In Zukunft werden sie ein Drittel der deutschen Gesamtbevölkerung ausmachen – eine Bürde für die Gesellschaft? Wie sehen Altersbilder hier und anderswo aus? Ein Blick auf die Generation 65plus.
von bexdeich
Duftender Schokoladenkuchen, Reparaturkünste und Weisheiten aus dem Leben fallen einem spontan bei Gedanken an die eigenen Großeltern ein. Die ersten Assoziationen hinsichtlich anderer älterer Menschen als Generation sind wesentlich nüchterner: Miefige Altenheime, Rollatoren, körperliche Gebrechen, Engstirnigkeit oder langsame Rentner an der Supermarktkasse. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Der demographische Wandel ist zu einem omnipräsenten Begriff in Politik und Medien geworden. Die Gesellschaft wird älter: Menschen leben im Schnitt 30 Jahre länger als noch vor einem Jahrhundert und schon heute ist jede fünfte Person in Deutschland über 65 Jahre alt. Immer weniger Junge stehen immer mehr Alten gegenüber. In Europa erlebt Deutschland die stärkste Verschiebung der Bevölkerungsstruktur hin zu einem „Greisen-Land“. Dies wird generell nicht als eine kulturelle Leistung gesehen, sondern vor allem als eine Bedrohung für die Gesellschaft. Wie sollen soziale Sicherungssysteme diese Belastung stemmen? Allein die demenziellen Erkrankungen werden sich innerhalb der nächsten 25 Jahre verdoppeln. Während die jüngere Generation Leistung und Aktivität symbolisiert, steht die ältere mit ihren altersgrauen Haaren und faltigen Körpern für Schwäche und Rückschritt. Der Abschied aus dem aktiven Arbeitsleben und damit von der Produktivitätsleistung mit spätestens 65 Jahren scheint eine Eintrittskarte in die persönliche Talfahrt zu sein.
Altersbilder sind in keiner Weise natürlich: Wie Menschen älter werden, ist eine Frage gesellschaftlicher Strukturen und kultureller Rahmenbedingungen. Die oben gezeichnete Vorstellung ist eine von zahlreichen in Deutschland – eine sehr verbreitete. Dass Altersbilder stets ein gesellschaftliches Konstrukt sind, verdeutlicht ein kurzer Blick auf andere Länder.
Alter(n) anderswo
Es gibt in Brasilien die Tendenz, das Alter völlig zu leugnen beziehungsweise ältere Menschen als „alterslos“ zu betrachten. Dies gilt insbesondere für höhere Schichten der dortigen Gesellschaft. Das Bild des Alterns ist eng mit dem Körperbild verknüpft: Ein attraktiver Körper spielt im Austausch mit anderen Menschen eine große Rolle und Brasilien sieht sich selbst als ein junges Land. Es wird viel dafür investiert, die körperliche Leistungsfähigkeit und jugendliche Ausstrahlung zu bewahren. Selbst Frauen und Männer aus unteren Sozialschichten sparen, um kosmetische Eingriffe bezahlen zu können. Es verwundert nicht, dass Brasilien nach den USA das Land mit der höchsten Anzahl an Schönheitsoperationen ist.
In Frankreich besteht eine vergleichsweise hohe Akzeptanz des Alterns. Aufgrund der konstant hohen Geburtenraten können die Franzosen den demographischen Entwicklungen und deren Folgen gelassener entgegenblicken. Die Lasten für die Gesamtgesellschaft, die die alte Generation mit sich bringt, können besser aufgefangen werden als in Deutschland. Dementsprechend spricht die Öffentlichkeit meist zuversichtlich über das Alter(n). Auch das japanische Altersbild ist grundlegend positiv. In Japan ist die traditionelle Familienform von großer Bedeutung: Die Generationen sind eng miteinander verbunden und die Abhängigkeit älterer Menschen wird als natürliches Phänomen begriffen. Der Anteil an Drei-Generationen-Haushalten beträgt 32 Prozent. Im Vergleich: In Deutschland leben nur ein Prozent der über 65-Jährigen mit zwei weiteren Generationen unter einem Dach.
