Über die Verbindung von Rosen, romantischer Liebe und Anthropozän schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
von Thomas Honegger
Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.‘ (Romeo & Juliet II.2). Julias sprachphilosophische Überlegungen im zweiten Akt von Shakespeares Stück haben durchaus ihre Richtigkeit – allerdings nur für Wörter, die sich auf einen konkret existierenden Gegenstand oder ein Lebewesen beziehen und die ein von der Sprache unabhängiges Dasein haben. Einer Rose kann es tatsächlich egal sein, mit welchem Wort sie bezeichnet wird. Dies verhält sich bei abstrakteren und komplexeren Entitäten, wie zum Beispiel Nationalstaaten, anders. Für sie ist die ‚Namensgebung‘ oftmals seins- bzw. wesenskonstituierend, denn politische Grenzen sind in den allermeisten Fällen nicht ohne weiteres sichtbar. So hat ein kulturell-geographisch vielfältiges Land wie die Schweiz eine geringere realweltliche Grundlage für seine Existenz, als das in vieler Hinsicht klarer definierte Island. Die Schweiz existiert, aber sie existiert vor allem dank der Tatsache, dass der Begriff ‚Schweiz‘ von einer Bevölkerung getragen und mit Leben gefüllt wird. Vollends ungreifbar werden Konzepte wie ‚Zeit‘ oder ‚romantische Liebe‘. Wir glauben zwar alle zu wissen, um was es sich bei diesen Phänomenen handelt, aber gerade die ‚romantische Liebe‘ ist etwas, das sich nicht objektiv erfassen lässt. Bereits im 17. Jahrhundert hat Larochefoucauld treffend festgestellt: ‚Es gibt Menschen, die sich nie verlieben würden, wenn sie nicht Gespräche über die Liebe gehört hätten.‘ In der Tat ist es einer kulturellen Prägung zu verdanken, dass wir das Konglomerat aus Gefühlen, Trieben und hormonell ausgelösten Reaktionen mit der seit der Romantik dominanten Idee der ‚romantischen Liebe‘ verbinden. Die einzelnen Elemente sind subjektiv und oftmals auch objektiv, mittels Messung der Hirnarealaktivitäten und des Hormonspiegels, feststellbar, aber die Interpretation dieser Mischung ist kulturell bedingt – und die Verknüpfung mit der Institution Ehe sowieso. Ähnlich verhält es sich mit dem Anthropozän.
Der Begriff wurde geprägt, um die neue geochronologische Epoche zu bezeichnen, in der sich der Mensch zum bestimmenden Faktor für die Veränderungen in der Atmosphäre, Biosphäre und immer mehr auch in der Geosphäre entwickelte. Wie bei der ‚romantischen Liebe‘ handelt es sich um ein Gemenge von Einzelphänomenen – im Fall des Anthropozäns u.a. dem Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, dem Abschmelzen der Gletscher und des Polareises, aber auch dem Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten. Die politische und gesellschaftliche Wirkungskraft eines solchen Begriffs ist nicht zu unterschätzen, denn er bündelt und verknüpft die unterschiedlichsten, auf den ersten Blick oftmals unzusammenhängenden globalen Veränderungen, setzt sie in ein Kausalitätsverhältnis und macht den Menschen direkt für die Vorgänge verantwortlich. Hat sich das Konzept einmal im politisch-kulturellen Diskurs etabliert, dann bietet es eine Plattform, von der aus verschiedene Gruppen ihre Interessen vertreten können, ohne dass jedes Mal die Zusammenhänge von Neuem bewiesen oder erklärt werden müssen. Der Streit um den Begriff und dessen Füllung ist deshalb nicht nur der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung geschuldet, sondern auch Ausdruck von handfesten politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Interessen. Für Sprachwissenschaftler ist interessant, dass wir beim Anthropozän die Genese, Entwicklung und Etablierung eines gesellschaftlich wichtigen Konzepts mitverfolgen können, ohne dass wir wie bei der ‚romantischen Liebe‘ bereits durch die kulturelle Prägung beeinflusst sind. Und wie auch immer die Diskussion um den Begriff weitergehen wird, bereits heute gilt Larochefoucaulds Aphorismus in leicht abgewandelter Form: ‚Es gibt Menschen, die sich nie für ihre Umwelt interessieren würden, wenn sie nicht über das Anthropozän gelesen hätten.‘
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