„Unterwassersteine“ umschiffen

Die "hastuzeit" am Set von Univer, dem TV-Sender der Kasaner Förderalen Universität (Foto: Radik Zagidullin)
Die "hastuzeit" am Set von Univer, dem TV-Sender der Kasaner Förderalen Universität (Foto: Radik Zagidullin)

Medienberichterstattung in Russland – ein heikles Thema. Wie sich dort die Arbeit von Uni-Journalisten gestaltet, durfte die Redaktion der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit beim Besuch einer Delegation aus Kasan erfahren.

von Sophie Leins

So ist das immer in Russland – kein Geld da, man muss für die Idee arbeiten!“ Es ist dieser Idealismus, der uns an den russischen Studierenden beeindruckt und überrascht. Neugierig sitzen sie der Redaktion der hallischen Studierendenzeitung hastuzeit in einem großen Kreis gegenüber und werden nicht müde, Fragen zu stellen.
Circa 20 Studierende verschiedener Universitäten aus Kasan, der Hauptstadt der Republik Tartastan in Russland, sind zu Besuch bei der Redaktionssitzung der hastuzeit. Sie nehmen an einem Austauschprojekt mit Radio Corax, dem freien Radiosender in Halle, teil. Begleitet werden sie von Delegierten des „Assemblées der Völker Tartastans“, aber auch von zwei Journalismus-Dozenten und vom Leiter des Universitätsfernsehsenders. Denn die meisten der Besucher sind angehende Journalisten und deshalb interessieren sie sich für die Arbeit deutscher Studierendenredaktionen.
Bei Schwarztee und Spekulatius werden die hastuzeit-Redakteure gelöchert: Wie finanziert ihr euch? Was ist eure Motivation? Welche Themen behandelt ihr? Dürft ihr die Uni kritisieren? Wie sichert ihr die Qualität des Hefts? Die russischen Gäste beweisen wichtige journalistische Grundkompetenzen: Neugier und die Fähigkeit, auch unangenehme Fragen zu stellen.
Eine russische Teilnehmerin wundert sich über die unterschiedlichen Arten von Anführungszeichen in der hastuzeit („“ und »«); sogar mit Gesten setzen die Deutschen ihrer Beobachtung nach ständig „Gänsefüßchen“ um ihre Worte. Das gäbe es in Russland nicht. Die Fragen wollen nicht enden.

Wie viel Kritik an der Uni ist möglich?
Besonders interessiert sind die Gäste aus Kasan jedoch am Thema Finanzierung. Auf den Semesterbeitrag (50 Cent pro Mitglied der Studierendenschaft), durch den sich die hastuzeit finanziert, sind sie neidisch. Denn so unkompliziert ist die Sache mit dem Geld für die Studierenden, die für Uni-TV und Uni-Radio arbeiten, nicht.
Die Ausstattung für den hochschuleigenen Fernsehsender wurde von der Universität bezahlt, so Radik Zagidullin, der Chef des Nachrichten-Ressorts ist. Die Uni verspricht sich davon Prestige. Sogar 30 Mitarbeiter werden bezahlt. Auch die Technik des Journalismus-Labors für angehende Medienmacher, das der Dozent Ruzil Mingalimov betreut, wurde von der Uni gesponsert.
Doch kann man die Uni noch kritisieren, wenn man finanziell von ihr abhängig ist? Die Stimmung im Raum wird bei dieser Frage angespannt, denn darüber herrscht in der russischen Gruppe selbst Uneinigkeit. Zagidullin vom Uni-Fernsehen findet, man sollte nicht in die Hand beißen, die einen füttert, und die Uni deshalb nicht kritisieren. Journalismus-Dozent Mingalimov stimmt zu: Kritik sei nicht einfach. Von Demonstrationen gegen Kürzungen an der Uni könne er – im Gegensatz zur hastuzeit – jedenfalls nicht berichten. Hier fallen auch die Begriffe „richtiger“ und „falscher“ Journalismus. Wer als „richtiger“ Journalist gelten will, muss eine staatliche Prüfung ablegen. Denn anders als in Deutschland, wo die Berufsbezeichnung „Journalist“ nicht geschützt ist und viele über einen Quereinstieg im Mediengeschäft landen, handelt es sich in Russland beim Journalisten um eine festgeschriebene Ausbildung mit einem staatlich geprüften Titel – so wie bei Medizinern oder Juristen.
Trägt der Berufsstand denn dann auch ein ähnlich hohes Prestige wie diese? Auch hier scheiden sich die Meinungen. Zagidullin, selbst ein Quereinsteiger, findet das nicht. Den Vorwurf der „Lügenpresse“ gebe es auch in Russland, pflichten die Studierenden ihm bei. Die Dozenten hingegen glauben, dass Journalist nach wie vor ein angesehener Beruf sei, vor allem beim Fernsehen. Das höchste Ansehen hätten unabhängige Journalisten, die ihre Meinung sagen, so Mingalimov. Ob dies eine indirekte Kritik an seinem Kollegen ist, bleibt offen.

Arbeitsbedingungen unterscheiden sich je nach Medium
Die Bedingungen für journalistische Arbeit scheinen sich auch innerhalb des Campus zu unterscheiden. Der TV-Sender Univer, den Zagidullin im Auftrag der Universität leitet, sendet nicht nur online, sondern auch im Fernsehen. Das nagelneue News-Studio, das er uns auf seinem Handy zeigt, wirkt sehr professionell und modern. Studierende, die für andere Medien arbeiten, klagen jedoch darüber, dass für nichts Geld da sei. Um unabhängiger Journalist zu werden, scheint man in Russland noch idealistischer sein zu müssen als anderswo. Man müsse auch schon beim Campus-TV immer wieder „Unterwassersteine“ umschiffen, um Konflikte zu vermeiden, so ein Student.
Würden nicht irgendwann die beiden Übersetzerinnen nach einem langen Tag um Feierabend bitten, würden russische und deutsche Nachwuchsjournalisten einander vermutlich noch bis in die Nacht auf den Zahn fühlen und sich austauschen. Auf Seiten der hastuzeit-Redaktion bleibt Bewunderung für die Professionalität der russischen Besucher und ihrer Arbeit sowie für ihren Idealismus und den Mut, trotz Widerständen journalistische Arbeit zu leisten und den Journalismus sogar als Beruf anzustreben.

Sophie Leins ist freiwillige Mitarbeiterin bei der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 69.


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