Wie realistisch und wirklichkeitsnah sind die Altersbilder der Deutschen tatsächlich? Die Frage stellt sich natürlich genauso für Brasilien, Frankreich und Japan. Charakteristisch ist in der Bundesrepublik eine meist deutliche Defizitorientierung: Die Meinung „Die Alten liegen der Gesellschaft auf der Tasche“ steht im Vordergrund; insgesamt ist die Debatte ums Alter(n) unausgewogen. Sie entspricht nicht den tatsächlichen Veränderungen der Lebenssituationen und vor allem nicht den verbleibenden Möglichkeiten dieser Generation, das eigene Leben individuell zu gestalten. Abgesehen vom Einfluss der etablierten Altersbilder auf das Miteinander der Generationen, ist ihre Wirkung auf das Selbstbild der Älteren nicht zu unterschätzen: Sie können dazu beitragen, dass ältere Menschen körperliche, geistige und soziale Veränderungen bereits erwarten. Sie konzentrieren sich eher auf ihre Einbußen und Schwächen, wenn sie vorrangig mit pessimistischen Einschätzungen konfrontiert sind. Es entsteht eine Art Teufelskreis. Die Alten können so erst recht nicht den Bildern entgegen wirken, im Gegenteil: Sie verstärken sie. Die vielfältigen Möglichkeiten, von Sporttreiben über Ehrenamt in der Gemeinde bis hin zur Beratertätigkeit für eine Firma, werden deswegen eventuell gar nicht in Erwägung gezogen. Aber es tut sich etwas.
Seit einigen Jahren widmen sich Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vermehrt solchen Fragen. Der sechste Altenbericht der Bundesregierung von 2010 beleuchtete beispielsweise die Altersbilder in der Gesellschaft; die Generali-Altersstudie 2013 untersucht die Lebenswirklichkeit von Rentnern. Auch die Universität Jena hat anlässlich des diesjährigen Tags der Forschung aktuelle Perspektiven der Alternsforschung in den Fokus gestellt.
Aktives Alter(n)
In der Mitte der Gesellschaft ist der Diskurs jedoch noch nicht angekommen. Vermutlich haben sich die wenigsten jungen Menschen bisher mit dem Denken und Leben der älteren Generation auseinandergesetzt. Doch das Thema, in Anbetracht des demographischen Wandels nicht unwichtig, hält überraschende und bemerkenswerte Antworten bereit. Das Selbstbild vom Alter befindet sich im Wandel. Anstelle eines langsamen Dahinsiechens tritt das „aktive Altern“. Es zeigt, dass das eingangs beschriebene Bild so nicht stehen bleiben kann.
Der 85-Jährige Nachbar, der immer noch jeden Sommer mit dem Wohnmobil seine deutschlandweite Angeltour unternimmt oder der gewiefte Poetry-Slammer im Kassa, der die 60 schon vor Ewigkeiten hinter sich gelassen hat, entsprechen nicht den Erwartungen des Alter(n)s. Sie sind Vorreiter für diesen Wandel. Laut der Generali-Studie 2013 fühlt sich die Mehrheit der 65- bis 85-Jährigen im Schnitt zehn Jahre jünger als es ihrem tatsächlichen Alter entspricht. Die Lebenszufriedenheit ist hoch. Mitverantwortlich dafür ist eine Verschiebung der Altersschwellen nach hinten, ab denen die Vitalität sinkt und sich das Interessenspektrum verengt. Deutsche leben nicht nur länger, sie leben auch größtenteils gesund. Drei Viertel der Älteren fühlen sich fit. Die Gesellschaft mag zwar demographisch älter sein, die Mentalität und Verhaltensweise haben sich jedoch verjüngt. Fast die Hälfte der Rentner betreibt gelegentlich bis regelmäßig Sport; Neuem begegnen sie sehr viel offener als noch vor knapp 30 Jahren. Lernen hört auch im Alter nicht auf – über ein Drittel erarbeitet sich neue Fertigkeiten. Im Durchschnitt verlassen die über 65-Jährigen fünf Mal in der Woche das Haus, ob nun für Einkäufe, um dem sozialen Engagement nachzugehen, das Café oder die Familie zu besuchen.
Trotzdem: Das Leben wird im Alter beschwerlicher. Armut, Krankheiten, Pflegebedürftigkeit oder körperliche wie geistige Langsamkeit nehmen zu. Das Altwerden umfasst allerdings sehr viel mehr. Die Bedeutung des Wissens und potentiellen Engagements für gesellschaftliche Entwicklung wird zu wenig berücksichtigt. Wenn aber eine alternde Bevölkerung Zeit, Kompetenzen und Ressourcen der alten Menschen nutzen will, braucht sie differenzierte Altersbilder. Nur so kann ein altersfreundliches Miteinander entstehen, das sich durch Solidarität zwischen den Generationen auszeichnet. Nur dann schöpfen die Älteren ihre Potentiale aus. Der Diskurs über Möglichkeiten im Alter wie auch über gesellschaftliche Mitverantwortung für die Bewältigung von Herausforderungen muss intensiviert werden. Klein anfangen können wir bei uns: beim nächsten Stück duftenden Schokokuchen. Die Alten sind da und sie werden mehr, ob wir wollen oder nicht.
(Die Bilder zeigen Motive aus der Wanderausstellung „Was heißt schon alt?“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.)
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