verschoben haben. Später dann erschufen wir die „sicheren Drittstaaten“. Grenzen sind nichts Starres, sondern verschieben sich bei historischen Prozessen. Das ist das politische Element darin. Dies ist deckungsgleich mit dem Ästhetischen.

Was symbolisiert der Flüchtling in dieser Werkreihe?
Was symbolisiert der Flüchtling? Das sind Menschen, die sich fortbewegen müssen, obwohl sie das gar nicht wollen, aus welchen Gründen auch immer. Es geht keiner freiwillig und nimmt Reisen auf sich, die schlimmstenfalls mit dem Tode enden.

Spielt die Unerwünschtheit der Flüchtlinge eine Rolle?
Ja klar! Das Interessante ist halt, dass früher alle „rüber“ konnten und mit offenen Armen empfangen wurden – und jetzt drehen wir den Spieß um. Wenn man es ganz böse sagen will, ertrinken heutzutage jährlich mehr Menschen im Mittelmeer, als je durch die deutsche Teilung an der innerdeutschen Grenze zu Tode kamen. Das war auch ein Grund, mit dieser Serie anzufangen.

Herr Döhne, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Martin.

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