Alles Griechisch, oder was? Wie redet man über die Psyche und ihre Probleme?

von Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena


Die meisten Ausdrücke und Begriffe, die zur Diagnose und Beschreibung psychischer Zustände und Probleme verwendet werden, haben ihren Ursprung in der medizinischen Fachterminologie, die sich mit Vorliebe griechischer und lateinischer Elemente bedient. Dies ist ein Zeugnis der humanistischen Fachtradition, die sich in ihren Ursprüngen auf die Heilkunst der Antike beruft. Wenn wir von Schizophrenie, Depression, Demenz, Agoraphobie, Klaustrophobie, Akrophobie, Poriomanie, Amnesie, Autismus oder ähnlichen Phänomenen sprechen, greifen wir deshalb auf Fachbegriffe zurück, die ihre Wurzeln in diesen beiden klassischen Sprachen haben. Daneben finden sich häufig auch Bezeichnungen, die auf den oder die Forscher:in zurückgehen, die die Krankheit entdeckt oder zum ersten Mal fachlich beschrieben haben. Dazu gehören der Alzheimer, das Korsakow-Syndrom, die Parkinson-Krankheit oder die Jakob-Creutzfeldt-Krankheit. Auffällig selten hingegen sind Bezeichnungen, die (zumindest teilweise) aus dem Englischen kommen. Die einzigen mir spontan einfallenden Beispiele dafür sind das Borderline- und das Burnout-Syndrom.

Nebst dem fachlichen Diskurs gab und gibt es die Verhandlung psychischer Phänomene in den jeweiligen Volkssprachen. Die historischen Stufen sind uns oftmals nicht zugänglich, da in den meisten europäischen Kulturen Latein oder Griechisch als Sprache der Gelehrten verwendet wurde und die schriftliche Überlieferung der relevanten Texte in diesen stattfand.
Vereinzelte lateinische oder griechische Ausdrücke wurden zwar schon früh im volkssprachlichen Kontext verwendet, aber nur wenige wurden so erfolgreich assimiliert wie das englische lunatic für ‚geistig verwirrt, verrückt‘ (NB: das Cambridge Dictionary stuft eine solche Verwendung des Wortes nun als ‘offensive old-fashioned’ ein). Seinen Ursprung hat lunatic in der antik-mittelalterlichen Medizin, die den verschiedenen Himmelskörpern großen Einfluss auf das geistige und körperliche Wohlbefinden des Menschen zuschrieb. Ist jemand lunatic, dann steht er oder sie unter dem (eher negativ konnotierten) Einfluss des Mondes (lat. luna). Den frühneuenglischen Sprachpuristen war das lateinische Lehnwort ein Dorn im Auge und sie versuchten es durch das englische mooned zu ersetzen – allerdings ohne Erfolg.

Mit der Renaissance etablierten sich die lateinischen und griechischen Fachtermini endgültig und wurden Bestandteil des stark diversifizierten englischen Wortschatzes. Aber auch im Deutschen hielten sie Einzug, so dass wir in beiden Sprachen eine Abkopplung der Fachebene von der Umgangssprache feststellen können. Damit haben wir, auf der einen Seite, eine fremdsprachige Fachterminologie, die zwar eine fein unterteilende Diagnose ermöglicht, für die durchschnittliche Person jedoch weitgehend unverständlich ist. Auf der anderen Seite stehen die ungenauen, aber ausdruckstarken volkssprachigen Beschreibungen psychischer Probleme. So kann jemand ‚einen Sprung in der Schüssel haben‘, was im Englischen dem Ausdruck they are cracked (‚sie haben einen Sprung‘) entspricht. Beide stellen die psychische Störung als Beschädigung einer glatten Oberfläche dar. Zu dieser Bildfamilie gehört wahrscheinlich auch crazy, das auf das mittelenglische Verb crasen zurück geht, das soviel wie ‚zerbrechen, zerschlagen‘ bedeutet. Ähnlich funktionieren Ausdrücke wie ‚eine Schraube locker haben‘ (having a screw loose), ‚nicht ganz dicht sein‘ oder ‚einen Dachschaden haben‘.

Sehr beliebt sind auch Metaphern, die die psychischen Probleme als das Fehlen von etwas darstellen. So haben Personen ‚nicht alle Tassen im Schrank‘ oder they lost their marbles (‚sie haben ihre Murmeln verloren‘). Diese werden komplementiert durch Ausdrücke, die den betreffenden Personen Dinge zuordnen, die man nicht haben sollte, wie z.B. in ‚einen Vogel haben‘ oder im Englischen to have bats in the bellfry (‚Fledermäuse im Glockenturm haben‘). Zu guter Letzt müssen die kulturspezifischen Bezeichnungen erwähnt werden. Will man im Englischen eine völlig verrückte Situation beschreiben, dann kann man sagen It was bedlam! (‚Es war Chaos!‘). Pate für diesen Ausdruck stand das Saint Mary of Bethlehem Spital in London, das seit dem 15. Jahrhundert Patient:innen mit psychischen Problemen beherbergte und in dem es nicht immer ruhig und geordnet zuging. In meiner alten Heimat verwendete man zwar auch umgangssprachlich den Hinweis auf die psychiatrische Klinik Burghölzli bei Zürich um auf die ‚Verrücktheit‘ gewisser Personen hinzuweisen, aber ‚Das ist Burghölzli!‘ hat
sich (noch) nicht etabliert.


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