Aktivist aus der Ferne

(Foto: © Dmitry Chistoprudov | 28-300.ru Photo Agency)
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Der gebürtige Moskauer Roman wurde durch die Duma-Wahl in seiner Heimat zum politischen Aktivisten – zumindest vorerst.

von Franziska Schmidtke

Das Jahr 2011 war voller politischer Umstürze – Tunesien, Ägypten, Libyen. Im Dezember des selben Jahres schienen auch die Russen nicht schweigen zu können. Unterstützt wurden sie von einem jungen Akademiker in der Ferne, der digital für sie den Überblick behielt: Roman stammt aus Moskau, dort hatte er studiert und ging später als promovierter Chemiker ins Ausland. Er arbeitete zuerst in Deutschland und mittlerweile in seiner derzeitigen Heimat Fukoka in Japan. Von dort aus beobachtete er auch die Parlamentswahlen im vergangenen Winter. Bis dahin hatte er sich nie sonderlich für Politik interessiert – doch diese Wahl schuf in ihm ein politisches Bewusstsein.

Politisiert durch Wahlbetrug

Im Internet überschlugen sich im Laufe des Wahltages schon bald die Meldungen; zahlreiche Menschen berichteten darüber, wie die Regierungspartei Einiges Russland für ihren erneuten Wahlsieg gesorgt hatte. „Zum Beispiel wurden die ausgeschriebenen Wahllokale mehrmals verlegt – für mich ist das ein Verstoß gegen das Wahlgesetz“, so Roman. Auch die deutschen Nachrichten berichteten später über bereits vorgefüllte Wahlurnen oder darüber, wie Bürger an der Wahl gehindert und andere dagegen mit Bussen zu möglichst vielen verschiedenen Wahllokalen gefahren wurden, um wieder und wieder ihre Stimme für die Regierungspartei abzugeben.

Roman ließen diese Nachrichten nicht mehr los. Er versuchte fieberhaft, mehr Informationen zu sammeln, doch plötzlich waren sonst verlässliche Internetseiten nicht mehr zugänglich. Alternativen suchte er über das Web 2.0: Er richtete sich einen Twitter-Account ein und knüpfte Kontakte zu Organisatoren und Aktivisten, die in Russland vor Ort waren. Mit ihnen tauschte er sich aus und fand so zu seiner Rolle: Während die Moskauer bereits auf die Straße gingen, tat er, was ihm in Japan als Möglichkeit blieb: Er blieb online. Er beobachtete, er informierte.

Denn schon schien es so, als wolle die russische Regierung ihr Volk ein weiteres mal betrügen: Plätze, die zur Demonstration freigegeben worden waren, wurden wieder gesperrt und andere erst kurz vor Beginn der Demonstrationen freigegeben. In anderen Fällen kursierten Gerüchte über einen möglichen Militär-Einsatz gegen die Demonstranten; nicht nur einmal war auf Facebook zu lesen „Scharfschützen stehen auf den Dächern bereit – sie werden euch erschießen“; die Bürger sollten verunsichert werden. Was der russischen Bevölkerung also fehlte, waren regierungsunabhängige und schnell zugängliche Informationen – hier sprang Roman ein; durch seine stete, wenn auch nur virtuelle Anwesenheit und den Kontakt zu den Organisatoren konnte er Orientierung bieten.

Aufklärung im Web 2.0

Das Spiel schien von Neuem zu beginnen, nachdem sich die Bürger nun an den tatsächlich zur Demonstration freigegebenen Orten zusammengefunden hatten. Schnell hieß es von Seiten der Polizei, nur wenige Menschen seien auf die Straßen gegangen – dabei hatten Demonstranten ganz und gar nicht das Gefühl, auf den Kundgebungen „allein“ gewesen zu sein. So mangelte es ein weiteres Mal an gesicherten Informationen und wieder fand Roman eine Möglichkeit, seinen Landsleuten zu helfen. Er schaffte es, Luftaufnahmen von den Plätzen der Kundgebungen bereitzustellen, sodass sich nun jeder einen eigenen Eindruck darüber verschaffen konnte, wie viele Demonstranten wirklich vor Ort gewesen waren – mehrmals waren es über 100.000 Menschen.

Ein weiteres Land befand sich also in Aufruhr. Doch ein wichtiger Unterschied zu den Aufständen in Nordafrika war für Roman und seine demonstrierenden Landesgenossen schnell klar: „Wir wollten keine neue Revolution. Wir wollten laut sagen: So nicht!“, erklärt er rückblickend. Es ging nicht um einen Umsturz oder einen Regierungswechsel. Was die Menschen auf die Straßen getrieben hatte, waren die offensichtlichen Wahlfälschungen; was sie nun von der Regierung einforderten war, den eigenen Bürgern Respekt entgegenzubringen. Kaum einer der Demonstranten hätte behauptet, die Partei Putins hätte die Wahlen ohne die Betrügereien nicht gewinnen können – auch seriöse Vorhersagen hatten den Wahlsieg prognostiziert. Doch dass in einigen Wahllokalen zu 100% Einiges Russland gewählt worden sei, das glaubte Roman und mit ihm viele andere nicht. Die Dreistigkeit, der offene Betrug der Wähler hatte viele Menschen verletzt, sodass sie auf die Straßen gingen, um eine neue, faire Wahl einzufordern.

Erfolgreiche Demonstranten?

Es muss eine geteilte Bilanz gezogen werden. Das unmittelbare Ziel der Demonstranten, die Wiederholung der Parlamentswahl, konnte nicht erreicht werden und auch während der wenig später stattfindenden Präsidentschafts-wahlen im März 2012 gab es neue Berichte über Wahlbetrügereien. Doch gleichzeitig hatte es bei dieser Wahl Videokameras in allen Wahllokalen gegeben – eine Neuerung, die ohne die Demonstrationen kaum denkbar gewesen wäre. Insgesamt 3,5 Millionen Menschen verfolgten durch die Online-Übertragung dieser Kameras die Wahlen – ein Grad von Transparenz, der für Russland neu war. Roman zieht aus all dem eine positive Bilanz: „Ein großer Teil der Bevölkerung hat verstanden: Wandel ist auch im Riesenreich Russland möglich.“

Franziska Schmidtke (25) hat in Jena und Jerusalem Politikwissenschaft, Neuere Geschichte und Soziologie studiert. Zur Zeit promoviert sie bei Prof. Dr. Heinrich Best im Projekt „Parlamentarische Eliten“ des Sonderforschungsbereichs 580.

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