Auf leisen Sohlen – Von der Kunst, ohne Worte zu sprechen.

von Stine

Bild: www.selme.de

Es ist ein eher ungewöhnlicher Beruf, den Harald Seime ausführt. Er ist Pantomime. Auf die Frage, wie er dazu kam, diesen gar seltenen Beruf zu auszuüben, stellt sich heraus, dass er ihn weder gewählt hat, noch von ihm gefunden wurde, sondern schlichtweg von Klein auf mit voller Leidenschaft diese Berufung ausgeführt hat. Bereits im Kindesalter habe er Tiere imitiert und zu Schulzeiten waren es vor allem die Lehrer, die seinem scharfsinnig analysierendem Auge zum „Opfer“ fielen – selbstverständlich sehr zur Freude seiner Klassenkameraden.

Ausschlaggebend war jedoch genaugenommen das Kino: Im damals üblichen Vorfilm sah er erstmals Marcel Marceau, einer der bekanntesten Pantomimen weltweit, ein unsichtbares Tau ziehen oder gegen den Wind gehen. Dessen Ausdruckskraft und fesselnde Darstellung von geistigen Bildern inspirierten Herrn Seime, selbst fokussierter zu üben. Zu dieser Zeit war er Student der Körper- und Musikerziehung in Jena und gründete alsbald mit Freunden das Pantomime-Studio an der FSU Jena. Seinen Lehrerberuf übte er schließlich nur zwei Jahre in seiner Geburtstadt Stadtroda aus, ehe er zurück nach Jena ging, um dort Hochschulsport zu unterrichten, sowie die mimische Kunst zu praktizieren. Letzteres bald mit großem nationalem und internationalem Erfolg.

Dabei den Spagat zu schaffen, beide Berufe parallel zueinander auszuüben, war nicht immer leicht und erforderte großes Organisations- und Koordinationstalent Harald Seimes. Zwei Eigenschaften übrigens, die ein Pantomime unbedingt zu den seinen zählen sollte, da jede Bewegung punktgenau sitzen muss, damit die Pointe überhaupt wirken kann. Ferner muss ein Pantomime flexibel sein; denn um die spezifische Rolle und das jeweilige Thema überzeugend verkörpern zu können, bedarf es neben Konzentration und Einfühlungsvermögen grundsätzlich auch der Bereitschaft, sich auf jenen Charakter vollkommen einzulassen. Jahrgang 1936, mehrfacher Vater und Großvater, deutet jedoch nichts darauf hin, dass Harald Seime seine Mimentätigkeit in Zukunft beenden wird. „Pantomimen altern nicht.“, meint er.

So mag zwar der Künstler an Jahren dazu gewinnen, aber seine Ausdruckskraft, sein Körpergefühl und seine Vorstellungskraft ebenso. Die Bewegungen werden „ökonomischer“ insofern sie – selbst minimiert – maximale Darstellungskraft erlangen. Und das stimmt. Binnen Sekunden ist Herr Seime in einer Rolle und verkörpert diese vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Dass er Autodidakt ist vermutet man dabei nicht. Persönlich sieht sich Herr Seime als satirisch-kritischen Darsteller, der die Oberfläche von Dingen durchdringt, sie verarbeitet und dem Publikum schließlich das Unsichtbare sichtbar macht. Den Schritt, dieses neu Sichtbare zu interpretieren, obliegt dann wiederum dem Publikum, dessen Aktivität und Kreativität gefragt ist, um beispielsweise eine Leiter als Karriereleiter zu entlarven. Die Wirkung jeder präsentierten Situation, jedes – zumeist hoch philosophischen – Themas ist dabei stets abhängig von Kontext und Publikum. So vollziehen die Zuschauer einen permanenten Abgleich des Wechselspiels von Realität und Phantasiewelt.

Auch steht und fällt eine Aufführung mit der Bereitschaft des Publikums, sich auf den Mimen einzustellen, deshalb Harald Seime Kinder im Publikum sehr schätzt, da ihre Aufmerksamkeit zwar nicht langfristig gehalten werden kann, sie aber ungehemmt reagieren und somit als wunderbare„Katalysatoren“ unter Erwachsenen wirken. Generell ist die Aufmerksamkeit zu erlangen und zu halten die wahre Herausforderung eines Pantomimen. Dies gelinge, Herrn Seimes Erfahrungen zufolge, am Besten, indem man stets die Möglichkeit offen lässt, spontan zu reagieren. Zum Beispiel wenn ein Handy klingelt, an dieses virtuell heran zu gehen. Wenngleich der Pantomime stets mit der Realität spielt, ist er dennoch unzweifelhaft ein Darsteller außerhalb der Realität und spielt in gleichem Maße mit der Surrealität. Und da die Kunst des Mimen auf dem Prinzip der Verfremdung beruht, würde die Darstellung von Realität schlichtweg scheitern, ebenso, wie das Dargestellte in der Realität unmöglich wäre. So kann beispielsweise aus dem Fall von einer Leiter ein Davonfliegen werden.

Wer neugierig ist und sich in die Welt der lautlosen Mimen entführen lassen möchte, hat übrigens beim Gartenfest der FSU am 26.06.08 zwischen 19 und 24 Uhr Gelegenheit dazu. Denn dann wird ein Teil der momentanen Hochschulsportgruppe „Pantomime und Körpersprache“, die Harald Seime bis heute mit vollster Faszination an der stummen Kunst leitet, an verschiedenen Stationen zu bestaunen sein. Der Pantomime Seime selbst tritt in einem Soloprogramm im Botanischen Garten auf.

Auf der Homepage www.seime.de können Interessierte ebenfalls stöbern.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert